Schattentage

Vom Pfleger zum Pflegebedürftigen

Qualitätsentwicklung einmal anders gedacht: Über die Methode "Schattentage" soll Pflegekräften der Perspektivwechsel gelingen. Sie schlüpfen selbst in die Rolle eines Pflegebedürftigen. Und lernen so, über welche Stellschrauben sich Empathie und Kommunikation verbessern lassen.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Wie nehmen Pflegebedürftige die Pflege war? Um dies nachspüren zu können, mimen Pfleger selbst Pflegebedürftige.

Wie nehmen Pflegebedürftige die Pflege war? Um dies nachspüren zu können, mimen Pfleger selbst Pflegebedürftige.

© Robert B. Fishman, Ecomedia/ dpa

NEU-ISENBURG. Dass es in der Pflege knirscht, wird nicht zuletzt von den Pflegekräften selbst immer wieder moniert. Enge Personaldecken, Zeitdruck, aber ebenso Alltagsroutinen erschweren den Blick für die Bedürfnisse Pflegebedürftiger. Insbesondere die Empathie in den kleinen Alltagsdingen bleibt dabei oft auf der Strecke.

Die Methode "Schattentage" soll dem entgegenwirken und gleichzeitig als Instrument der Qualitätsentwicklung dienen. Doch noch kommt die Methode zu selten zum Einsatz. Das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) hat daher nun einen Ratgeber herausgegeben, der Tipps für die Umsetzung in Pflegeeinrichtungen gibt - aber auch für Praxisteams einige Anregungen bietet.

Light-Variante auch für Praxen

Dreh- und Angelpunkt der Methode sei der Perspektivwechsel, erklärt das ZQP. Für letzteren bieten die "Schattentage" zwei Varianten: In einer Light-Version, die auch für Ärzte oder Medizinische Fachangestellte interessant sein könnte, begleiten die Pflegekräfte als echter Schatten über einen festgelegten Zeitraum eine pflegebedürftige Person.

Sie nehmen hierbei das Geschehen rund um die Pflege wahr, greifen aber nicht ein - es sei denn, es muss eine Gefahr abgewendet werden. Es gehe darum, Interaktionen und Abläufe aus Sicht der pflegebedürftigen Person zu erfahren, heißt es in dem Ratgeber.

Beim realen Rollentausch, der als "Schattenfrau" oder "Schattenmann" bezeichnet wird, gehe es hingegen darum, Pflege tatsächlich selbst zu erfahren, so das ZQP. Das heißt, die Pflegekräfte schlüpfen für einen gewissen Zeitraum in die Rolle einer pflegebedürftigen Person. Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit sowie das Krankheitsbild werden laut dem Ratgeber vorab zwischen der Projektleitung und der Schattenfrau bzw. dem Schattenmann vereinbart.

Beiden Verfahren ist gleich, dass die Beobachtung aus Sicht des Betroffenen nach vorher gemeinsam festgelegten Kriterien erfolgt. Dazu wird ein Auswertungsbogen entwickelt, in dem etwa festgehalten wird, wie der Umgangston mit der pflegebedürftigen Person ist, ob Willensäußerungen respektiert und beachtet wurden, ob Bedürfnissen zur Kommunikation und Beschäftigung entsprochen wird, ob Bewegungsbedürfnisse und Schamgrenzen beachtet werden aber auch, ob die Atmosphäre im Pflegeheim angenehm ist.

Zusätzlich werden Verbesserungsvorschläge gemacht. Das ZQP liefert allerdings eine Vorlage mit, an der sich die Teams gut orientieren können.

Der Auswertungsbogen wird im Anschluss zunächst in einem Vieraugengespräch mit der Projektleitung und erst anschließend im Team besprochen. Da es sich auch um eine Methode der Qualitätsentwicklung handelt, sollen dabei gemeinsam Verbesserungsmöglichkeiten in den Strukturen und Teamprozessen erörtert und eventuell entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Das kann ebenso in einem Qualitätszirkel geschehen, indem man zusätzlich externe Expertise mit einbezieht.

Die Idee zu den Schattentagen entstand, wie das ZQP berichtet, im Rahmen eines vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projekts zur Umsetzung der deutschen Pflege-Charta und wurde 2011 mit dem Altenheim Zukunftspreis ausgezeichnet.

Eine Befragung von 622 Einrichtungsleitungen aus dem Pflegebereich, die das ZQP im Herbst 2014 durchgeführt hat, zeigt jedoch, dass gerade einmal ein Drittel der Befragten bereits von der Methode gehört haben. Dabei interessieren sich 80 Prozent durchaus für die Methode und halten sie in ihrer Einrichtung für umsetzbar.

Hektik überträgt sich

"Durch den Wechsel der Blickwinkel können die blinden Flecken in der Organisation und im Berufsalltag sichtbar werden", erklärt Karla Kämmer, Diplom-Organisationsberaterin und selbst Altenpflegerin, in dem Ratgeber. Wichtig sei etwa, zu erkennen, bei welchen Abläufen institutionelle Vorgaben der individuellen Begleitung der Pflegebedürftigen im Wege stünden. Und welche dieser Vorgaben sich verändern ließen. Dabei verschließen die Autoren des Ratgebers nicht die Augen vor dem Spannungsfeld, in dem sich die Pflege bewegt: Den Bedürfnissen des einzelnen gerecht werden zu wollen, gleichzeitig aber auch wirtschaftlichen Vorgaben zu unterliegen.

Spannend sind vor allem die Erfahrungsberichte, von Pflegekräften, die die Schattentage-Methode bereits ausprobiert haben. Sie zeigen allesamt, dass die Hektik zu bestimmten Zeiten sehr wohl von den Pflegebedürftigen wahrgenommen wird. "Das Maß, in dem man die Hektik der Pflegenden spürt, hat mich wirklich überrascht", sagt etwa der examinierte Altenpfleger Michael, der im Projekt einen Bewohner mit halbseitiger Lähmung mit Gangunfähigkeit verkörpert hat.

Seit der Erfahrung als Schattenmann sei er deutlich ruhiger im Auftreten geworden. Aber auch in Sachen Kommunikation habe er dazu gelernt "Pflegekräfte sind in ihrer Kommunikation oftmals viel zu sehr auf ihre eigene pflegerische Tätigkeit konzentriert."

Man müsse einem Patienten nicht zum wiederholten Male die Handgriffe beim Lagern erläutern. "Ich versuche, über ganz alltägliche Dinge mit ihnen zu reden."

Dennoch sind auf der anderen Seite Informationen zu dem, was da geschieht durchaus wichtig. So erstaunte Sofia, Betreuungsassistentin in einem Seniorenpflegeheim, dass Essen einfach wortlos in sie "hinein geschaufelt wurde", ohne dass sie wusste, was es gibt.

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