Hintergrund

Allopurinol bleibt vorerst Goldstandard der Gichttherapie

Harnsäurebildung zu hemmen oder deren Ausscheidung zu fördern, sind zwei Therapieoptionen bei Gicht. Kommt bald die Interleukin-Hemmung dazu?

Von Simone Reisdorf Veröffentlicht:

"Gicht ist mehr als eine schmerzhafte und geschwollene große Zehe", betont Professor Gurkirpal Singh von der Stanford Universität in Palo Alto, USA. Er selbst und weitere Experten gaben beim europäischen Rheuma-Kongress einen aktuellen Überblick.

"Gichtpatienten leiden häufig unter ernsten Komorbiditäten", so Singh. Das zeigten auch die Krankenhauseinweisungen in den USA von 1988 bis 2005: Während heute allgemein elf Prozent mehr Patienten eingewiesen würden als früher, sei die Zahl der Einweisungen von Patienten mit primärer oder sekundärer Gichtdiagnose um 290 Prozent nach oben geschnellt. "Also fast auf das Vierfache", so Singh in Paris. "Offenbar erhöht die Hyperurikämie bei Gicht das allgemeine Risiko - etwa für Herz- und Nierenschäden."

Umgekehrt ist eine eingeschränkte Nierenfunktion bekanntlich meist der Anfang des Übels: 95 Prozent der Gichtpatienten können das Stoffwechselendprodukt Harnsäure nicht mehr adäquat über die Nieren ausscheiden. Seltener ist eine interne Harnsäure-Überproduktion. Medikamente und Ernährungsfaktoren können den Harnsäure-Überschuss triggern. Steigt der Harnsäurespiegel im Blut langfristig über 7 bis 8 mg/dl, kristallisiert Harnsäure aus: in den Gelenken, auch in den ableitenden Harnwegen (eine Ursache für Nierensteine).

"Der Harnsäurespiegel im Blut ist aber bei Gichtpatienten nicht durchweg erhöht", gab Professor Naomi Schlesinger aus New Brunswick zu bedenken. "Gerade im akuten, schmerzhaften Gichtanfall ist er häufig normal." Dies hatte auch eine Analyse zweier großer Therapiestudien mit 339 Patienten bestätigt: "Hier hatten elf Prozent trotz akutem Gichtanfall normale Harnsäurewerte", so Schlesinger.

Harnsäurespiegel ist bei Gicht nicht immer erhöht.

Soll der Harnsäurespiegel langfristig gesenkt werden, um Gichtanfällen vorzubeugen, sind Urikostatika geeignet. Allopurinol etwa gilt als Goldstandard der langfristigen Gichttherapie. Wird es allerdings bei akuter, symptomatischer Gicht gegeben, könnte dies das Risiko unerwünschter Wirkungen erhöhen. Darauf weist eine Fallkontrollstudie mit knapp 300 Patienten hin, von denen ein Drittel aus verschiedenen Gründen Allopurinol eingenommen hatte.

Bei Patienten mit akuter, symptomatischer Gicht war das Risiko für Nebenwirkungen um den Faktor 2,8 erhöht. Und bei Komedikation mit Statinen lag das Risiko sogar 4,9-mal höher. Letzteres könnte an pleiotropen Effekten der Statine liegen, aber auch die zugrunde liegenden Lipidstoffwechselstörungen könnten eine Rolle spielen. Zu den unerwünschten Wirkungen bei Allopurinol zählen Hautreaktionen, gastrointestinale Probleme, Fieber und auch die potenziell lebensbedrohliche Allopurinol-Hypersensitivitäts-Reaktion.

Alternativ zum Urikostatikum Allopurinol können Urikosurika eingesetzt werden, die die Harnsäure-Ausscheidung fördern, etwa Benzbromaron. Professor Mattheus K. Reinders von der Uni Groningen in den Niederlanden stellte dazu eine aktuelle Studie vor. Hier erhielten je etwa 30 Patienten täglich 300 mg Allopurinol oder 100 mg Benzbromaron. Patienten, die den Zielwert (unter 5 mg/dl Harnsäure) innerhalb von zwei Monaten nicht erreichten, bekamen die doppelte Dosis der jeweiligen Arznei. "Nach weiteren zwei Monaten hatten in jeder Gruppe drei Viertel der Patienten den Zielwert erreicht", so Reinders. "Mit Benzbromaron waren es bereits nach den ersten zwei Monaten 52 Prozent, mit Allopurinol nur 26 Prozent."

"Ein neues Wirkprinzip in der Gichttherapie bietet der Interleukin-1-Blocker Rilonacept", so Professor John Sundy aus Durham, USA. Harnsäure bildet Natriumurat, das löst über mehrere Zwischenstufen eine verstärkte Ausschüttung von IL-1 beta aus. Rilonacept aber blockiert -ähnlich wie Anakinra - die Interleukin-Signalkaskade. Beide Arzneien sind zur Therapie von Gichtpatienten bisher nicht zugelassen.

In einer Pilotstudie mit zehn Patienten wurde jetzt das Wirkprinzip getestet: Innerhalb von sechs Wochen mit einmal wöchentlich 160 mg Rilonacept s.c. besserte sich der Schmerz auf der zehn Punkte umfassenden visuellen Analogskala (VAS) bei sechs von zehn Patienten um 75 Prozent. Nach Studienende stieg der Schmerzpegel wieder an. "Rilonacept könnte Gichtpatienten zugutekommen, die auf Urikostatika und Urikosurika nicht ansprechen oder sie nicht vertragen", so Sundy.

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