Bei Rückenschmerzen ist Bildgebung meist überflüssig
Rückenschmerzen sind zu 90 Prozent myofaszial, psychosozial oder somatoform bedingt. Röntgen, CT oder MRT helfen hier für die Diagnose nicht weiter.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG (mar). Rückenschmerzen liegt bei 90 Prozent der Betroffenen keine gravierende organische Ursache zugrunde. Meistens verschwinden sie innerhalb von vier Wochen wieder von allein. Dennoch ist es häufig immer noch Usus, Patienten, die wegen Rückenschmerzen in die Praxis kommen, "reflexartig" zum Röntgen, CT oder MRT zu schicken, so die Kritik von Dr. Thomas Nolte vom Schmerz- und Palliativzentrum Rhein Main in Wiesbaden (MMW-Fortschr. Med 152, 2010, 43). Dabei lassen sich nur fünf bis zehn Prozent der Rückenschmerzen auf objektivierbare Befunde wie Bandscheibenvorfall oder Osteoporose zurückführen. Zu 90 Prozent sind die Schmerzen myofaszial, psychosozial oder somatoform bedingt.
Ängste der Patienten werden unnötig geschürt
Und selbst wenn der Befund im MRT positiv ist, besteht nicht zwingend eine Korrelation zum Schmerzgeschehen, betont Nolte. In vielen Studien sei belegt, dass Personen in allen Altersgruppen positive MRTBefunde wie Bandscheibenvorfälle oder Degenerationen der Facettengelenke aufweisen, ohne Schmerzen zu haben.
Zudem hat eine im vergangenen Jahr publizierte Metaanalyse bei Patienten mit unspezifischen Schmerzen im LWS-Bereich verdeutlicht, dass bildgebende Verfahren hier bestenfalls überflüssig sind. Im schlimmsten Fall können sie sogar schaden, indem sie bei harmlosen, physiologischen Befunden Ängste schüren und damit die Selbstheilung und eine konservative Therapie behindern. Und: Ob mit oder ohne Bildgebung vor Behandlungsbeginn - der Therapieerfolg war ähnlich.
Problematisch wird es, wenn Patienten mit Bandscheibenvorfall als vermeintlicher Ursache der Rückenschmerzen zur Operation geraten wird. Ein solcher Eingriff "mit mäßigem und kurzfristigem Erfolg kennzeichnet häufig den Eintritt in eine Schmerzchronifizierungskarriere mit langfristiger Therapiebedürftigkeit", so der Schmerztherapeut.
Deshalb ist es wichtig, schon bei der Anamnese nach dem Befinden der Patienten zu fragen, bevor sie durch die vermeintlich objektiven Befunde der Bildgebung in eine therapeutische Richtung (fehl-)gelenkt werden. Ursachenforschung mit Ohren, Augen und Händen sollte die Devise sein, um die richtige Diagnose zu stellen. So lässt sich bei der Anamnese klären, ob psychosoziale Belastungen bestehen, die sich in körperlichen Symptomen wie Rückenschmerzen und Muskelverspannungen niederschlagen. Hierzu gehören etwa chronische Arbeitsüberlastung, geringe soziale Unterstützung oder Probleme in der Partnerschaft.
Weitere Informationen über Störungen im Bewegungssystem ergeben sich aus der Inspektion der Patienten. So fallen schon beim Entkleiden schmerzbedingte Fehlhaltung oder Ausweichbewegungen auf. Am stehenden Patienten lassen sich Störungen der Körpersymmetrie oder Fehlhaltung erkennen.
Psychosoziale Belastung muss berücksichtigt werden
Unverzichtbar ist die Palpation, um muskuläre Verspannungen, Überwärmung und Krepitationen der Gelenke aufzuspüren. Zudem wird die Beweglichkeit der Gelenke getestet. Eine neurologische oder radikuläre Beteiligung an den Schmerzen lässt sich mit gezielten Handgriffen (Lasègue, Reflexe, Sensibilität) überprüfen.
Selbstverständlich ist, dass man auf Warnzeichen ("red flags") achtet, die Hinweise auf schwer wiegende Erkrankungen als Auslöser der Rückenschmerzen geben. Zu den "red flags" gehören etwa adäquates Trauma, bekannte Osteoporose, Harnwegsinfektion, Malignom in der Anamnese, neurologische Ausfälle oder Cauda-equina-Syndrom.
Erst nach Abschluss dieser klinischen Exploration wird entschieden, ob eine bildgebende Untersuchung nötig ist: "Der Schmerz an sich ohne Nachweis einer Lähmung oder ohne einen konkreten Verdacht auf eine strukturelle Läsion erfordert keine Bildgebung. Erst wenn als Ergebnis der klinischen Untersuchung der Verdacht auf eine radikulär ausgelöste Problematik (nicht Schmerz, sondern Lähmung) oder eine ernsthafte Erkrankung (Tumor, Metastase oder Entzündung) besteht, ist die Einleitung einer weiterführenden Untersuchung (CT / MRT) gerechtfertigt", so Nolte.