INTERVIEW

Die Behandlung von kleinen Kindern mit schwerer Psoriasis ist noch ein Notbehelf

Inzwischen gibt es zwar für Kinder und Jugendliche mit schwerer Psoriasis erste Studien zu systemischen Arzneimitteln, etwa zu einem TNF-Blocker. Aber zugelassen ist für diese Indikation noch kaum ein Medikament. Wie sich die Kollegen bei der Behandlung behelfen, darüber sprach Professor Kristian Reich aus Hamburg mit Angela Speth von der "Ärzte Zeitung".

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"Das ist ein heißes Eisen - die Not der Ärzte bei der Behandlung von Kindern mit schwerer Psoriasis." Zur Person Professor Kristian Reich, Facharzt für Dermatologie und Allergologie, praktiziert als Partner am Dermatologikum Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist die Psoriasis.

Ärzte Zeitung: Für Kinder und Jugendliche, die an schwerer Psoriasis erkrankt sind, ist bisher kein einziges Medikament wirklich erprobt ...

Professor Kristian Reich: Das ist ein heißes Eisen - die Not der Ärzte bei der Behandlung dieser Kinder. Nur Acitretin und Methotrexat sind auch für Kinder zugelassen, aber das Retinoid ist wenig wirksam, und zu Methotrexat gibt es bei Kindern zwar positive Erfahrungen aus der Rheumatologie, jedoch keine validen Daten zur Psoriasis.

Ärzte Zeitung: Wie behelfen Sie sich?

Reich: Wir haben keine andere Möglichkeit als den Off-Label-Use. Diese Art der Medikation ist ja erlaubt, wenn sonst keine Therapie zugelassen ist, wenn die Erkrankung schwer oder lebensbedrohlich ist und wenn es Hinweise gibt, dass eine Substanz wirkt.

Ärzte Zeitung: Welche Arzneimittel oder Verfahren verwenden Sie?

Reich: Wirkt eine topische Therapie nicht, hängt das weitere Vorgehen davon ab, wie alt die Patienten sind. Bei Jugendlichen ist es vertretbar, sie ähnlich zu behandeln wie Erwachsene: mit Fumarsäureester und Lichttherapie. Aber auch zu den Langzeitfolgen wiederholter Lichttherapien fehlen sichere Aussagen. Bringt beides keine Besserung, verordne ich einen TNF-Antagonisten, für die positive Erfahrungen aus der pädiatrischen Rheumatologie und bei Kindern mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen vorliegen.

Ärzte Zeitung: Aber wenn es jüngere Kinder sind?

Reich: Da liegt ein großes Problem. Ich habe als Patientin ein vierjähriges Mädchen mit schwerer Schuppenflechte am ganzen Körper. Bevor sie zu mir kam, hatte sie schon Ciclosporin, Retinoide und systemische Steroide bekommen - aber alles ohne wirkliche Besserung. Was also tun? Bei Fumarsäureestern hätte ich wegen der akuten gastroenterologischen Nebenwirkungen Bedenken. Methotrexat und Ciclosporin sind wegen ihrer Organtoxizität wenig geeignet, vor allem weil wahrscheinlich eine Langzeittherapie notwendig ist. Mit einer Lichttherapie tue ich mich bei einem so kleinen Kind schwer, weil die Frage eines erhöhten Hautkrebsrisikos ungeklärt ist.

Ärzte Zeitung: Bleiben wohl nur die Biologicals?

Reich: Ja. Bei kleinen Kindern mit schwerer Psoriasis würde ich sie bevorzugen. Immerhin ist Etanercept bei 4- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen mit juveniler idiopathischer Arthritis zugelassen, eine Studie mit Adalimumab wird derzeit ausgewertet. Infliximab hat eine Zulassung für 6- bis 17-jährige Patienten mit M. Crohn. Aus den Studien kennt man die Dosis und kann sich daran bei Psoriasis orientieren. Die Rheumatologie hat gezeigt, dass Kinder Biologicals meist gut vertragen, viele Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis und Minderwuchs wachsen sogar wieder schneller.

Ärzte Zeitung: Und bei dem kleinen Mädchen - sind die Hautläsionen damit zurückgegangen?

Reich: Zurückgegangen, ja. Aber die Beihilfe weigert sich, die Kosten zu übernehmen, obwohl sie es eigentlich müsste, denn die Kriterien des Off-Label-Use sind erfüllt. Die Eltern sind jetzt vor Gericht gegangen.

Ärzte Zeitung: Es bestehen ja Aussichten, dass sich die Lage ändert.

Reich: Anfang des Jahres wurde eine erste große Studie zu Etanercept bei Kindern mit Psoriasis veröffentlicht - mit gutem Ansprechen und hoher Sicherheit der Therapie. Daher ist zu erwarten, dass Etanercept als erstes Biological eine Zulassung für diese Indikation erhält, aus Kostengründen wahrscheinlich aber erst für Kinder, bei denen zuvor Methotrexat oder eine Lichttherapie probiert wurde. Bei vielen anderen Krankheiten werden für Kinder keine Studien gemacht, weil sie zahlenmäßig eine kleine Patientengruppe sind. Es ist sehr zu begrüßen, dass für die Behandlung von Hautkrankheiten bei Kindern jetzt neue Wege beschritten werden.

Ärzte Zeitung: Wie häufig ist die Psoriasis bei Kindern?

Reich: Nach einer Untersuchung beträgt in Deutschland die Prävalenz 0,8 Prozent: Fast eines von hundert Kindern hat also Psoriasis. Anderen Studien zufolge haben etwa 10 bis 20 Prozent der Patienten mit Psoriasis erste Hautsymptome vor dem 18. Lebensjahr. Damit ist die Erkrankung zwar seltener als bei Erwachsenen - typisch ist die Erstmanifestation zwischen 20 und 40 - aber doch auch bei Kindern häufig.

Zur Person

Professor Kristian Reich, Facharzt für Dermatologie und Allergologie, praktiziert als Partner am Dermatologikum Hamburg. Einer seiner Schwerpunkte ist die Psoriasis.

DIE STUDIE IN KÜRZE

Frage: Wieviel Prozent der Kinder und Jugendlichen erreichen mit Etanercept nach zwölf Wochen ein PASI-75 -Ansprechen?

Methode: An der Studie nahmen 211 Patienten zwischen vier und 17 Jahren mit mäßiger bis schwerer Psoriasis teil. Die Krankheit dauerte im Median bereits sechs Jahre. In den ersten zwölf Wochen bekam je eine Gruppe Etanercept oder Placebo. Anschließend erhielten alle Patienten den Wirkstoff für weitere 24 Wochen. Danach wurden sie erneut in zwei Gruppen aufgeteilt und bekamen für weitere 12 Wochen Wirkstoff oder Placebo. Der Wirkstoff wurde einmal pro Woche subkutan injiziert, und zwar in einer Dosis von 0,8 mg pro Kilogramm Körpergewicht bis maximal insgesamt 50 mg (NEJM 358, 2008, 241).

Ergebnis: In Woche 12 hatten 57 Prozent der Etanercept-Patienten das PASI-75-Ansprechen erreicht - im Vergleich zu 11 Prozent der Placebo-Patienten.

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