Die Schwäbische Alb im Hanta-Fieber

Fieber, Schmerzen und Nierenprobleme: Im Südwesten grassiert das Hantavirus. Ungewöhnlich viele Menschen sind erkrankt - und es könnten noch mehr werden. Ist das Wetter schuld?

Von Angela Speth Veröffentlicht:
Schöne Natur - mit Nagern und Viren.

Schöne Natur - mit Nagern und Viren.

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STUTTGART. Der jetzige Ausbruch an Hantavirus-Infektionen in Deutschland, besonders in Baden-Württemberg, ist ohne Beispiel.

Nicht nur hat er im Vergleich zu den früheren Ausbrüchen in den Jahren 2007 und 2012 ungewöhnlich früh begonnen, auch die Erkrankungszahlen sind sehr hoch. Und bis zum Sommer erwarten Forscher noch einen weiteren Anstieg.

Von Oktober 2011 bis Ende April 2012 sind in Deutschland insgesamt 852 Erkrankungen durch Hantaviren registriert worden, berichten Wissenschaftler um Dr. Ides Boone vom Regierungspräsidium Stuttgart (Eurosurveillance 2012; 17(21): 1).

580 Patienten oder 64 Prozent leben in Baden-Württemberg. Die Erkrankungswelle startete früher als bei den Ausbrüchen in den Jahren 2007 und 2010, und sie ist der größte, der jemals in diesem Bundesland zwischen Oktober und April vorgekommen ist. 2007 waren in diesem Bundesland "nur" 172 Patienten gemeldet worden, 2010 "nur" 237 Patienten.

Bei dem jetzigen Ausbruch betrug die kumulative Inzidenz auf ganz Deutschland bezogen 1,04 pro 100.000 Einwohner, auf Baden-Württemberg bezogen 5,4 pro 100.000.

In Deutschland allgemein kommen Labor-bestätigte Infektionen von Hantaviren besonders seit 2001 vor. Zwischen 2001 und 2011 rangierte die Zahl der jährlichen Erkrankungen zwischen 72 und 447, im Median waren es 235.

Ausreißer: Im Jahr 2007 wurden bundesweit 1688 Erkrankungen gemeldet worden, im Jahr 2010 waren es 2107.

Jetzige Ausbrüche im Endemie-Gebiet

Wie man einer Ansteckung vorbeugen kann

Wie man sich vor Hanta-Infektionen schützt, darüber informiert das Nationale Konsiliarlaboratorium für Hantaviren der Charité Berlin: Demnach ist es etwa wichtig, Lebensmittel für Nager unzugänglich aufzubewahren, Abfall in verschließbare Mülleimer zu geben, Ritzen und Fugen an Türen, Fenstern und Wänden mit Stahlwolle oder Beton abzudichten. Auch sollte man Schlagfallen mit Ködern wie Pumpernickel, Käse, Rosinen oder Nuss-Nougat-Creme aufstellen, bei starkem Befall Schädlingsbekämpfer oder das Gesundheitsamt hinzuziehen.

Weitere Tipps: Tote Mäuse in eine Plastiktüte geben und diese zuknoten, kontaminierte Flächen sorgfältig reinigen. Beim Ausputzen von Mäusekot durch Befeuchten das Aufwirbeln von Staub minimieren, Gummihandschuhe und Mundnasenschutz tragen, keinen Staubsauger verwenden, weil Viren über die Abluft abgegeben werden. Und danach: Händewaschen nicht vergessen! (ars)

Doch das, was das Robert Koch-Institut (RKI) von November 2011 bis April 2012 beobachtet, kommt diesen Zahlen schon jetzt sehr nahe. Beispiel: In der 17. Kalenderwoche 2012 erreichte die Rate mit 87 fast das historische Wochenmaximum von 96, das 2007 erst in der 22. Kalenderwoche gemeldet worden war.

Die Ausbrüche von 2007 und 2010 starteten jeweils in den ersten Monaten des Jahres und erreichten im Mai und Juni ihren Höhepunkt.

45 Prozent der 580 der baden-württembergischenPatienten stammen aus nur fünf der insgesamt 44 Bezirke, alle im Zentrum dieses südlichen Bundeslandes gelegen: Stuttgart (65 Fälle), Tübingen (34), Esslingen (53), Reutlingen (62) und Göppingen (71).

Die meisten dieser Bezirke liegen in einem Hantavirus-Endemiegebiet auf der Schwäbischen Alb, die mit Feldern und kleinen Wäldern überzogen ist.

72 Prozent der Patienten waren Männer, am häufigsten erkrankten Menschen im Alter zwischen 20 und 59 Jahren. 69 Prozent der Patienten wurden in ein Krankenhaus aufgenommen, und zwar im Mittel für fünf Tage. Todesfälle kamen nicht vor.

Wie die Autoren berichten, ist die Öffentlichkeit bereits Anfang des Jahres 2012 informiert worden, außerdem wurden vorbeugende Maßnahmen empfohlen.

Dazu wurden Mitteilungen über lokale Medien und Ärzte verbreitet. Da weitere Erkrankungen zu erwarten seien, plädieren die Forscher für eine zusätzliche Aufklärung der Bevölkerung über Prävention.

Renale Symptome auffällig

Ausgelöst wird die Infektion nach ihren Angaben von Puumala-Viren, der vorherrschenden humanen Hantavirus-Spezies in West-, Mittel- und Nordeuropa.

Übertragen werden die Keime wahrscheinlich durch Kontakt mit Ausscheidungen von Nagetieren, speziell den Rötel- oder Waldwühlmäusen mit dem wissenschaftlichen Namen Myodes glareolus.

Nach einer Inkubationszeit von zwei bis vier Wochen treten die typischen klinischen Symptome auf: plötzliches Fieber, Kopf- und Rückenschmerzen sowie gastrointestinale Beschwerden.

Auffallend sind die renalen Symptome, die sich als Oligurie und später als ausgeprägte Polyurie äußern. So hatten 86 Prozent der Baden-Württembergischen Patienten Fieber, drei Viertel urologische Symptome, die Hälfte Kopfschmerzen, ein Viertel Rückenschmerzen.

Nach Literaturangaben verläuft lediglich ein Drittel der Infektionen durch Puumala-Viren mit den typischen klinischen Symptomen, so dass anzunehmen ist, dass die tatsächliche Zahl der Infizierten wesentlich höher liegt.

Derzeit existiert keine spezifische antivirale Behandlung, sondern es gibt bloß Ratschläge zur Vorbeugung: Vermeiden der Exposition, etwa das Einatmen von potenziell infiziertem Staub.

Lag es am Wetter?

Die Ursachen für die Ausbrüche sind nicht ganz klar. Einer Hypothese zufolge geht die steigende Inzidenz auf eine rasant gewachsene Populationsdichte der Mäuse zurück, bedingt durch ein günstiges Klima und möglicherweise durch Bucheckern-Mast.

Während solcher Mastjahre reifen extreme Mengen dieser Buchen-Saaten, die eine wichtige Nahrungsquelle für die Mäuse darstellen. Den Ausbrüchen von 2007 und 2011 waren Herbstmonate mit einer Fülle von Bucheckern vorausgegangen, gefolgt von bemerkenswert milden Wintern.

Daraufhin haben sich die Rötel- oder Waldmühlmäuse, die das Reservoir für den Erreger bilden, früh und massiv vermehrt.

Auch der Ausbruch in diesem Jahr könnte auf eine Mast mit Bucheckern im Herbst 20111 zurückgehen. Für 39 Prozent der Patienten liegen Hinweise auf diese Art eine Exposition vor.

Am häufigsten nannten sie das Schlagen und Entrinden von Holz, Aufenthalt im Wald beim Freizeitsport wie Wandern und Jagd, Waldarbeiten, Kontakt mit Mäusen oder Mäusekot, besonders beim Reinigen von Scheunen, Schuppen, Dachböden, Kellern, Gartenhäuschen oder Garagen.

Seit dem Frühjahr 2010 machen das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut) und das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Friedrich Loeffler-Institut) endemische Untersuchungen im Bezirk Böblingen.

Fangversuche mit Mäusefallen ergaben im Oktober 2011 eine Dichte von rund 63 Tieren pro Hektar. Im April 2012 lag diese Zahl bei 76. Dies zeige eine beträchtliche Besiedlungsdichte, entweder bedingt durch hohe Reproduktionsraten im Winter oder Migration.

Serologische und molekulare Test belegen eine kontinuierliche Durchseuchung mit Hantaviren und eine Zunahme der Seroprävalenz.

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