In Pflegeheimen

Fördern Schlafmittel Stürze?

Bewohner im Pflegeheim haben vor einer Hüftfraktur im Schnitt häufiger Schlafmittel genommen als an anderen Tagen. Dies nährt den Verdacht, dass solche Arzneien Stürze begünstigen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Eine Seniorin am Boden: Erhöhen Z-Substanzen die Sturzgefahr?

Eine Seniorin am Boden: Erhöhen Z-Substanzen die Sturzgefahr?

© Peter Atkins/fotolia.com

BOSTON. Schlafmittel genießen nicht gerade eine guten Ruf: Sie begünstigen bei älteren Menschen angeblich eine Demenz und fördern möglicherweise ein frühzeitiges Ableben.

Doch solche Hinweise beruhen meist auf Fall-Kontroll-Studien, die keine kausalen Schlüsse zulassen.

Es könnte also genauso gut sein, dass nicht die Schlafmittel des Teufels sind, sondern die Insomnie, gegen die sie verordnet werden, oder die Krankheiten, die zur Insomnie führen.

Bestätigt wird diese Vermutung in einer großen Kohortenstudie: Hier stürzten unbehandelte Bewohner in Pflegeheimen mit Insomnie noch viel häufiger als solche mit Schlafmitteln.

Welchen Einfluss haben Benzos?

Einen neuen Versuch, etwas mehr Licht in die kausalen Zusammenhänge zu bringen, haben nun Forscher um Dr. Sarah Berry von der Harvard Medical School in Boston gewagt.

Dabei interessierten sie sich für die heute meist verwendeten Benzodiazepin-Rezeptoragonisten Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon. Diesen Wirkstoffen wird eine weniger benebelnde Wirkung nachgesagt als den früher häufig verwendeten Benzodiazepinen.

Das Team um Berry schaute sich nun Daten von über 15.000 Patienten mit Hüftfrakturen in Pflegeheimen an (JAMA Intern Med 2013; online 4. März). 1715 - also 11 Prozent von ihnen - hatten in den 150 Tagen vor der Fraktur eine solche Z-Substanz bekommen.

Die Wissenschaftler verglichen nun bei diesen Patienten den Zeitraum der Einnahme. Sie analysierten, ob in den 30 Tagen vor der Hüftfraktur häufiger Schlafmittel eingenommen wurden als in zwei Kontrollperioden (150 bis 120 Tage vorher sowie 90 bis 60 Tage vorher).

Dieses Design hat den Charme, dass nicht unterschiedliche Patientengruppen verglichen wurden, sondern dieselben Patienten zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Damit lässt sich ausschließen, dass Unterschiede zwischen den Patienten das Ergebnis verzerren.

Das Ergebnis: 54 Prozent der Insomnie-Patienten hatten in den 30 Tagen vor der Hüftfraktur Z-Substanzen bekommen, 36 Prozent waren es in den 15 Tagen davor.

Ergebnisse im Einlang mit anderen Daten

Die Einnahme von Schlafmedikamenten unmittelbar vor der Fraktur war dabei um 66 Prozent häufiger als in den anderen beiden Perioden, in den 15 Tagen davor noch um 47 Prozent.

Hatten die Pflegeheimbewohner erstmals in den 60 Tagen vor der Fraktur Schlafmittel genommen, so geschah auch dies meist in den 30 Tagen vor der Fraktur.

Auch hatten Bewohner mit leichten kognitiven Einschränkungen eher unmittelbar vor der Fraktur Schlafmittel eingenommen als solche mit moderaten oder schweren Einschränkungen.

Die Studienergebnisse liegen damit im Einklang mit Daten anderen Fall-Kontroll-Studien, die ein zweifach erhöhtes Frakturrisiko mit Z-Substanzen nahelegen. In einer Kohortenstudie ergab sich gar eine dreieinhalbfach erhöhte Frakturrate nach Beginn einer Schlafmitteltherapie.

Ursache der Stürze bleibt unklar

Dennoch muss man solche Ergebnisse mit Vorsicht interpretieren, heißt es in einem Kommentar von Dr. Eric Widera von der Universität in San Francisco.

Die Frage, ob es die Schlafmittel sind, oder die Schlafstörung, lässt sich auch mit der neuen Studie von Berry und Mitarbeitern nicht klar beurteilen.

Zwar wurden hier in einer Art Cross-over-Design Insomnie- Patienten untereinander verglichen, aber es besteht die Möglichkeit, dass die Patienten vor allem dann intensiv mit Medikamenten behandelt wurden, wenn sie auch ausgeprägte Schlafstörungen hatten.

Nach Beurteilung der Datenlage, so Widera, muss man wohl davon ausgehen, dass sowohl die Schlafmedikamente als auch die Schlafstörungen zum Sturzrisiko beitragen. Am besten wäre es daher, Maßnahmen zu ergreifen, die Schlafstörungen reduzieren.

Der Geriater bemängelt zudem, dass in Studien kaum geprüft wurde, ob sich mit solchen Maßnahmen das Sturzrisiko senken lässt.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zeit für bessere Studien

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