hkk-Auswertung

Immer mehr Kinder leiden an Autismus

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Kinder mit einer autistischen Störung verdoppelt. Jungen sind doppelt so häufig betroffen wie Mädchen, zeigt eine Studie der Bremer hkk Krankenkassen.

Veröffentlicht:
Kind schaut nach links, den Arm auf dem Kopf abgelegt.

Mehr Jungen als Mädchen betroffen: Hormonelle und soziale Gründe könnten dafür die Gründe sein (Symbolbild mit Fotomodell).

© Juan Monino / Getty Images / iStock

Bremen. Immer mehr Kinder in Deutschland leiden unter Autismus. Die Daten der Bremer hkk Krankenkassen zeigen, dass sich die Betroffenenquote in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt hat und zwar von 0,4 Prozent im Jahr 2013 auf 0,8 Prozent im Jahr 2022. Derzeit wird die Prävalenz autistischer Störungen weltweit mit 0,5 - 1 Prozent angegeben. Deutschland liegt also im Durchschnitt.

Im vergangenen Jahr waren insgesamt 1,1 Prozent aller bei der hkk versicherten Jungen beziehungsweise jungen Männer im Alter von 0-24 Jahren von ASS betroffen, teilte die hkk am Mittwoch mit, und damit mehr als doppelt so oft wie weibliche Versicherte in dieser Altersgruppe (0,5 Prozent). „In anderen Studien waren Jungen sogar drei- bis viermal häufiger betroffen“, schreibt die hkk.

Hormone machen den Unterschied

Vor allem genetische, aber auch hormonelle und soziale Ursachen könnten Gründe sein für den Unterschied. Der Bremer Kinderarzt und Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bremen, Dr. Stefan Trapp, erklärt, dass betroffene Mädchen stärkere psychiatrische Begleiterkrankungen aufweisen müssen, um eine ASS-Diagnose zu erhalten. „Vermutet wird auch, dass betroffene Mädchen und Frauen wegen unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen soziale Beeinträchtigungen teilweise besser kompensieren können als ihre gleich stark betroffenen männlichen Altersgenossen“, sagt Trapp.

Autismus gilt laut ICD-10 als Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems und wird diagnostisch in fünf Gruppen unterteilt. Laut hkk-Datenanalyse haben die meisten Betroffenen „frühkindlichen Autismus“ (36,8 %) und das „Asperger-Syndrom“ (31,9 %). Da sich die Formen überschneiden und in verschiedener Ausprägung auftreten können, verwende der neue ICD-11 der Oberbegriff „Autismus-Spektrum-Störung“ verwendet.

Jeder zweite Betroffene leidet an Begleiterkrankungen

Wie hoch der individuelle Leidensdruck ist, zeige, dass mehr als die Hälfte (53,6 Prozent) aller ASS-Betroffenen mindestens eine weitere kinder- und jugendpsychiatrische Begleiterkrankung, wie Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS: 33,1 Prozent) oder Angststörung (24,6 Prozent) aufwiesen.

„Die Mehrzahl der Betroffenen leidet an zusätzlichen, mit den ASS-verbundenen psychischen Störungen oder somatisch-neurologischen Erkrankungen, die häufig eine medikamentöse (Mit-)Behandlung erfordern“, erklärt Trapp. Das bestätigen die hkk-Daten: 27,3 Prozent der Betroffenen erhielten Psychopharmaka. Auf dem ersten Platz lagen dabei ADHS-Medikamente (14,2 Prozent, gefolgt von Antipsychotika (6,7 Prozent) und Antidepressiva (6,5 Prozent).

Nicht-medikamentöse Behandlungen wie Psychotherapien erhielt jeder Dritte (30,0 Prozent), gefolgt von Ergotherapien (20,9 Prozent) und Logopädie (18,3 Prozent). Eine Behandlung durch qualifizierte Therapeuten solle möglichst rasch nach der Diagnosestellung ermöglicht werden, betonte Trapp. Ziel der eingesetzten Therapien ist die Verbesserung der individuellen Lebensqualität und Förderung der alltagspraktischen Kompetenz der Betroffenen. (cben)

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Kommentare
E D 20.07.202311:04 Uhr

Die Schlagzeile stellt leider eine schwerwiegende Fehlinterpretation der Daten dar.

Die Daten zeigen, dass immer mehr Kinder mit der Diagnose Autismus behandelt werden. Es handelt sich um eine administrative Prävalenz, nicht um die zugrunde liegende Prävalenz in der Bevölkerung. Und gerade im Zeitverlauf der letzten Jahre hat sich hier viel geändert.

Von der Ärztezeitung hätte ich eigentlich mehr Verständnis für die Interpretation von Routinedaten erwartet.

E D antwortete am 20.07.202319:45 Uhr

Es wird suggeriert, dass "Immer mehr Kinder leiden an Autismus". Als Beleg werden Behandlungsdaten geliefert, die ja nur die Behandlung abbilden. Bleibt eine Erkrankung unerkannt, wird sie nicht behandelt, oder wird vom Arzt eine andere Diagnose angegeben, dann wird ein Kind, der eventuell unter Autismus leidet, nicht gezählt.

Gerade bei Autismus ist davon auszugehen, dass Behandlungsdaten nicht gleich Prävalenzdaten sind. Aber auch bei anderen Erkrankungen (z.B. Diabetes) darf man Routinedaten nicht mit Prävalenz in der Bevölkerung gleich setzen. Die Routinedaten sind hilfreich und informativ, aber eben nicht hinsichtlich der Prävalenz vollständig.

Alexander Joppich antwortete am 20.07.202315:50 Uhr

Guten Tag, ich verstehe leider nicht, was Sie meinen: Inwiefern ist die Überschrift eine Fehlinterpretation? Der Autor berichtet, dass sich die Anzahl der Kinder, die wegen Autismus behandelt werden, laut Daten einer Krankenkasse verdoppelt hat. Ob die hkk-Daten repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind, kann Christian Benecker natürlich nicht sagen.

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