In der Diskussion - Akupunktur bei Kopfschmerzen

Der Tag der Entscheidung rückt näher: Am 18. April wird eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses erwartet, ob die etwa 15 000 Ärzte, die Akupunkturen anbieten, ihre Leistungen über die KBV abrechnen können. Die KBV ist dagegen, Krankenkassen und nicht stimmberechtigte Patientenvertreter sind dafür. Grundlage der Entscheidung sind unter anderem zwei kontrollierte Migräne-Studien: ART- und GERAC.

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Axel Heinze, Katja Heinze-Kuhn und Hartmut Göbel

Die Akupunktur gehört zu den von Schmerz-Patienten nachgefragten alternativen Therapieverfahren. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt, und kontrollierte Studien, die den wissenschaftlichen Anforderungen genügen, haben bis vor kurzem nicht vorgelegen.

Die Schulmedizin lehnt eine empirisch wirksame Behandlungsmethode, deren Wirkmechanismus unbekannt ist, jedoch nicht grundsätzlich ab. Man denke zum Beispiel an die medikamentöse Migräne-Prophylaxe mit Betarezeptorenblockern - weltweit eine Behandlungsoption der ersten Wahl, ohne daß der genaue Wirkmechanismus bekannt wäre.

Der Nachweis von Effektivität und Verträglichkeit im Vergleich mit geeigneten Kontrollgruppen wird spätestens auch bei alternativen Therapieverfahren ein Thema, wenn es um die Frage der Kostenübernahme der Behandlung durch die gesetzlichen Krankenkassen geht. Ein aktuelles Beispiel ist der Einsatz der Akupunktur bei Kopfschmerzen.

Noch im Jahre 2001 kamen die Autoren einer umfangreichen Metaanalyse von Dieter Melchart und Kollegen (Cochrane Database Systematic Review) zu dem Schluß, daß trotz 26 auswertbarer Studien die Datenlage zur Wirksamkeit der Akupunktur bei idiopathischen Kopfschmerzerkrankungen (Spannungskopfschmerzen und Migräne) weder qualitativ noch quantitativ überzeugend sei.

Aufgrund ähnlicher Schlußfolgerungen legte der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen bereits im Jahre 2000 fest, daß die Übernahme der Kosten einer Akupunkturbehandlung bei Patienten mit chronischen Kopfschmerzen durch die gesetzlichen Krankenkassen ausschließlich im Rahmen wissenschaftlich begleiteter Modellvorhaben möglich sei.

Im Mai 2005 haben Privatdozent Dr. Klaus Linde und Mitarbeiter (JAMA 293, 2005, 2118) und aktuell im März 2006 Professor Hans-Christoph Diener und Mitarbeiter (Lancet Neurology 5, 2006, 310) nun die Ergebnisse zweier derartiger Modellvorhaben deutscher Krankenkassen zur Prophylaxe der Migräne mittels Akupunktur vorgestellt. Es handelt sich in beiden Fällen um randomisierte, kontrollierte Studien.

ART-Studie

In der dreiarmigen ART-Studie (Acupuncture Randomized Trial) von Linde und Mitarbeitern wurde die Wirksamkeit einer Akupunkturbehandlung (n = 145) geprüft. Die eine Kontrollgruppe erhielt eine Sham-Akupunktur (sham acupuncture, d. h. vorgetäuschte Akupunktur; n = 81), die andere Kontrollgruppe (n = 76) wurde auf eine Warteliste ohne Behandlung gesetzt.

Die Akupunktur wurde entsprechend den Prinzipien der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) nach einem semistandardisierten Behandlungsplan vorgenommen, der im Konsensus von Akupunkturexperten und Akupunkturgesellschaften erarbeitet worden war. Die Behandlung umfaßte zwölf Sitzungen von je 30 Minuten Dauer über acht Wochen verteilt. Ein Teil der Akupunkturpunkte war vorgegeben, die übrigen Punkte konnten individuell ausgewählt werden. Maximal 25 Nadeln pro Sitzung waren erlaubt. Die Auswahl von Nadeldurchmesser und -länge blieb dem Akupunkteur überlassen.

Die Sham-Akupunktur erfolgte in gleicher Häufigkeit, Dauer und Frequenz. Die mindestens fünf bilateralen Akupunkturpunkte wurden aus einer vorgegebenen Liste von zehn Nichtakupunkturpunkten ausgewählt, die einen Mindestabstand zu den Akupunkturpunkten der TCM aufwiesen. Die Behandlung erfolgte standardisiert mit feinen Nadeln und ausschließlich oberflächlich ohne weitere Manipulation. Nach den Prinzipien der Traditionellen Chinesischen Medizin handelte es sich damit um eine Sham-Akupunktur.

Patienten der Warteliste erhielten über zwölf Wochen weder eine Akupunktur oder Sham-Akupunktur noch eine medikamentöse Prophylaxe. Nach den zwölf Wochen Wartezeit erfolgte dann eine TCM-Akupunktur wie oben beschrieben.

Hauptzielparameter war die Veränderung der Anzahl von Kopfschmerztagen mit mittelstarker oder starker Intensität in den vier Wochen vor Randomisierung (Vorlaufphase) im Vergleich zu den Wochen 9 bis 12 nach Randomisierung. Zu den sekundären Zielparametern zählte die Responderrate. Diese war als Anteil der Patienten definiert, bei denen die Zahl der Kopfschmerztage um mindestens 50 Prozent reduziert werden konnte.

Ergebnisse: Vor Studienbeginn betrug die Zahl der Migränetage pro Monat im Mittel 5,2 Tage (5,2 Tage in der TCM-, 5,0 Tage in der Sham- und 5,4 Tage in der Warte-Gruppe). Sowohl für den Hauptzielparameter (Reduktion der Migränetage) als auch für alle sekundären Zielparameter fand sich eine statistische Überlegenheit von Akupunktur und Sham-Akupunktur im Vergleich zur Nicht-Behandlung (Warteliste). So ging in beiden Behandlungsgruppen die Zahl der Kopfschmerztage um 2,2 Tage pro Monat zurück (Warteliste: -0,8 Tage). Die Responderrate in der TCM-Gruppe lag bei 51 Prozent, in der Sham-Gruppe bei 53 Prozent und in der Warte-Gruppe bei 15 Prozent.

In der TCM-Gruppe kam es bei 25 Prozent der Patienten zu unerwünschte Wirkungen, in der Sham-Gruppe bei 16 Prozent. In der TCM-Gruppe wurde im Vergleich zur Sham-Gruppe häufiger über die Auslösung von Kopfschmerzen oder Migräne durch die Behandlung (10 vs. 2 Patienten), über Müdigkeit (6 vs. 1) und über Hämatome (4 vs. 2) berichtet.

Die Studienautoren kamen daher zum dem Schluß, daß bei Migräne eine Akupunktur entsprechend den Prinzipien der TCM und eine Sham-Akupunktur ähnlich wirksam sind, wobei beide einer Nicht-Behandlung (Warteliste) überlegen sind.

Bei der Diskussion der Ergebnisse stand die unerwartet hohe Wirksamkeit der Scheinakupunktur im Mittelpunkt. Spekuliert wurde zwar auch über mögliche physiologische Effekte der Sham-Akupunktur. Vor allem aber wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit sowohl TCM-Akupunktur als auch Sham-Akupunktur mit einem potenten Placeboeffekt assoziiert sind. So weist eine Akupunkturbehandlung durchaus Charakteristika auf, die mit hohen Placebowerten in Verbindung gebracht werden: theoretischer Überbau, die Betonung des Individuums als Ganzes, häufige Arzt-Patienten-Kontakte und das wiederholte Ritual der Nadelung.

GERAC-Migräne-Studie

In die randomisierte, dreiarmige Studie von Diener und Mitarbeitern (GERAC-Migräne-Studie, German Acupuncture Trial) wurde die Wirksamkeit von Akupunktur (n = 290) und Sham-Akupunktur (n = 317) mit der einer medikamentösen Standardprophylaxe mit Betablockern, Flunarizin oder Valproinsäure (n = 187) verglichen.

Die Akupunktur erfolgte wiederum entsprechend den Prinzipien der TCM nach einem semistandardisierten Behandlungsplan, für dessen Erarbeitung die internationale Literatur herangezogen wurde und internationale Experten konsultiert wurden. Die Behandlung erfolgte in zehn Sitzungen von je 30 Minuten Dauer über sechs Wochen verteilt; eine Verlängerung um fünf Sitzungen war gestattet, wenn die behandelnden Ärzte die Wirksamkeit als nicht ausreichend einschätzten. Pro Sitzung wurden 10 bis 25 Nadeln an obligatorischen und zusätzlichen Akupunkturpunkten gesetzt. Für Nadeldurchmesser und -länge sowie Einstichtiefe waren Ober- und Untergrenzen vorgegeben.

Die Sham-Akupunktur erfolgte in gleicher Häufigkeit, Dauer und Frequenz. Die in einer Liste vorgegebenen maximal sechs Behandlungspunkte an Oberarm, Oberschenkel und unterhalb der Skapula lagen in Hautbereichen, in denen keine TCM-Akupunkturpunkte bekannt sind. Die Einstichtiefe betrug maximal 3 mm, eine manuelle Stimulation war untersagt.

Die Patienten der Standardtherapiegruppe wurden entsprechend den Therapierichtlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft mit Betablockern, Flunarizin oder Valproinsäure behandelt. Während der Studie erfolgten sechs bis sieben Patientenkontakte.

Hauptzielparameter war die Veränderung der Anzahl von Migränetagen in den vier Wochen vor Randomisierung (Vorlaufphase) im Vergleich zu den Wochen 23 bis 26 nach Randomisierung. Zu den sekundären Zielparametern zählte auch wieder die Responderrate.

Ergebnisse: Vor Studienbeginn betrug die Zahl der Migränetage pro Monat im Mittel 6,1 Tage (6,0 Tage in der TCM-, 5,8 Tage in der Sham-Gruppe und 6,4 Tage in der Gruppe mit medikamentöser Prophylaxe). In allen drei Behandlungsarmen nahm die Zahl der Migränetage im Untersuchungszeitraum signifikant ab (um im Mittel 1,5 bis 2,3 Tage), die Unterschiede zwischen den Gruppen waren nicht signifikant. Die Responderrate betrug in der TCM-Gruppe 47 Prozent, in der Sham-Gruppe 39 Prozent und in der Standardtherapie-Gruppe 40 Prozent. Auch diese Unterschiede waren nicht signifikant.

Die Studienautoren stellen daher fest, daß die Behandlungsergebnisse von TCM-Akupunktur, Sham-Akupunktur und Standardtherapie ähnlich sind.

Auch diese Autoren beschäftigen sich in der Diskussion mit der für sie überraschend gleichen Wirksamkeit von TCM- und Sham-Akupunktur. Erneut wird ein großer Placeboeffekt diskutiert.

Dr. Axel Heinze, Dr. Katja Heinze-Kuhn, Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel, Heikendorfer Weg 9-27, 24149 Kiel, Tel.: 0431 / 200-9950, Fax: 200-9935, E-Mail: Kiel@schmerzklinik.de, www.schmerzklinik.de

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