Interview

"Koloskopie bleibt Goldstandard für die Darmkrebsprävention"

Professor Markus Lerch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), betont den Stellenwert der Vorsorge-Koloskopie.

Von Dr. Georg Ralle Veröffentlicht:

Professor Dr. Markus Lerch

&copy Pressestelle der Universitätsmedizin Greifswald

Seit 2003 Direktor der Klinik für Innere Medizin A der Universitätsmedizin Greifswald

Seit 2011 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten

Studium der Medizin und Kunstgeschichte an den Universitäten Freiburg, Glasgow, Toronto und Massachusetts

Ärzte Zeitung: Herr Professor Lerch, Sie unterstützen das Netzwerk gegen Darmkrebs Weise mit Rat und Tat. Wenn Sie einen kurzen Rückblick auf den Kongress der DGVS in Nürnberg werfen, wo sehen Sie wichtige Ansätze zur Prävention und Diagnostik, die für unsere Mitglieder von Bedeutung sein könnten?

Prof. Markus M. Lerch: Ergebnisse, die auf der DGVS- Tagung sehr intensiv diskutiert worden sind, beziehen sich vor allen Dingen auf zwei im New England Journal of Medicine erschienenen Studien.

In der ersten von Nishihara und Kollegen mit 89.000 Teilnehmern in 22 Jahren wurde der Einfluss der Koloskopie auf das Gesamtüberleben untersucht. Hierbei fand sich, dass eine Vorsorge-Sigmoidoskopie das Risiko, an einem Kolonkarzinom zu sterben, um ein Drittel senkt, eine vollständige Vorsorge-Koloskopie dagegen um mehr als zwei Drittel. Hiermit ist eindeutig belegt, welchen Wert die Vorsorgekoloskopie auch für das Überleben der Patienten hat.

In einer zweiten Studie mit 46.500 Teilnehmern, bei denen auf okkultes Blut im Stuhl untersucht wurde, fand sich eine Reduktion der Krebssterblichkeit um 20 Prozent bei zweijährigem Screening-Intervall und um 33 Prozent bei einjährigem Screening-Intervall.

Zwar lassen sich die Studien nicht direkt vergleichen, aber die Koloskopie scheint immer noch der Goldstandard für die Darmkrebsprävention zu bleiben.

Ein wichtiges Thema für die Fachgesellschaft könnte auch die Qualitätssicherung sein. Was sind Aktivitäten der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten auf diesem Gebiet?

Lerch: Hier gibt es mehrere Initiativen. Zum einen stehen zwei Leitlinien aus der Sektion Endoskopie kurz vor dem Abschluss. Die eine widmet sich den technischen, apparativen und personellen Voraussetzungen, die heute an eine qualitativ hochwertige Endoskopie angelegt werden müssen.

Die zweite setzt sich mit der Sedierung in der Endoskopie auseinander. Um die Umsetzung der Leitlinien wird sich eine eigene Arbeitsgemeinschaft der DGVS kümmern, die sich ausschließlich dem Thema Qualitätssicherung widmen wird.

Wird die Arbeitsgruppe auch von Beginn an Sektoren übergreifend arbeiten? Werden niedergelassenen Gastroenterologen einbezogen?

Lerch: Hier sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Selbstverständlich kann die DGVS keine Qualitätsstandards definieren, die nicht von allen Gastroenterologen in Praxis oder Klinik mitgetragen werden.

Gerade unsere niedergelassenen Kollegen sind ganz besonders engagiert bei der Mitwirkung an den Leitlinien und der Definition der Qualitätsstandards. Nicht zuletzt diesem Engagement ist das hohe Qualitätsniveau der ambulanten Endoskopie in Deutschland zu verdanken.

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Arbeitsgruppe wird sicher eine verbindliche Leitlinie sein. Ist daran gedacht, sich die europäischen Leitlinien als Vorbild zu nehmen oder diese "nur" zu ergänzen?

Lerch: Unsere Leitlinien gehen häufig deutlich über die Qualitätsanforderungen von europäischen Leitlinien hinaus. Sicher werden Empfehlungen auf europäischer Ebene nicht unberücksichtigt bleiben, aber wir legen sehr großen Wert darauf, dass die DGVS-Leitlinien an die deutsche Versorgungslandschaft angepasst sind.

Lassen Sie mich auf das Thema sektorenübergreifend zurückkommen. Liegt nicht gerade hier eine der großen Herausforderungen: Können wir uns das "Silodenken" überhaupt noch leisten?

Lerch: Kein anderes Land leistet sich ein Medizinsystem, in dem die ambulante und die stationäre Krankenversorgung nicht nur in völlig getrennten Abrechnungssystemen, sondern in verschiedenen Rechtssystemen arbeiten.

Dies führt zu großen Schnittstellenproblematiken und Informationsverlusten, wenn Patienten aus dem ambulanten Sektor ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen oder von dort wieder entlassen werden.

Gerade in der Gastroenterologie möchten wir Modelle entwickeln, die es erlauben, dass Kollegen aus der Praxis im Krankenhaus arbeiten und umgekehrt. Bei sich zunehmend verschärfenden Personalmangel, gerade auch in der Gastroenterologie, müssten kreative Modelle gefunden werden, die eine Vernetzung der Sektoren erlauben.

Da die DGVS die Muttergesellschaft aller Gastroenterologen ist, egal, in welchem Sektor sie arbeiten, kann sie solche sektorübergreifenden Modellversuche vielleicht besonders gut begleiten.

Das Netzwerk setzt sich nachdrücklich für neue, hochsensitive Früherkennungsmethoden ein. Sehen Sie in naher Zukunft die Chance, dass Ihre Kollegen den Patienten einen Test empfehlen können, der deutlich besser als die konventionellen Tests ist und der auch von der GKV erstattet wird?

Lerch: In der Tat gibt es neuere Testverfahren zur Früherkennung von Kolonkarzinomen, deren Sensitivität und Spezifität über die des konventionellen Guajak-Tests auf okkultes Blut hinauszugehen scheinen.

Um den Wert dieser Tests abschließend beurteilen zu können, müsste sich die Industrie auf einen gemeinsamen Bewertungsstandard einigen, weil sonst jeder Hersteller seine eigenen Definitionen veröffentlicht. Ich bin aber sehr optimistisch, dass die Entwicklung immunologischer Tests auf okkultes Blut im Stuhl einen Fortschritt in der Krebsfrüherkennung für das Kolonkarzinom erbringen wird.

Was können wir von unseren europäischen Nachbarn in Sachen Prävention und Früherkennung lernen?

Lerch: Unsere europäischen Nachbarn haben sehr viele innovative Ideen und Projekte in den letzten Jahren lanciert. Eine flächendeckende Früherkennung wie in Deutschland gibt es in den meisten Nachbarländern aber nicht.

Hier hat Deutschland eine eindeutige Vorreiterrolle, die in erster Linie der Bereitschaft der Politik geschuldet ist, Darmkrebsvorsorge auf die Agenda zu setzen und diese über die Krankenkassen zu finanzieren.

Hinzu kommt die hervorragende Qualität der Vorsorgekoloskopie im niedergelassenen Bereich. In diesem Feld stehen wir besser da als unsere Nachbarn.

Die Karten in Berlin sind durch die Bundestagswahl neu gemischt worden. Wenn Sie dem neuen Gesundheitsminister zwei Themen auf die Prioritätenliste setzen könnten, welche wären das?

Lerch: Meine höchste Priorität hätte die Überwindung der Sektorengrenze. Ich halte die seit den 50er Jahren in Deutschland bestehende Trennung in eine ambulante und eine stationäre Versorgung für eine der größten Verschwendungen volkswirtschaftlicher Ressourcen.

Das deutsche Medizinsystem ist unschlagbar im Komfort und im Zugang für den Patienten. Dies bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass jeder Anbieter versucht, grundsätzlich alles überall anzubieten.

Unsere Nachbarn in Skandinavien und den Niederlanden haben längst eine andere Richtung eingeschlagen, die eine höhere Spezialisierung und bessere Expertise auf weniger Standorte konzentriert. Dies trägt wesentlich zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität bei. Ich wäre dankbar für eine Reform, die die Qualität in den Vordergrund rückt und nicht mehr die Menge der erbrachten Leistungen.

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