Künstliche Beta-Zellen

Neue Therapie-Option bei Diabetes?

Forscher aus der Schweiz haben aus menschlichen Nierenzellen Beta-Zellen hergestellt. Die künstlichen Beta-Zellen sind dabei – genau wie ihre natürlichen Vorbilder – sowohl Zuckersensoren als auch Insulinproduzenten.

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ZÜRICH. Mit einem einfachen Ansatz hat ein Forscher-Team um Professor Martin Fussenegger vom Departement Biosysteme der Eidgenössischen Technische Hochschule Zürich (ETH) künstliche Beta-Zellen hergestellt. Diese können alles, was die natürlichen Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse auch leisten: Sie ermitteln die Glukosekonzentration im Blut, und sie bilden genügend Insulin, um den Blutzuckerspiegel wirkungsvoll zu senken (Science 2016, online 8. November).

Bisherige Ansätze zur Herstellung solcher Zellen beruhten auf Stammzellen, die Forscher zu Beta-Zellen ausreifen ließen, berichtet die ETH in einer Mitteilung. Dies geschah entweder durch Zugabe von Wachstumsfaktoren oder durch den Einbau von komplexen genetischen Netzwerken.

Für ihren neuen Ansatz verwendeten die ETH-Forscher eine Zelllinie, die auf menschlichen Nierenzellen beruht, sogenannte HEK-Zellen. Die Wissenschaftler nutzten die natürlichen Glukose-Transportproteine und Kalium-Kanäle in der Membran der HEK-Zellen. Diese erweiterten sie um einen spannungsabhängigen Kalziumkanal sowie um Gene zur Produktion von Insulin und dem Hormon Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1), das ebenfalls an der Regulierung des Blutzuckerspiegels beteiligt ist.

Eingebaute Signalkaskade

Das Ergebnis: In den künstlichen Beta-Zellen befördert das natürliche Glukose-Transportprotein der HEK-Zellen Glukose aus dem Blut ins Zellinnere. Sobald der Blutzuckerspiegel eine gewisse Schwelle überschreitet, schließen sich die Kalium-Kanäle. Dadurch kippt die Spannungsverteilung an der Membran, die Kalzium-Kanäle öffnen sich und das einströmende Kalzium löst eine in die HEK-Zellen eingebaute Signalkaskade aus.

An deren Ende stehen die Produktion und Ausschüttung von Insulin und GLP-1. Die Wissenschaftler testeten die künstlichen Beta-Zellen vorerst in Mäusen. Dabei entpuppten sich die Zellen als äußerst leistungsfähig: "Sie funktionierten besser und länger als alle bisher weltweit erreichten Lösungen", betont Fussenegger in der Mitteilung. Wurden die modifizierten HEK-Zellen in die diabeteskranken Mäusen implantiert, produzierten sie die Botenstoffe zuverlässig und die freigesetzten Mengen reichten aus, um die Blutzuckerspiegel während drei Wochen zu regulieren.

Hilfreiches Modell zum Zellverhalten

Für die Entwicklung der künstlichen Zellen war ein Computermodell hilfreich, das Forscher um Professor Jörg Stelling vom Departement Biosysteme der ETH Zürich entwickelt haben, heißt es in der Mitteilung weiter. Mit dem Modell lassen sich Prognosen des Zellverhaltens erstellen, die dann experimentell überprüft werden können. "Die Daten aus den Experimenten waren fast deckungsgleich mit den in den Modellen errechneten Daten", betont Fussenegger.

Er und seine Gruppe beschäftigen sich schon länger mit biotechnologischen Lösungen zur Therapie von Diabetes. Vor mehreren Monaten präsentierten sie Beta-Zellen, die sie aus Fettstammzellen eines Menschen herangezüchtet haben. Diese Technik ist allerdings teuer, da die Beta-Zellen für jeden Patienten individuell hergestellt werden müssen. Die neue Lösung wäre günstiger, da dieses System für alle Diabetiker passt.

Noch ein langer Weg zur Marktreife

Wann die künstlichen Beta-Zellen für die Diabetes-Therapie zur Verfügung stehen könnten, ist allerdings schwer zu beurteilen. Sie müssen erst verschiedene klinische Tests durchlaufen, ehe sie bei Patienten verwendet werden könnten. Solche Tests sind aufwändig und dauern in der Regel mehrere Jahre. "Meistern unsere Zellen alle Hürden, könnten sie in zehn Jahren auf den Markt kommen", schätzt Fussenegger.

Neue Diabetes-Therapien werden dringend gebraucht: Im Jahr 2040 werden über 640 Millionen Menschen weltweit an Diabetes erkrankt sein, schätzt die International Diabetes Federation (IDF). In Deutschland sind heute bereits 6,5 Millionen Menschen betroffen. Etwa jeder Zwanzigste davon leidet an Typ-1-Diabetes. Bei den Betroffenen zerstört das körpereigene Immunsystem restlos die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Typ-1-Patienten könnten also von künstlichen Beta-Zellen besonders profitieren. (eb/eis)

HEK-Zellen Zelllinie:

Human Embryonic Kidney-Zellen werden in der Zellbiologie seit der 70-er Jahren wegen der einfachen Handhabung eingesetzt.

Die HEK-293-Zelllinie wird oft bei der Entwicklung von Virus-Impfstoffen, Chemotherapeutika sowie zur Produktion von rekombinanten Adenovirus-Vektoren verwendet. Sie kann gut in serumfreien Medien kultiviert werden.

Die schweizer Wissenschaftler nutzten die natürlichen Glukose-Transportproteine und Kalium-Kanäle in der Membran der HEK-Zellen. Diese erweiterten sie um einen spannungsabhängigen Kalziumkanal sowie um Gene zur Produktion von Insulin und dem Hormon Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1).

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