Schweizer Studie

Placebo-Effekt – Besser erklären statt täuschen

Bei manchen Beschwerden wirken offen verabreichte Placebos genauso gut wie Placebos, die als Täuschung abgegeben werden – wenn sie erklärt werden.

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BASEL. Die erfolgreiche Behandlung bestimmter körperlicher und psychischer Beschwerden kann zu einem bedeutenden Anteil durch den Placeboeffekt erklärt werden, erinnert die Universität Basel in einer Mitteilung. Eine ethische Frage dabei ist, wie sich der Effekt nutzen lässt, ohne die Patienten zu täuschen. Neueste empirische Studien zeigen, dass Placebos, die offen verabreicht werden, bei körperlichen Beschwerden wie chronischen Rückenschmerzen, Reizdarmsyndrom, episodischer Migräne und Rhinitis klinisch bedeutsame Effekte zeigen.

Forscher der Universität Basel haben nun gemeinsam mit Kollegen der Harvard Medical School die offene Placebo-Vergabe mit einer getäuschten verglichen (Pain 2017; online 12. Juli). Dafür führte das Team eine experimentelle Studie mit 160 gesunden Probanden durch, denen am Unterarm ansteigende Hitze mittels einer Wärmeplatte zugeführt wurde. Die Studienteilnehmer wurden gebeten, den Temperaturanstieg manuell zu stoppen, sobald sie die Hitze nicht mehr aushalten. Danach sollte der Schmerz mit einer Creme gelindert werden.

Bei dem Versuch wurde ein Teil der Probanden getäuscht: Ihnen wurde gesagt, dass sie eine Schmerzcreme mit dem Wirkstoff Lidocain erhalten, bei der es sich aber in Wirklichkeit um ein Placebo handelte. Andere Probanden erhielten eine Creme, die deutlich mit "Placebo" beschriftet war; sie wurden zusätzlich während einer Viertelstunde über den Placeboeffekt, sein Zustandekommen und seine Wirkungsmechanismen informiert. Eine dritte Gruppe erhielt eine offene Placebo-Creme, jedoch ohne weitere Erläuterungen dazu.

Die Probanden der beiden ersten Gruppen berichteten nach dem Experiment von einer signifikanten Abnahme der Schmerzintensität und -unannehmlichkeit. "Die bisherige Annahme, dass Placebos nur wirken, wenn sie mittels Täuschung verabreicht werden, sollte neu überdacht werden", wird Erstautorin Dr. Cosima Locher von der Fakultät für Psychologie der Universität Basel in der Mitteilung der Universität zitiert.

Wenn ausführliche Erläuterungen über den Placebo-Effekt fehlten – wie in der dritten Gruppe der Studie –, berichteten die Probanden von deutlich intensiverem und unangenehmerem Schmerz. Bei der Placebo-Vergabe entscheidend sind demnach die begleitenden Informationen und die Kommunikation; die Forscher sprechen hier von einem Narrativ. Damit unterscheidet sich der ethisch problematische Aspekt von Placebos, die Täuschung, möglicherweise nicht von einem transparenten und überzeugenden Narrativ. "Eine offene Abgabe eines Scheinmedikaments bietet neue Möglichkeiten, den Placebo-Effekt auf ethisch vertretbare Weise zu nutzen", so Mitautor Professor Jens Gaab, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel. (eb)

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