Mikroglia

Schmuggler für Gliomzellen

Veröffentlicht:

HEIDELBERG. Wissenschaftler aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Universitätsklinikum Heidelberg haben eine Ursache für die Therapieresistenz von Hirntumoren entdeckt.

In den Tumor eingewanderte Mikrogliazellen versorgen die Krebszellen mit einer Substanz, die zur Reparatur von DNA-Schäden erforderlich ist, die Quinolinsäure (Cancer Research 2013, online 2. April). Dadurch entgehen die Zellen dem programmierten Zelltod Apoptose.

Ließe sich dieser Resistenzmechanismus blockieren, könnten bösartige Hirntumoren möglicherweise wirkungsvoller behandelt werden, teilt das DKFZ mit.

Neue Therapie-Möglichkeiten benötigt

Gliome entstehen aus den Stützzellen des zentralen Nervensystems, den so genannten Astrozyten.

"Bei der Behandlung bösartiger Gliome kombinieren wir Strahlentherapie und das Medikament Temozolomid. Bei einigen Patienten entwickeln die Tumoren jedoch rasch Resistenzen gegen beide Behandlungsverfahren", wird der Neuroonkologe Professor Michael Platten zitiert.

Platten leitet eine Kooperationseinheit des DKFZ und der Abteilung Neuroonkologie des Uniklinikums Heidelberg. "Wir brauchen daher dringend neue Möglichkeiten, diese Erkrankungen wirksamer zu behandeln."

Chemo- und Strahlentherapien schädigen das Erbgut der Tumorzellen. Die DNA-Defekte lösen wiederum automatisch das Selbstmordprogramm Apoptose aus.

Doch Tumorzellen schützen sich mit einem effizienten DNA-Reparatursystem vor den Folgen der Therapie und damit vor dem Zelltod, erinnert das DKFZ in seiner Mitteilung.

Die wichtigsten DNA-Reparaturwerkzeuge der Zelle funktionieren nur dann, wenn das Molekül NAD+ vorhanden ist.

Läuft die DNA-Reparatur auf Hochtouren, etwa während einer Strahlentherapie, sind die NAD+-Vorräte einer Krebszelle schnell erschöpft, so dass DNA-Schäden nicht repariert werden und der Zelltod eintrittKrebsforscher versuchten daher, mit Medikamenten künstlich einen NAD+ Mangel herbeizuführen und so eine Therapieresistenz zu verhindern, so das DKFZ.

Bösartige Gliome enthalten Quinolinsäure

Wirkstoffe, die das NAD+-produzierende Enzym hemmen, würden sogar schon in klinischen Studien geprüft. Jedoch könnten Zellen NAD+ nicht nur auf direktem Wege herstellen, sondern zusätzlich auf andere Produktionsverfahren ausweichen: Die Substanz Quinolinsäure, die beim Abbau des Eiweißbausteins Tryptophan entsteht, diene Zellen als alternativer Ausgangsstoff für die NAD+-Produktion, heißt es in der Mitteilung.

Platten und sein Team hätten entdeckt, dass bösartige Gliome große Mengen an Quinolinsäure enthalten.

"Wir wollten wissen, ob die Gliome möglicherweise diesen Umweg nutzen, um ausreichend NAD+ zu produzieren und so den Therapien zu entgehen", sagt Dr. Felix Sahm von der Abteilung Neuropathologie des Universitätsklinikums Heidelberg, der Erstautor der Publikation.

Ist die direkte NAD+-Produktion blockiert, so kurbeln Gliomzellen die Herstellung eines Enzyms an, das die Quinolinsäure zu NAD+ abbaut. Chemotherapie und Bestrahlung steigern die Menge des "QRPT" genannten Enzyms im Tumor.

Je bösartiger die untersuchten Gliome waren, desto mehr QRPT enthielten sie, erläutert das DKFZ in seiner Mitteilung.

Allerdings, so hätten die Forscher entdeckt, seien die Tumorzellen selbst gar nicht dazu in der Lage, Quinolinsäure zu bilden.

Vielmehr werde die Substanz von den zum Immunsystem zählenden Mikroglia-Zellen produziert, die in großer Zahl in Gliome einwandern. Mikroglia-Zellen können bis zu 50 Prozent der Gesamtzellzahl eines Glioms ausmachen.

Zusammenhang schon länger bekannt

Nur die Tumorzellen, nicht aber gesunde Astrozyten, enthalten QRPT und können daher Quinolinsäure zu NAD+ abbauen.

"Die bösartige Entartung von Astrozyten geht offenbar mit ihrer Fähigkeit einher, sich die Quinolinsäure als alternative Quelle für NAD+ zu erschließen und damit resistent gegen Strahlen- und Chemotherapie zu werden", wird Platten zitiert.

"Ein Zusammenhang zwischen Mikroglia und der Bösartigkeit der Gliome ist schon seit längerem bekannt - jetzt haben wir einen möglichen Grund dafür gefunden", so der Neuroonkologe.

"Das Schlüsselenzym für die alternative Versorgung mit NAD+ ist die QRPT Ein zielgerichteter Wirkstoff gegen dieses Enzym könnte dabei helfen, die Therapieresistenz von Hirntumoren zu unterdrücken. Dann könnten wir mit den bereits heute verfügbaren Behandlungsverfahren möglicherweise mehr gegen bösartige Hirntumoren ausrichten."

Mehr zum Thema

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken