Wann lohnt sich das Warten auf eine optimale Spenderniere?

Menschen mit Nierenversagen leben im Durchschnitt länger, wenn sie eine neue Niere erhalten, als wenn sie dialysiert werden: Ab dem 18. Monat nach der Operation können Empfänger einer Spenderniere - verglichen mit Patienten der Warteliste - mit einem Überlebensvorteil rechnen. Doch es gibt nicht immer gleich eine optimale Niere. Wann ist es günstig, zu warten?

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Vor sechs Jahren errechneten Forscher an der Universität von Michigan in Ann Arbor, wie berichtet, den Überlebensvorteil für Nierenempfänger aus den Daten von mehr als 250 000 dialysepflichtigen Patienten (NEJM 341, 1999, 1725). Der Andrang auf die Wartelisten für Nieren hat seither in den USA um jährlich acht Prozent zugenommen.

In Deutschland warten viermal so viele Menschen auf Nieren, wie jährlich verpflanzt werden können. Deshalb weichen Ärzte häufiger auf nicht optimale Spendernieren aus.

Für welche Patienten ist es günstiger, auf der Warteliste zu bleiben und auf ein optimales Organ zu hoffen? Welche profitieren auch vom Organ eines nicht optimalen Spenders? Das hat sich die Arbeitsgruppe um Dr. Robert Merion und Professor Robert A. Wolfe aus Ann Arbor untersucht (JAMA 294, 2005, 2726). Das Team hatte auch die Studie vor sechs Jahren gemacht.

In die aktuelle Kohortenanalyse sind Daten von 109 127 Dialysepatienten eingegangen. Die Patienten waren zwischen 1995 und 2001 auf die Warteliste für eine Niere gekommen. Die Forscher berechneten die Sterberaten im Zeitraum von drei Jahren für

  • Patienten, die in dieser Zeit immer noch warteten,
  • jene, die ein Organ ohne Vorschäden von einem höchstens 59 Jahre alten Spender erhalten hatten,
  • Empfänger einer lebend gespendeten Niere und
  • Patienten, denen eine Niere von einem mindestens 60jährigen Spender oder ein vorgeschädigtes Organ (erweiterte Spenderkriterien, EDC) eingepflanzt worden waren.

Beim Vergleich der Sterberaten zwischen diesen Gruppen wurden die gesundheitlichen Risiken der Empfänger, etwa Hypertonie, hohes Alter oder Diabetes, berücksichtigt. Als EDC für postmortal gespendete Nieren galten ein Spenderalter von 60 Jahren und mehr oder ein Spenderalter zwischen 50 und 59 Jahren, wenn mindestens zwei Merkmale wie Bluthochdruck, Serumkreatinin-Konzentrationen über 1,5 mg/dl oder zerebrovaskuläre Todesursache vorlagen.

Die risikoadjustierte Sterberate lag bei den Empfängern eines postmortalen EDC-Transplantats um 60 Prozent (relativ) unter der von Patienten auf der Warteliste. Für Nierenkranke, die ein optimales Organ eines toten Spenders erhalten hatten, lag die Rate sogar 72 Relativprozent unter der jener Patienten, die gewartet hatten. Allerdings war in der Gruppe der Empfänger von EDC-Nieren die perioperative Sterberate (bis 14 Tage nach Transplantation) 5,2fach höher als bei Empfängern von optimalen Nieren.

Nach 226 Tagen hatte sich die risikoadjustierte Sterberate zwischen den Empfängern postmortal gespendeter Nieren (EDC und Organe nach Standardkriterien) angeglichen. Nach drei Jahren war diese Rate bei den Empfängern von EDC-Nieren auf den Faktor 0,83 im Vergleich zum Standardverfahren gesunken. Nach drei Jahren hatten die Empfänger von EDC-Nieren also sogar eine um 17 Prozent geringere risikoadjustierte Sterberate als Kranke, die nach Standardkriterien vermittelte Nieren erhalten hatten.

Die EDC-Organempfänger seien durchschnittlich allerdings älter und kränker gewesen als Patienten, denen eine Niere von einem Spender eingepflanzt worden sei, der die medizinischen Standardkriterien erfüllte, so die Autoren. Nierenkranke unter 40 Jahre hatten keinen Überlebensvorteil durch Nieren suboptimaler Spender im Vergleich zum Standardvorgehen in den USA.

Diabetiker profitieren rasch von einer kürzeren Wartezeit

Die Forscher raten daher dazu, Nierenkranken, die älter als 40 Jahre sind, Nieren auch nach erweiterten Donorkriterien anzubieten, wenn sie mit Wartezeiten über 1350 Tagen rechnen müssen. Das gelte für dialysepflichtige Diabetiker und Hypertoniker. Bei Wartezeiten kürzer als dreieinhalb Jahre profitieren vor allem Diabetiker mit Nierenversagen von EDC-Organen.

Für junge Nierenkranke ohne Begleiterkrankungen, etwa Patienten mit familiär bedingten Zystennieren oder Glomerulonephritis, ist sinnvoll, auf ein optimales Organ eines Hirntoten zu warten - es sei denn, sie haben einen Lebendspender.



STICHWORT Aus dem Springer Lexikon Medizin

Nierentransplantat

Allen Formen einer irreversiblen, terminalen Niereninsuffizienz sind als Indikation für eine Nierentransplantation anzusehen. Die häufigsten Ursachen sind Glumerulonephritis, Pyelonephritis, diabetische Nephropathie sowie Systemerkrankungen (Lupus eythematodes, Amyloidose). Die Einpflanzung der Lebend- oder Leichenspende erfolgt grundsätzlich heterotop, wobei die Fossa iliaca der bevorzugte Sitz ist. Die Ein-Jahres-Überlebensrate der Nieren beträgt etwa 85 bis 90 Prozent, die der mit der Transplantation behandelten Patienten über 97 Prozent. Die Fünf und die Zehn-Jahres-Transplantatüberlebenszeiten betragen im Mittel 65 bis 75 Prozent und 50 Prozent. Durch Retransplantation nach Transplantatabstoßung und Dialysebehandlung ist die Überlebensrate der Patienten wesentlich höher.

 

US-Daten auch für deutsche Ärzte wichtig

Innerhalb des Eurotransplant-Verbundes, in dem Deutschland und fünf weitere Länder untereinander postmortale Organe austauschen, gibt es anders als in den USA keine klare Definition eines Standard-Organspenders oder eines Spenders nach erweiterten Kriterien. Letztlich entscheiden die behandelnden Ärzte, ob sie ein Organ für transplantabel halten oder nicht. Die Transplantationszentren können aber der Vermittlungsstelle Eurotransplant (ET) im holländischen Leiden eigene Kriterien für die Akzeptanz von Organen mitteilen (Zentrumsprofil), ebenso die persönlichen Akzeptanzkriterien für ihre wartenden Patienten (Patientenprofil). Beides wird bei Vermittlung durch ET berücksichtigt.

Den in den USA verwendeten erweiterten Spenderkriterien am ähnlichsten ist ein Old-for-old-Programm bei ET: Empfänger, die 65 Jahre sind oder älter erklären sich grundsätzlich bereit, Nieren auch von 65jährigen oder älteren Spendern anzunehmen.

Die durchschnittliche Wartezeit für eine postmortal gespendete Niere liegt derzeit in Deutschland bei mindestens fünf Jahren. Daher könnten die von den US-Forschern vorgenommenen Analysen wichtig sein. Sie belegen, daß Nierenkranke höheren Alters oder mit zusätzlichen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck statistisch einen Überlebensvorteil haben, auch wenn sie bei Transplantation eine Niere mit leichten Funktionseinschränkungen oder von Spendern mit erhöhten Risiken erhalten.

Diese Information könnte für deutsche Transplantationsmediziner wichtig sein, sagte Dr. Axel Rahmel, ärztlicher Direktor bei ET, der "Ärzte Zeitung". (nsi ) 

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