Frühchenversorgung
GKV-Spitzenverband: „Kein Verständnis“ für Verfassungsklage gegen Mindestmenge
Bringt die Verfassungsbeschwerde dreier Bundesländer gegen Fallzahlvorgaben die Qualitätssicherung in der GKV ohne Not aus dem Takt? Aus Sicht der DKG wäre eine Klärung der G-BA-Befugnisse allerdings überfällig.
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Inkubator zur Frühchenversorgung. Mit den Fallzahlen nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit zu.
© Hagen Deichsel / UKL
Berlin. Der GKV-Spitzenverband räumt der Verfassungsbeschwerde dreier Bundesländer gegen Mindestmengen insbesondere zur Frühchenversorgung offenbar Chancen ein. Man blicke „mit großer Sorge auf die Klage“, heißt es in einer Stellungnahme am Donnerstag. Vorstandsmitglied Dr. Martin Krasney lässt durchblicken, das Vorgehen der Länder unter medizinethischen Aspekten für inakzeptabel zu halten.
„Wir haben kein Verständnis für die Klagen. An einem Standort mit höherer Fallzahl sind die Überlebenschancen der Kinder nachgewiesenermaßen deutlich höher und das Risiko für lebenslange gesundheitliche Schäden geringer.“
Federführend hatte zu Wochenbeginn Baden-Württembergs Sozialministerium den Gang nach Karlsruhe mit der Begründung angekündigt; der G-BA greife „in die Länderverantwortung für die Sicherstellung der stationären Versorgung ein und hebele diese praktisch aus“.
„Starre“ Fallzahlvorgaben gefährdeten die flächendeckende Frühchenversorgung, „Versorgungsverschiebungen und -engpässe“ seien zu befürchten. 2020 hatte der G-BA mit Wirkung ab 2024 die jährliche Mindestmenge zur Versorgung Neugeborener unter 1.250 Gramm von 14 auf 25 erhöht, was von etlichen Level-1-Perinatalzentren nicht erreicht wird.
Dagegen verweist der GKV-Spitzenverband auf ein bereits erfolgreich im Ländle praktiziertes Modell, die Versorgung an ein Kompetenzzentrum zu delegieren. In der Ulmer Arbeitsgemeinschaft Neonatologie, würden Frühgeburten „von den teilnehmenden Perinatalzentren nicht mehr selbst versorgt“.
Stattdessen „werden die Schwangeren bereits vor der Entbindung an den zentralen Standort in Ulm überwiesen. Sobald die Kinder medizinisch stabilisiert sind, werden sie an die kooperierenden Standorte verlegt.“
DKG: „richtig und wichtig“
Weiter heißt es, schon vor zwei Jahren hätten Klinikchefs der größten Perinatalzentren Baden-Württembergs an Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) appelliert, „das Ulmer Konzept auch in anderen Regionen zu etablieren“ und damit „die neue Mindestmenge auch in seinem Bundesland umzusetzen“.
Unterdessen begrüßte am Donnerstag die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Klage der Länder als „Gelegenheit, verfassungsrechtlich prüfen zu lassen, in welchem Umfang Richtlinien des G-BA und bundesrechtliche Vorgaben die Krankenhausplanung der Länder beeinflussen oder beschränken dürfen“. Was nicht zuletzt „vor der anstehenden Krankenhausreform richtig und wichtig“ sei. Man hoffe deshalb auf eine schnelle Entscheidung.
Prinzipiell seien Mindestmengen zwar unbestritten ein geeignetes Instrument der Qualitätssicherung („um Gelegenheitsversorgung zu vermeiden“). Es sei nur eben die Frage, „ob die Mindestmengenregelungen des G-BA in ihrer jetzigen Form tatsächlich mit der Krankenhausplanungshoheit der Länder vereinbar sind“. Das betreffe auch die Personalvorgaben für Psychiatrische und Psychosomatische Kliniken, die ebenfalls Gegenstand der Länder-Klage sind.
Der unparteiische G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken hatte unmittelbar nach Ankündigung der Verfassungsbeschwerde die Unterstellung zurückgewiesen, dass sich das Selbstverwaltungsgremium in die Klinikplanung einmische – „das macht der G-BA nicht“. Fallzahl- und Personalvorgaben dienten vielmehr der Umsetzung des sozialrechtlichen Qualitätsgebotes und der Patientensicherheit.
„Qualität – egal in welchem Bundesland“
Auch lasse der G-BA bei seiner Folgenabschätzung regionale Gegebenheiten keineswegs außer Acht. „Dazu ist er verpflichtet und darauf achtet er sehr penibel“, wie Hecken versichert. Der gesetzliche Auftrag, dem der Ausschuss nachkomme, sei eindeutig: „Er soll dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten eine gute Versorgungsqualität erhalten, ganz egal in welchem Bundesland sie behandelt werden.“
Zwist um Maßgaben zur stationären Versorgung Früh- und Neugeborener gibt es seit langem. Erstmals erließ der G-BA 2008 eine verbindliche Mengenanforderung (damals 12 Fälle jährlich). Ein erstes höchstrichterliches Urteil folgte bereits vier Jahre später. Zwischenzeitlich hatte der G-BA Perinatalzentren wenigstens 30 Frühchen-Behandlungen pro anno abverlangen wollen. Das Bundessozialgericht gestand jedoch lediglich 14 zu; Belege für Qualitätsverbesserungen durch eine 30ger-Schwelle fehlten.
Ende 2015 wiesen die obersten Kasseler Sozialrichter dann eine Klage mehrerer Kliniken auch gegen die Fallzahl 14 ab. Zur Begründung hieß es unter anderem, vorzeitige Entbindungen seien planbare Leistungen, die zu erbringen der G-BA durch Mindestmengen regulieren dürfe. Das sei „verfassungsrechtlich unbedenklich“. (cw)