Neue europäische Leitlinie

Wenn gegen Kopfweh zuviele Medikamente geschluckt werden

Kopfschmerzen als Folge von Medikamentenübergebrauch ist ein sehr häufiges Problem. Eine neue Leitlinie setzt auf umfassende Information, multidisziplinäre Betreuung und individuelle Therapie der Betroffenen.

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Es wird geschätzt, dass Kopfschmerzen in Folge von Medikamentenübergebrauch bei 70 Prozent aller Patienten mit chronischen Kopfschmerzen vorliegen. (Symbolbild mit Fotomodell)

Es wird geschätzt, dass Kopfschmerzen in Folge von Medikamentenübergebrauch bei 70 Prozent aller Patienten mit chronischen Kopfschmerzen vorliegen. (Symbolbild mit Fotomodell)

© aletia2011/stock.adobe.com

Berlin. Eine Leitlinie zum Management des Medikamentenübergebrauchskopfschmerzes hat die „European Academy of Neurology“ (EAN) unter Federführung von DGN-Pressesprecher Professor Hans-Christoph Diener, Universität Duisburg-Essen, publiziert (Eur J Neuro 2020; online 19. Mai). Sie gibt Präventions- und Therapieempfehlungen, wie der Teufelskreis zwischen Kopfschmerzen und Einnahme von Schmerzmedikamenten und Migränemitteln vermieden beziehungsweise durchbrochen werden kann, heißt es in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) aus Anlass der Veröffentlichung. Außerdem rücke sie ein relevantes Gesundheitsproblem unserer Gesellschaft in den Fokus der Behandler.

Prävention durch Information und Patientenedukation

Die neue Leitlinie gibt anhand von sieben sogenannten „PICO questions“ (P = popular, I = intervention, C = control, O = outcome) Empfehlungen für das Management von Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. Grundlegende und wichtigste Präventionsmaßnahme sind dabei nach Ansicht der Autoren Information und Patientenedukation. Sie können maßgeblich dazu beitragen, dem MOH bei Migränepatienten vorzubeugen.

Die Leitlinie empfiehlt darüber hinaus, dass MOH-Risikopatienten in regelmäßigen Abständen (alle 3-6 Monate) vom Allgemeinmediziner oder Neurologen gesehen werden sollen. Diese Empfehlung ist zwar streng genommen nicht evidenzbasiert, laut Leitlinienautor Diener aber eine „Common Sense“-Empfehlung.

„Wir wissen, dass Patienten seltener einen MOH entwickeln, wenn sie umfassend über den Zusammenhang von Schmerzmitteln und Schmerzmittelübergebrauchskopfschmerz informiert wurden, und es gibt Studien, die zeigen, dass ein Beratungsgespräch plus Print-Informationsmaterial um einiges effektiver ist als das Informationsmaterial allein. Es liegt auf der Hand, dass regelmäßige Gespräche die Sensibilität für die Thematik erhöhen und die Bereitschaft, trotz Schmerzen gelegentlich auf Medikamente zu verzichten oder die Dosis zu reduzieren, weiter stärken“, wird der Experte in der Mitteilung zitiert.

Multidisziplinäre Therapiebetreuung

Die intensive Beratung ist somit ein probates Mittel zur MOH-Prävention, gelangt aber an Grenzen, wenn es um die MOH-Behandlung geht: Die alleinige Beratung kann zwar bei Übergebrauch von Triptanen oder einfachen Analgetika zielführend sein, wenn keine größeren psychiatrischen Komorbiditäten vorliegen – bei Übergebrauch von Opioiden, Barbituraten oder Tranquilizern rät die Leitlinie aber zur Überweisung an einen Kopfschmerzexperten oder in ein spezialisiertes Schmerzzentrum.

Denn grundsätzlich müsse immer ein Entzug oder zumindest eine sanfte Reduzierung der Übergebrauchsmedikamente erfolgen, um den MOH langfristig zu therapieren, so die DGN. Ein erfolgreiches Ausschleichen oder Absetzen der Schmerzmedikation gelinge fast nur in sehr enger Betreuung, die je nach Komplexität und Zustand des Patienten stationär, teilstationär oder ambulant erfolgen kann. Wichtig sei jedoch, dass diese Betreuung multidisziplinär erfolgt, neben Neurologen sollten auch Schmerzmediziner und Verhaltenspsychologen eingebunden sein.

Entscheidung zur Migränetherapie immer individuell treffen

Offen bleibt letztlich die Frage, zu welchem Zeitpunkt bei Patienten mit MOH und chronischer Migräne eine gezielte Migränetherapie, etwa durch Onabotulinumtoxin Typ A oder CGRP-Antikörper erfolgen sollte.

„Im Prinzip ist es ratsam, die Patienten zunächst vom Schmerzmittelübergebrauch zu entwöhnen, bevor man diese spezifischen Migränemittel einsetzt, auch um beurteilen zu können, wie stark und häufig die Kopfschmerzen sind, wenn der MOH wegfällt. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass gerade Patienten mit chronischer Migräne stark leidgeprüft sind und wir ihnen eine wirksame Medikation nicht über eine längere Zeit vorenthalten sollten. Die Entscheidung, wann die Migränetherapie initiiert wird, ist also immer nur individuell zu treffen“, so Diener.

MOH bei einem Prozent der Bevölkerung

Medikamentenübergebrauchskopfschmerz („medication-overuse headache“, MOH) ist ja generell ein häufiges Problem im klinischen Alltag. Es wird geschätzt, dass er bei einem Prozent der Bevölkerung und bei 70 Prozent aller Patienten mit chronischen Kopfschmerzen vorliegt, davon in vier von fünf Fällen bei Menschen, die an chronischer Migräne leiden, erinnert die DGN.

Man spricht von MOH, wenn an über 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen auftreten und diese über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten mit einem oder mehreren Schmerzmedikamenten behandelt werden. Für Triptane ist die Einnahme an mehr als 10 Tagen im Monat zur Diagnosestellung Voraussetzung.

Besonders gefährdet, einen MOH zu entwickeln, sind Patienten, die an einer weiteren Schmerzerkrankung leiden, wie chronischen Rückenschmerzen, oder Menschen mit schwerer Migräne. Häufige Begleiterkrankungen des MOH sind Angsterkrankung und Depression. (eb)

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