Welttuberkulosetag 2009: Hohe TB-Raten in Asien und Afrika gehen auch Europa an

Geht es um Tuberkulose, steht Deutschland gut da. Die Zahl der Neuerkrankungen ist auf historischem Tiefstand. Anders sieht es in Osteuropa, Asien und vor allem im südlichen Afrika aus. Die besondere Gefahr: Die Zahl resistenter Keime steigt deutlich.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Wer sich die Daten zur Tuberkuloseinzidenz in Deutschland ansieht, ist fast versucht, sich etwas zurückzulehnen. Dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Tuberkulosebericht des Robert-Koch-Instituts zufolge lag die Zahl der Tuberkulose-Neuerkrankungen im Jahr 2007 bei 5020. Das ist ein historisch niedriger Level. Auch die Zahl der Todesfälle hat mit 139 einen neuen Tiefstand erreicht.

TB bleibt häufigste Ursache für Tod durch Bakterien

Trotzdem will bei den Experten am heutigen Welttuberkulosetag nicht so recht Freude aufkommen. Der Grund ist die Situation in vielen anderen Ländern der Erde. Global betrachtet ist die Tuberkulose mit 1,6 bis 1,7 Millionen Todesfällen pro Jahr noch immer mit Abstand die bakterielle Infektion, die die meisten Todesopfer fordert. Hinzu kommen Probleme mit multiresistenten Erregern. Das tatsächliche Ausmaß dieser Resistenzproblematik ist für Europa und Nordamerika bekannt. In weiten Teilen der restlichen Welt dagegen können die Resistenzquoten allenfalls geschätzt werden.

"Die Brennpunkte der Tuberkulose-Epidemie sind derzeit das südliche Afrika, die ehemalige Sowjetunion, Indien, China und Südostasien", sagte Professor Robert Loddenkemper vom Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) in Berlin. Mit 940 Tuberkulose-Neuerkrankungen pro 100 000 Menschen liegt die Inzidenz zum Beispiel in Südafrika 150 Mal so hoch wie in Deutschland. In der Russischen Föderation sind es über 100 pro 100 000. In Südostasien liegen die Quoten zwischen 142 pro 100 000 in Thailand und 500 pro 100 000 in Kambodscha. In Afrika kommt noch erschwerend hinzu, dass ein erheblicher Anteil der Tuberkulosekranken gleichzeitig HIV-positiv ist. "Südlich der Sahara betrifft das rund 50 Prozent der Tuberkulosepatienten. In einigen Regionen sind es sogar über 80 Prozent", so Loddenkemper.

All diese Zahlen sind nicht neu, auch in ihrer Höhe nicht. Was in den letzten Jahren aber dazu gekommen ist, sind resistente Keime wie der multiresistente MDR, der unempfindlich ist gegen Isoniazid und Rifampicin. Noch problematischer ist XDR, ein Keim, der zusätzlich gegen Fluorochinolone und gegen mindestens ein intravenöses Tuberkulostatikum (Amikacin, Capreomycin, Kanamycin) resistent ist.

Beunruhigende Daten zu MDR gibt es vor allem aus der Russischen Föderation, wo in einzelnen Regionen MDR-Quoten von 26 Prozent ermittelt wurden. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 2 Prozent. "Auch in Indien entsteht gerade ein Riesenproblem mit MDR, zum Teil auch schon mit XDR", betonte Loddenkemper. Weitgehend unklar ist die Lage in China: "Von dort gibt es so gut wie keine verlässlichen Daten. Das ist ein dunkler Fleck auf der Tuberkulose-Landkarte", sagte Dr. Sabine Rüsch-Gerdes vom Nationalen Referenzzentrum für Mykobakterien am Forschungszentrum Borstel.

Resistente TB-Erreger werden zur Gefahr.

Die Experten warnen, dass die multiresistenten TB-Bakterien in einer globalisierten Welt nicht an einem Ort verharren werden. "Die Sorge ist, dass wir die Multiresistenzen in Asien und Afrika nicht in den Griff kriegen und dass sie dann auch bei uns stärker Fuß fassen", so Loddenkemper. Die aktuellen Zahlen aus Deutschland verdeutlichen, wo das Problem liegt: Je nach Region sind 20 bis 49 Prozent der TB-Kranken im Ausland geboren. "Nach Deutschland kommt die Tuberkulose vor allem über die Ex-Sowjetunion, über Südostasien und über Nordafrika."

Völlig unabhängig von der Migration gibt es aktuell einen weiteren Faktor, der die Ausbreitung der Tuberkulose begünstigen könnte, die Weltwirtschaftskrise. "In der Vergangenheit nahm die Tuberkulosemortalität in Krisenzeiten zu", so Loddenkemper. Es stehe auch diesmal zu befürchten, dass Tuberkuloseprogramme aus ökonomischen Zwängen vernachlässigt würden.

Arzneien gegen resistente TB-Keime in der Entwicklung

Doch sollte man am Welttuberkulosetag auch nicht übertrieben schwarz malen: Die Sensibilisierung für das Thema ist weltweit mittlerweile hoch. Förderprogramme wie das der Gates Foundation haben der Tuberkulosebekämpfung Schubkraft verliehen. Der Bedarf an günstigen und schnellen diagnostischen Tests ist erkannt. Neue Tuberkulosepräparate, die auch gegen resistente Keime wirken, sind in der Entwicklung. Und effektive TB-Kontrollprogramme in Ländern wie Usbekistan haben gezeigt, wie Public-Health-Strategien aussehen müssen, damit sie greifen. "Im Moment ist Geld da. Es kommt jetzt vor allem darauf an, es sinnvoll einzusetzen", sagte Rüsch-Gerdes.

www.euro.who.int

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