Wie kann man jungen Krebskranken mit Kinderwunsch helfen?

Junge Krebspatienten wollen geheilt werden - aber viele wollen auch Kinder. Das Problem: Viele Chemotherapien machen unfruchtbar. Eine Option ist, Eizellen und Spermien vor der Therapie einzufrieren.

Von Katharina Arnheim Veröffentlicht:
Krebspatientinnen, die noch Kinder haben wollen, sollten frühzeitig über Möglichkeiten der Kryopräservation informiert werden.

Krebspatientinnen, die noch Kinder haben wollen, sollten frühzeitig über Möglichkeiten der Kryopräservation informiert werden.

© endostock / fotolia.com

BASEL. Die Gonadentoxizität von Zytostatika hängt stark von der Substanzgruppe ab. Ein hohes Risiko für eine ovarielle Insuffizienz und Spermatotoxizität haben Alkylanzien.

"Busulfan und Cyclophosphamid sind in dieser Hinsicht furchtbar, wobei nicht die Dosis, sondern die Applikationsfrequenz entscheidend ist", betonte Professor Ernst Dietrich Kreuser vom Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg auf der DGHO-Tagung in Basel.

So ist bei Patienten mit M. Hodgkin nach sechs Zyklen des COPP-Regimes von einer irreversiblen Infertilität auszugehen. Ein intermediäres Risiko besitzen Cisplatin und Anthrazykline, die Antimetabolite sind Kreuser zufolge insgesamt eher "harmlos".

Allerdings sind viele Zytostatika, etwa Irinotecan und Taxane, wie die neuen Biologicals in puncto Gonadentoxizität noch kaum geprüft. Tierexperimentelle Daten sind hier unbrauchbar und nicht auf Menschen zu übertragen. Als ausgesprochen deletär bezeichnete Kreuser auch die Ganzkörper-Bestrahlung, die im Schnitt bei jeder zweiten Patientin zu Zyklusstörungen führt.

Zu klären ist, ob überhaupt ein Kinderwunsch besteht

Die Diagnostik von Gonadenstörungen vor und nach antitumoraler Therapie umfasst die sorgfältige Anamneseerhebung, bei der nach Zyklusunregelmäßigkeiten und Symptomen für eine vorzeitige Menopause, bei männlichen Patienten nach Erektions- und Ejakulationsstörungen gefragt werden sollte.

"Zu klären ist natürlich auch, ob überhaupt Kinderwunsch besteht und fertilitätserhaltende Maßnahmen erforderlich sind", so Kreuser. Für sehr wichtig erachtet er die Bestimmung endokriner Parameter wie FSH und LH sowie Östradiol und Progesteron oder Testosteron.

Bei Männern muss außerdem eine Spermienanalyse mit Ermittlung von Menge, Dichte und Beweglichkeit der Spermien erfolgen.

Reproduktionsmediziner ist früh einzubinden

Unverzichtbar bei Männern und Frauen im reproduktionsfähigen Alter ist die professionelle Beratung vor Krebstherapie-Beginn. Ist die Familienplanung noch nicht abgeschlossen, sollte möglichst nach einem Regime mit gleicher Heilungsrate gesucht werden, betonte Kreuser. Frühzeitig sei ein Reproduktionsmediziner einzubinden, um über Möglichkeiten der Kryopräservation von Spermien, Oozyten, Embryos oder Ovargewebe und der künstlichen Befruchtung aufzuklären.

Der Bedarf an fertilitätserhaltenden Maßnahmen ist aufgrund der effektiveren Krebstherapien und der gestiegenen Heilungsraten hoch: So werden heute über 90 Prozent aller Mädchen mit pädiatrischen Tumoren geheilt. "Einer von 250 Erwachsenen ist Überlebender einer Krebserkrankung im Kindesalter", sagte Professor Johannes Huber von der Medizinischen Universität Wien.

Auch ist zu berücksichtigen, dass 8 Prozent aller Malignome bei Frauen vor dem 40. Lebensjahr auftreten. Wegen des gestiegenen Lebensalters von Erstgebärenden hat die Zahl von Frauen mit ovarieller Insuffizienz und dem Wunsch nach Fertilitätserhalt daher deutlich zugenommen.

Eine Strategie zur Wiederherstellung der Eierstockfunktion ist die Kryopräservation kompletter Ovarien oder ovarieller Gewebescheiben mit späterer Reimplantation. Nach erfolgreicher Erprobung der Technik bei Schafen hat Hubers Arbeitsgruppe diese Methode mittlerweile auch bei Patientinnen angewandt.

Mit kryopräserviertem Gewebe von 85 Patientinnen im mittleren Alter von 27 Jahren überblickt der Gynäkologe das größte OTB*-Lager in Österreich. "Am häufigsten kommen Patientinnen mit M. Hodgkin und Mammakarzinom zwecks Fertilitätserhalt zu uns", berichtete Huber.

Maligne Zellen wurden im Gewebe nie entdeckt

Das ovarielle Gewebe wird in der Regel laparoskopisch innerhalb eines median nur 30-minütigen und in aller Regel komplikationslosen Eingriffs entnommen. Bei der histologischen Untersuchung wies die Wiener Arbeitsgruppe im entnommenen Gewebe in keinem Fall maligne Zellen nach.

"Allerdings ist dieses Problem noch nicht restlos gelöst. Diese Methode des Fertilitätserhalts ist daher immer noch in einem experimentellen Stadium", mahnte Huber.

Er hat bislang noch keine Reimplantation von entnommenem Gewebe vorgenommen. Doch wurden in der Literatur bereits Schwangerschaften und Lebendgeburten dokumentiert. Sicherer wären Entnahme und Kryopräservation von Eizellen, um eine Rückführung maligner Zellen zu vermeiden.

Es war jedoch lange schwierig, die hoch differenzierten Zellen aufzubewahren. Erst 2010 berichtete eine italienische Arbeitsgruppe über die Kryopräservierung von Eizellen (Hum Reprod 2010; 25: 1199-1205).

Huber bezeichnete die hohe Schwangerschaftsrate von über 40 Prozent mit dieser Methode und anschließender intrazytoplasmatischer Spermieninjektion als "beeindruckend". Um möglichst viele Eizellen zu gewinnen, ist allerdings eine hormonelle Stimulation erforderlich. Inwieweit diese bei Brustkrebspatientinnen gerechtfertigt oder schädlich ist, muss Huber zufolge zunächst interdisziplinär geklärt werden.

*OTB: Ovarian Tissue Banking

Informationen zum Fertilitätserhalt für Patient(inn)en nach Chemo- und Strahlentherapie bietet das Netzwerk FertiPROTEKT unter www.fertiprotekt.de an.

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