Ziel bei Demenz ist es, die Selbständigkeit lange zu erhalten

"Wo habe ich nur ...?" - wem ist diese Situation nicht vertraut, in der nichts mehr am vermuteten Platz zu sein scheint? Handelt es sich dabei um erste Zeichen einer Alzheimer-Demenz oder ist es - bei noch Berufstätigen - einfach nur Streß? Die Frühsymptome einer Alzheimer-Demenz sind unspezifisch, die Diagnose daher schwierig. Nichtsdestotrotz sollte bei Alzheimer-Patienten alles daran gesetzt werden, ihnen so viel Zeit wie möglich zu verschaffen, in denen sie ihre Angelegenheiten noch bewußt regeln können.

Veröffentlicht:

Annette Richert

Die Demenz vom Alzheimer-Typ ist bei über 70jährigen die häufigste Demenz-Erkrankung. Leitsymptom ist die Vergeßlichkeit. Die Alzheimer-Demenz beginnt schleichend, mit Symptomen, die auch vielen nicht erkrankten, aber beruflich oder privat stark beanspruchten Menschen durchaus vertraut sind: die Suche nach Portemonnaie oder Schlüssel, das Verwechseln von Terminen ("Waren wir nicht für morgen verabredet?").

Durch Ordnung und Planungshilfen kann dies aber durchaus noch kompensiert werden. Wenn ältere Patienten, die sich nicht in einer Belastungssituation befinden, über solche neu aufgetretenen Symptome klagen, sollte dies durchaus als Hinweis auf eine mögliche beginnende Demenz ernst genommen werden.

Ein weiteres Symptom sollte in jedem Fall als Warnzeichen für eine sich entwickelnde Alzheimer-Demenz gewertet werden: Wenn Patienten darüber berichten, neuerdings mit Stadtplänen und Landkarten nicht mehr zurechtzukommen, weil sie diese nicht mehr auf die Realität übertragen können.

Frühdiagnostik mit Demenz-Tests ohne großen Zeitaufwand

Bisher gibt es keine einfache und sichere diagnostische Maßnahme, etwa laborchemische oder apparative Untersuchungen, mit der eine beginnende Alzheimer-Demenz zuverlässig diagnostiziert werden kann. Deshalb muß die Diagnose nach wie vor klinisch gestellt werden.

Die kognitiven Defizite müssen objektivierbar sein. Screening-Tests eignen sich zum schnellen Erfassen kognitiver Störungen, unabhängig von deren Ursache. Für die Hausarztpraxis geeignet sind zum Beispiel Mini-Mental-Status-Test, Mikro-Mental-Status-Test, DemTect, ADAS-cog und Uhrentest. Diese sind aber bis auf den Uhrentest in frühen Krankheitsstadien relativ wenig sensibel, vor allem wenn es sich um intelligentere Patienten handelt.

Klinische Kriterien für eine Alzheimer-Demenz

Notwendige Symptome

  • Defizite in Gedächtnis und einem weiteren kognitiven Bereich
  • Schleichende Verschlechterung
  • Keine Bewußtseinsstörung
  • Beeinträchtigung im Alltag
  • Fehlen anderer Erkrankungen, die das Syndrom möglicherweise begründen können

Unterstützende Kriterien

  • Einbußen in den Bereichen Sprache, Praxie, Auffassung
  • Verhaltensstörungen
  • Positive Familienanamnese
  • Atrophie im cerebralen Computertomogramm (cCT)

Die Diagnose Alzheimer-Demenz wird nach wie vor klinisch gestellt.

Allerdings ist genau das die Patientengruppe, die Veränderungen eher bemerkt und dem Arzt vorträgt. Eine hohe oder volle Punktzahl im Screening-Test schließt jedoch beginnende kognitive Beeinträchtigungen nicht sicher aus. Bei glaubwürdigen Klagen sollte deshalb eine eingehende neuropsychologische Testung stattfinden.

Um die Diagnose einer Demenz stellen zu können, müssen die kognitiven Defizite schwer genug sein, daß dadurch die täglichen Aktivitäten beeinträchtigt werden. Wie früh das im Krankheitsverlauf deutlich wird, hängt davon ab, wie komplex der individuelle Alltag ist: Autofahren, Fernreisen, Benutzung von Computer und Internet, technische Hobbies, Vereinsarbeit oder Ehrenamt mit organisatorischen oder buchhalterischen Tätigkeiten werden früher beeinträchtigt als Spaziergänge in vertrauter Umgebung, die Haushaltsführung und der tägliche Einkauf.

Schwerwiegende Ereignisse können Krankheitsprozeß beschleunigen

Die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz ist schleichend. Schwere körperliche Erkrankungen oder psychosoziale Krisen wie Verlust des Ehepartners stellen aber Belastungen dar, die zu schnellen und deutlichen Verschlechterungen der Demenz führen und dadurch einen plötzlichen Krankheitsbeginn vortäuschen können. Dadurch kann die Diagnose einer Alzheimer-Demenz erschwert werden. Oft lassen sich aber bei genauer Befragung der Angehörigen kognitive Schwierigkeiten im Vorfeld erheben.

Basis- und Differentialdiagnostik bei Verdacht auf Alzheimer-Demenz
  • Psychopathologischer, internistischer und neurologischer Befund
  • Anamnese und Fremdanamnese: Symptomatik und Verlauf, Zusatzerkrankungen, Medikamenten- und Mißbrauchsanamnese, Vergiftungsrisiko
  • Neuropsychologische Testuntersuchung
  • Labor

Blutbild und CRP

Infekt

Na, K, Cl, Creatinin, Harnstoff

Hyponatriämie, Urämie

Leberenzyme

Stauungsleber

Blutzucker, HbA1c

Hypoglykämie

TSH, fT4

Hyperthyreose, Hypothyreose

Ca

Hyperparathyreoidismus

Digitalis- und ggf. andere Medikamentenspiegel / Benzodiazepine im Urin

Überdosierung

Lues-, Borrelienserologie bei anamnestischem Hinweis

Infektion
  • Zusatzuntersuchungen

CCT oder MRT

Ischämie, Blutung, Tumor, Atrophiemuster

EKG

Herzrhythmusstörungen, Infarkt

Rö-Thorax

Herzdekompensation

EEG

bei Verdacht auf epileptischen Dämmerzustand / komplex-fokale Anfälle

Lumbalpunktion

bei Verdacht auf ZNS-Infektion
Quelle: Richert, Tabelle: Forschung und Praxis / Ärzte Zeitung
Mit diesen Basisuntersuchungen können andere Erkrankungen ausgeschlossen werden.

Alzheimer-Demenz ist eine Ausschlußdiagnose. Besonders die Frühsymptome sind unspezifisch und können durchaus auch auf anderen Erkrankungen beruhen, die zu einem ähnlichen Muster an kognitiven Defiziten mit schleichender Verschlechterung führen, aber heilbar sind. Hierzu gehören vor allem:

  • die Hypothyreose, besonders wenn sie sich allmählich nach einer klinisch blanden Autoimmunthyreoiditis entwickelt,
  • die meist Medikamenten-induzierte Hyponatriämie (etwa durch diuretische Therapie, Antiepileptika, gelegentlich durch ACE-Hemmer),
  • die langfristige Benzodiazepin-Einnahme mit Verlangsamung, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen und
  • die Depression, vor allem wenn Denkhemmung und Konzentrationsstörungen ausgeprägt sind.

In der Hausarztpraxis sollten deshalb bei Patienten, die über Vergeßlichkeit klagen, das TSH und der Elektrolytstatus bestimmt und eine genaue Hypnotika-Anamnese (Benzodiazepine und Nicht-Benzodiazepine) erhoben werden. Ältere Patientinnen, die von einem Arzt über Jahrzehnte Benzodiazepine wegen unspezifischer Störungen verschrieben bekommen, sind nicht selten. Der regelmäßige Konsum fällt häufig nicht auf, weil sie sich von verschiedenen Ärzten gelegentlich ein Päckchen verschreiben lassen.

Wenn im Gespräch der Eindruck einer depressiven Verstimmung entsteht, sollte eine antidepressive Therapie, vorzugsweise mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, eingeleitet werden. Erst nach Abklingen der depressiven Symptomatik kann untersucht werden, ob persistierende kognitive Störungen vorliegen.

Eine chronische hypertensive Enzephalopathie bei Hypertonikern mit schlecht eingestelltem Blutdruck kann ebenfalls die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz vortäuschen. Diese Patienten klagen allerdings in der Regel selbst nicht über kognitive Defizite.

Die in der Tabelle aufgeführten Basisuntersuchungen dienen im wesentlichen dem Ausschluß von Erkrankungen, die eine beginnende Demenz vortäuschen können. Aus dem kernspintomographischen Befund lassen sich zusätzliche Hinweise auf das Vorliegen einer Alzheimer-Demenz gewinnen, wenn eine deutliche Atrophie des Hippocampus zu erkennen ist.

Patienten, bei denen nach der geschilderten Symptomatik und nach Ausschluß der häufigeren sekundären Demenzen (etwa zehn Prozent) eine beginnende Alzheimer-Demenz vermutet werden kann, sollten zur weiteren Diagnostik an einen spezialisierten Facharzt oder an eine Gedächtnissprechstunde vermittelt werden. Leider gibt es davon noch zu wenig, und die Wartezeiten können lang sein.

Wenn eine beginnende Alzheimer-Demenz diagnostiziert wurde, sollte eine Therapie mit einem Acetylcholinesterasehemmer wie Donepezil (Aricept®), Galantamin (Reminyl®) oder Rivastigmin (Exelon®), die für leichte bis mittelschwere Demenz zugelassen sind, versucht werden. Damit läßt sich die Progression der Erkrankung vorübergehend bremsen. Die Therapie hat Einfluß auf die kognitive Leistung und auch auf nicht-kognitive Symptome wie Verhaltensauffälligkeiten, Reizbarkeit oder Unruhe.

Der NMDA-Rezeptorantagonist Memantine (Axura®, Ebixa®) ist eine Option für Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz. Wie in Studien deutlich wurde, vermindert die Substanz auch Demenz-assoziierte Verhaltensstörungen wie Unruhe und Aggressivität und stabilisiert die Alltagskompetenz, wodurch auch die Belastung für die Pflegenden reduziert wird.

Mit den genannten Antidementiva läßt sich der Verlauf der Erkrankung verzögern. Für die Patienten bedeutet dies, daß sie länger in der häuslichen Umgebung gepflegt werden können, die Pflege im Heim kann hinausgeschoben oder möglicherweise sogar vermieden werden.

Es gibt leider keine Prädiktoren, welche Alzheimer-Patienten von einer Therapie mit Antidementiva profitieren. Deshalb muß nach drei bis sechs Monaten überprüft werden, ob eine Stabilisierung der Symptomatik oder eine nur langsame Verschlechterung durch die Behandlung erzielt werden konnte. Wichtiger als eine Veränderung von Testergebnissen ist der klinische Eindruck und die fremdanamnestische Einschätzung, ob Selbständigkeit und Lebensqualität erhalten werden konnten. Es sollte so lange behandelt werden, solange die Zielsymptomatik beeinflußt wird und eine Stabilisierung beobachtet werden kann.

Dr. Annette Richert, Vorsitzende der Alzheimer-Gesellschaft Berlin, Krankenhaus Hedwigshöhe Berlin, Höhensteig 1, 12526 Berlin, Tel.: 030 / 6741-3107, Fax: 6742-3002, E-Mail: a.richert@alexius.de

Frühzeitige Aufklärung nutzt den Patienten

Bei Alzheimer-Demenz sind Aufklärung über die Diagnose, psychosoziale Beratung und Begleitung von Patienten und Angehörigen im Krankheitsverlauf wichtig. Dazu zählt im frühen Krankheitsstadium auch der Hinweis, daß der Zeitraum bis zum Verlust der Selbständigkeit begrenzt ist. Das gibt den Patienten die Möglichkeit, bisher aufgeschobene Vorhaben zügig in Angriff zu nehmen oder aufzugeben, ihre finanziellen Angelegenheiten zu regeln und Einfluß auf später anstehende Entscheidungen zu nehmen. Eine Vorsorgevollmacht für eine Vertrauensperson ist besser als eine Patientenverfügung, da nie alle Eventualitäten vorbedacht werden können. Hilfreich für Patienten und Angehörige ist in jedem Fall der Hinweis auf die regionale Alzheimer-Gesellschaft, die über Selbsthilfegruppen und andere Angebote informiert. Zudem bietet sie Beratung zu den im Krankheitsverlauf auftretenden Problemen an. (Richert)

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