Videosprechstunde an der Bushaltestelle

Ländliche Region in Nordthüringen richtet Gesundheitskioske ein

Eine Mehrzweck-Bushaltestelle der besonderen Art für ländliche Gebiete ist jetzt erstmals in Thüringen eröffnet worden. Teil davon ist ein Gesundheitskiosk mit Telemedizin-Anbindung. Entwickelt wurde das Konzept von der Internationalen Bauausstellung Thüringen.

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eröffnete den Gesundheitskiosk in Urleben.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eröffnete den Gesundheitskiosk in Urleben.

© IBA-Thüringen

Urleben. Im kleinen Dorf Urleben im nördlichen Thüringen ist die Bushaltestelle mehr als der Ort, an der der Bus hält. Wer in den Holzbau mit Glasfenster kommt, kann sich auch zu Fragen von Gesundheit und Pflege beraten lassen und, die Fahrt zur Arztpraxis oder zum Krankenhaus vereinbaren und sich per Videoschalte beim Arzt vorstellen. Die Bushaltestelle ist ein Gesundheitskiosk – einer von fünf geplanten oder bereits existierenden in der Region Seltenrain im Unstrut-Hainich-Kreis, einer ländlichen Gegend mit sieben Gemeinden nordwestlich von Erfurt. Und sie ist so etwas wie ein Modell dafür, wie Gesundheitsversorgung und soziale Betreuung für die Bevölkerung auf dem Land niedrigschwellig, aber unter Einbindung digitaler Angebote in Zukunft aussehen könnte. Am Donnerstag wurde der Kiosk eröffnet.

Hinter den Kiosken stehen die regionale Stiftung Landleben und der Verein Landengel. Die Stiftung hat gemeinsam mit dem Unternehmen Optimedis aus Hamburg – von der das Konzept für den bundesweit ersten Gesundheitskiosk in Hamburg-Billstedt stammt – die Gesundes Landleben GmbH gegründet. Das bauliche Konzept wurde gemeinsam mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen entwickelt und von einem Berliner Architektenbüro realisiert. Die IBA ist eine Gesellschaft des Landes Thüringen, die gemeinsam mit Kommunen, Vereinen und Kirchengemeinden Ideen für die öffentliche Nutzung von Gebäuden in Dörfern und Kleinstädten entwickelt.

Telemedizin soll in die Region gebracht werden

Die „Landengel“ sind bereits seit zwei Jahren ehrenamtlich in der Gesundheitsversorgung im Unstrut-Hainich-Kreis aktiv. Der rund 350 Mitglieder zählende Verein sorgt mit einem eigenen Fahrservice dafür, dass Patienten aus der Region zu Arztterminen in Praxen und Krankenhäuser thüringenweit kommen. Nicht jeder könne dies schließlich selbst und die Taxikosten könnten sich viele Menschen auch schlicht nicht leisten, sagt der Vereinsvorsitzende Christopher Kaufmann. „Wir haben eine Riesennachfrage.“ Der 36-Jährige ist gelernter Krankenpfleger, hat außerdem Gesundheits- und Pflegemanagement und Betriebswirtschaft studiert. Für die Gesundheitskioske haben er und der Optimedis-Vorstandschef Helmut Hildebrandt ambitionierte Pläne: Sie sollen die Telemedizin in der Region voranbringen.

Agathe-Fachkräfte betreuen die Kioske

„Die Kioske erhalten eine telemedizinische Schnittstelle, haben Internetzugang und werden mit Monitoren ausgestattet, die Videoschalten erlauben“, erläutert Kaufmann. Live-Videosprechstunden mit Arztpraxen im geschützten Raum und unter Einhaltung des Datenschutzes oder das Versenden von Videoaufzeichnungen von Patienten an Praxen könnten so möglich werden – Dinge, die in Privathaushalten ohne eigenen Internetanschluss nicht funktionieren.

Wenig internetaffine Menschen könnten in den Kiosken Hilfe durch Gesundheitsfachkräfte erhalten. Der Unstrut-Hainich-Kreis profitiert hier vom Thüringer Landesprogramm „Agathe“, das die Vereinsamung allein lebender alter Menschen verhindern soll. Vier größtenteils vom Land finanzierte „Agathe“-Fachkräfte betreuen die Kioske. Die dafür umgebauten Bushaltestellen werden zu drei Vierteln aus Mitteln des Thüringer Infrastrukturministerium finanziert, den Rest steuert der Verein „Landengel“ bei.

Zu Beginn vier Stunden pro Woche geöffnet

Vorerst sollen die Kioske – der nächste soll Ende November ebenfalls an einer Bushaltestelle in Betrieb gehen – vier Stunden pro Woche geöffnet sein. Eine Erweiterung ist geplant. Vorgesehen sei etwa, dass auch der Gesundheitsdienst des Landratsamtes dort Sprechstunden abhalte, so Kaufmann. Für mögliche Videosprechstunden sei man zunächst mit einer handvoll Arztpraxen und zwei Kliniken in Kontakt. „Wir testen, was geht und schauen, wie sich das entwickelt.“ Viel hänge davon ab, dass sich Praxen auf das Angebot auch einlassen. Immerhin könnten die Kioske für sie auch Entlastung bei der Organisation von Videosprechstunden bringen.

„Vor allem ist das eine Entlastung für Patienten, die sich nicht mit Technik herumschlagen müssen“, findet Annette Rommel, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen. Gerade in ländlichen Regionen scheiterten Videosprechstunden sonst oft am fehlenden oder nicht leistungsfähigen Internet. Rommel sieht in den Nordthüringer Gesundheitskiosken mehr als nur ein medizinisches oder technisches Projekt. „Es ist soziale Betreuung und das ist schön.“ Vorteil des Projekts sei vor allem, dass es sich aus der Region und deren Bedürfnissen heraus entwickelt habe. Für Rommel ist das ein großer Unterschied zu den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der bundesweit 1000 Gesundheitskioske einrichten möchte. „Das Konzept im Unstrut-Hainich-Kreis wurde eben gerade nicht von außen übergestülpt.“

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