Kampf gegen das „personifizierte Böse"

Vertreterversammlung der KV Hamburg fordert Unterstützungspaket für Praxen

Die Hamburger KV-Vertreter sehen die Gesundheitspolitik von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach gegen die niedergelassenen Ärzte gerichtet. Sie denken über Protestaktionen nach.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Schon Anfang Oktober fand eine Protestveranstaltung im Hamburger Ärztehaus gegen die Streichung der Neupatienten-Regelung großen Anklang unter den Vertragsärzten. Weitere Proteste sind nicht ausgeschlossen.

Schon Anfang Oktober fand eine Protestveranstaltung im Hamburger Ärztehaus gegen die Streichung der Neupatienten-Regelung großen Anklang unter den Vertragsärzten. Weitere Proteste sind nicht ausgeschlossen.

© Georg Wendt/dpa

Hamburg. Mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution fordert die Vertreterversammlung der KV Hamburg von der Bundesregierung ein Unterstützungspaket für die vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Praxen. Sie begründet ihre Forderung mit steigenden Kosten und kritisiert fehlende Signale aus der Politik oder den Krankenkassen, dass die zunehmenden Sorgen im niedergelassenen Bereich ernst genommen werden.

Der sachliche Tonfall der Resolution zeigt nur in Ansätzen, wie aufgeheizt die Stimmung derzeit in vielen Praxen ist. Wie Ärztinnen und Ärzte die Politik von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) und von einzelnen anderen Politikern seiner Partei tatsächlich empfinden, zeigte die Diskussion am Donnerstagabend im Hamburger Ärztehaus.

Breite Palette an Vorwürfen

Kardiologe Dr. Heinz-Hubert Breuer hielt Lauterbach vor, „die ambulante Medizin zerstören" zu wollen. Er nimmt „Bösartigkeit" und „Verlogenheit" wahr, sprach gar vom „personifizierten Bösen". Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender der Vertreterversammlung, beobachtet eine „dumpfe Neiddebatte", entfacht unter anderem durch Äußerungen von Staatssekretärin Sabine Dittmar zum angeblichen Verdienst von Ärzten. Dermatologe Dr. Michael Reusch nimmt Äußerungen aus Politik und von Kassenseite als „dummfreche Sprüche" wahr, Orthopäde Dr. Torsten Hemker sprach von einer „Unverschämtheit" in Zusammenhang mit Lauterbachs Politik. Urologe Dr. Henrik Suttmann glaubt, dass sich niedergelassene Ärzte „wie keine andere Berufsgruppe mit Füßen treten" lasse.

Weitere Wortmeldungen zeigten, dass auf breiter Front und quer durch die Fachgruppen Enttäuschung herrscht – die deftige Wortwahl aber gefiel nicht jedem. Psychotherapeut Dr. Joachim Grefe etwa mahnte, nicht „allzu mittelalterlich" in der Ausdrucksweise zu werden. Hausarzt Dr. Frank Stüven hält Mäßigung in der Wortwahl schon deshalb für angebracht, weil weite Teile der Gesellschaft derzeit vor deutlich größere Probleme gestellt seien als Ärztinnen und Ärzte.

Argumente, Proteste, Nachfrageregulierung

Wie aber sollte der niedergelassene Bereich – außer mit Resolutionen und hitzigen Diskussionen - reagieren? Hierzu wurde über drei Möglichkeiten gesprochen:

  • Verstärkter Protest. Das schon gegründete Protestkomitee in der Hansestadt unter Leitung von Radiologe Dr. Andreas Bollkämper nimmt seine Arbeit wieder auf. Die Anregungen aus der Versammlung zeigten, dass auch Protetsttage nicht mehr ausgeschlossen sind. Heinrich kann sich einen „Energiespartag" pro Woche, an dem die Praxen geschlossen bleiben, vorstellen. Er ist überzeugt, dass andere Regionen diesem Beispiel folgen würden. Andere Vertreter empfahlen ganz offen einen „Streik". Suttmann stellte klar: „Es muss weh tun für die Patienten."
  • Regulierung der Nachfrage. Der Überlastung in den Praxen könnte auf Vorschlag Stüvens begegnet werden, indem die seit Jahren steigende Nachfrage der Bevölkerung durch eine finanzielle Beteiligung reguliert wird. Diese Beteiligung könne zudem helfen, das System finanzierbar zu halten.
  • Argumentation und öffentliche Diskussion. Heinrich sieht die richtigen Fragen zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen durch Lauterbach bislang nicht gestellt, die Probleme sogar negiert. Deshalb müsse die Ärzteschaft verstärkt deutlich machen, dass die demografische Entwicklung andere Lösungen erfordere. Als Beispiele nannte Heinrich eine Diskussion über die Finanzierung: Strengere Nutzenbewertungen bei medizinischem Fortschritt, höhere Eigenanteile und die Frage, wie viel Maximaltherapie am Lebensende gewollt ist. Heinrich: „Damit müssen wir uns auseinander setzen. Herr Lauterbach tut es nicht!"

Für ihre Positionen sehen die Hamburger KV-Vertreter gute Chancen auf Unterstützung. In der Hamburger SPD nehmen sie wahr, dass diese die von den Ärzten vorgebrachten Probleme stärker annimmt als in Berlin. Die KV setzt darauf, dass auch aus anderen Bundesländern Druck auf Lauterbach ausgeübt wird. Bei den Patienten setzen sie auf Verständnis. Hausärztin Silke Lüder hat schon bei den jüngsten Protesten in der Hansestadt wahrgenommen: „Die Hamburger Patienten sind aufgewacht."

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