Interview

Behring-Enkel und Barmann

Emilio von Behring, Enkel des Nobelpreisträgers, ist Barmann in Frankfurt. Gemeinsam mit seiner Familie und seinem Bruder reist er zu den Feierlichkeiten zum 100. Todestag Emil von Behrings nach Marburg. Ein Gespräch über die durchwachsene Freude, der Enkel des Retters der Kinder zu sein.

Von Gesa Coordes Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Wie ist es für Sie, der Enkel von Emil von Behring zu sein? Ist es eine Last oder eine Ehre?

Emilio von Behring: Das ist ziemlich gemischt. Viele Jahre lang war es eher eine Last. Die Gesellschaft erwartet ja sehr viel Leistung von einem, der Behrings Enkel ist. Ich war nicht das schwarze Schaf, aber doch das Enfant terrible. Ich bin eher links. Mein Großvater war konservativ. Ich habe unter der argentinischen Militärdiktatur Politik studiert. Das war ziemlich schwierig. Und die Leute sehen es oft nicht so als Leistung, wenn man viele verschiedene Sachen macht und keine fetten Autos vor der Tür hat. Inzwischen bin ich da entspannter. Das Andenken an meinen Großvater spielt heute wieder eine größere Rolle. Meine drei Kinder, die hier in Frankfurt geboren sind, interessieren sich für die Familiengeschichte. Sie reisen sehr viel. Das haben sie vielleicht geerbt vom alten Behring, der auch viel in der Welt unterwegs war.

Was haben Sie beruflich gemacht?

Alles Mögliche. Ich arbeite gern mit den Händen, habe Gärten gepflegt und Häuser renoviert. In Argentinien habe ich zusammen mit meiner Frau in den Bergen alternativ gelebt. Wir haben Marmelade gekocht und Pilze getrocknet.

In Frankfurt war ich zusammen mit Portugiesen in einer Kolonne, um im Bankenviertel sauberzumachen. Ich habe in der Gastronomie, im Catering und an Wurstständen bei Straßenfesten gearbeitet. Mehrere Jahre hatte ich ein eigenes Lokal in Frankfurt-Sachsenhausen.

Jetzt bin ich 60 Jahre alt und arbeite noch zweimal in der Woche an der Bar einer Tango-Schule in Hofheim, kümmere mich um die Organisation und die Aufsicht. Meine Spezialität ist Pisco Sour, auch wenn das nichts Argentinisches ist. Das ist ein sehr starker Aperitif aus Chile.

Wie kam es, dass Sie in Argentinien aufgewachsen sind?

Mein Vater ist schon 1929 – er war damals 23 Jahre alt – aus beruflichen Gründen nach Argentinien gegangen. Er war Kaufmann und hat zunächst für die IG Farben, dann für Bayer in Montevideo und Buenos Aires gearbeitet. In den 50er Jahren hat er Bayer Argentina aufgebaut, wo er zuletzt auch Direktor war. In Buenos Aires hat er auch meine Mutter kennengelernt, die er als ganz junge Frau geheiratet hat.

Ihre Großmutter Else galt als Jüdin. Ihr Vater musste zum Edelarier erklärt werden, um studieren zu können. Was hat Ihr Vater von dieser Zeit erzählt?

Nicht viel, weil mein Vater schon starb, als ich 14 war. Er hat ebenso wie mein Großvater sehr spät geheiratet und Kinder bekommen. Seine Frau, also meine Mutter, war 20 Jahre jünger. Normalerweise müsste ich ja der Urenkel sein.

Was hat Sie nach Deutschland zurückverschlagen?

Die große Wirtschaftskrise in Argentinien. Dort herrschte eine Hyperinflation von über 2000 Prozent. Es ging drunter und drüber. Da haben wir uns gesagt: Warum sollen wir es nicht einmal in Deutschland versuchen? Wir haben 1990 in Heidelberg angefangen, wo mein Bruder Tomas seinen Facharzt für Chirurgie gemacht hat. Er ist heute Arzt auf Teneriffa.

Wo gibt es überall Nachfahren Emil von Behrings?

So weit ich weiß, sind nur noch die Familien von meinem Bruder und mir übrig. Meine Tante, die ich in den letzten drei Jahren gepflegt habe, ist vor einem Jahr gestorben. Sie war die Ehefrau von Emil von Behrings jüngstem Sohn Otto, der Kinderarzt in Wetzlar war.

Sie waren zweimal mit ihrem Bruder und den Kindern in Marburg, wo man ja auf Schritt und Tritt auf den Nobelpreisträger trifft. Wie ging es Ihnen damit?

Gleich am Bahnhof hängt eine Gedenktafel. Es gibt einen Rundgang auf den Spuren Behrings, eine Straße, eine Ausstellung und vieles mehr. Mein Sohn war völlig platt, als er auch noch ein rotes Behringauto vorbeifahren sah. Nicht gefallen hat mir, dass Behrings Ehefrau Else so wenig vorkommt.

Sie haben der Universität Marburg 2000 Briefe von ihrer Großmutter Else an deren Mutter für die Forschung überlassen. Haben Sie die gelesen?

Zum Teil. Zum Teil ist die Schrift aber so schwer zu entziffern, dass man sie als Laie nicht lesen kann. Ich finde es gut, dass ihre Rolle jetzt mehr untersucht wird.

Welches Bild haben Sie von Emil von Behring?

Er war sehr fleißig und dickköpfig. Er hat seine Ideen sehr hartnäckig verfolgt, hat aber auch sehr wirtschaftlich gedacht. Es ist gut, dass Emil von Behring heute nicht mehr so idealisiert wird. Ich selbst halte nichts davon, irgendwelche Reichtümer und Statussymbole anzuhäufen.

Wenn Sie selbst zum Arzt gehen – werden Sie dann immer nach Ihrem Großvater gefragt?

Schon sehr häufig. Aber in Argentinien noch mehr. Dort hat mich wirklich jeder Arzt gefragt, ob ich etwas mit Emil von Behring zu tun habe.

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