Polizisten

Beleidigt, geschlagen, angeschossen

Pöbeleien, Beleidigungen und Angriffe gehören für viele Polizisten zum Alltag. Beamte klagen über eine Verrohung der Gesellschaft. Warum werden die Helfer selbst zur Zielscheibe?

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TÜBINGEN. "17-Jähriger beleidigt fünf Polizisten in 20 Minuten", "Mehr als 50 Beamte bei Ausschreitungen verletzt", "Patient schießt auf Polizisten" - Meldungen wie diese häufen sich in jüngster Zeit. Jeden Tag werden in Deutschland Polizisten Opfer von Gewalt: Sie werden angespuckt, beleidigt, geschlagen, sogar angeschossen. P

olizeiexperten schlagen angesichts des wachsenden Gewaltpotenzials Alarm - und warnen vor einer Verrohung der Gesellschaft. Die Politik will gegensteuern.

Die schwarz-rote Koalition in Berlin will mit einer neuen Kampagne auf die zunehmende Gewalt gegenüber Polizisten und anderen Einsatzkräften reagieren. In Stuttgart erprobt die Bundespolizei seit dieser Woche den Einsatz von Körperkameras.

Bei diesen Bodycams handelt es sich um kleine Digitalkameras, die die Polizisten an der Uniform tragen und zur Dokumentation des Einsatzgeschehens verwenden. Stuttgart ist Teil eines Pilotprojekts der Bundespolizei, das auch München, Düsseldorf, Köln und Berlin umfasst.

Beschimpfungen und Pöbeleien

Für die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) ist mehr Schutz für Polizisten dringend nötig. Zwar gehört es zum Job, meist dann einzugreifen, wenn Menschen in Gefahr sind - doch beobachtet die Gewerkschaft mit Sorge, dass die Bereitschaft zu Gewalt gegen Polizisten immer häufiger werde.

"Neben regelmäßigen verbalen Gewaltattacken, wie Beschimpfungen und Pöbeleien, gibt es immer wieder auch Fälle schwerer Gewaltanwendung", heißt es in einer jüngst veröffentlichten Mitteilung mit Blick auf eine Messerattacke gegen einen Polizisten in Karlsruhe.

Weniger Respekt, mehr und brutalere Angriffe - diesen Trend verdeutlichen auch die Kriminalstatistiken. So stieg die Zahl der Attacken nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) bundesweit von 48 752 (2011) auf 55 738 (2014). Im vergangenen Jahr wurden sogar 62 000 Beamte angegriffen.

Auch in Baden-Württemberg nimmt das Gewaltpotenzial stetig zu. Nach Angaben des Innenministeriums wurde 2015 mit 3929 Fällen von Gewalt gegen Polizisten der Höchstwert aus dem Jahr 2012 (3794 Fälle) übertroffen. Rund 8000 Polizisten wurden dabei zu Opfern - ein Anstieg um 6,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Oft wird auf eine Anzeige verzichtet

Doch die Gefahr für die Beamten sei noch größer, als es die Zahlen der Kriminalstatistik offenbarten, sagt Polizeipsychologe Adolf Gallwitz von der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. "Gefühlt haben die Gewalt, die Beleidigungen und die Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten im Einsatz noch deutlicher zugenommen". Häufig erstatteten die Polizisten aber keine Anzeigen.

"Niemand möchte mehr belehrt, gemaßregelt oder in seinem Verhalten eingeschränkt werden", mahnt Gallwitz. "Die Reaktionen konnten in den letzten Jahren von Beleidigung über Körperverletzung bis hin zu Totschlag führen."

Dieser Wandel mache sich bereits bei nichtigen Zurechtweisungen im Alltag bemerkbar - etwa wenn ein Hund seinen Kot mitten auf dem Gehweg ablegt, beim Parken drei Plätze belegt werden oder jemand mit seinem Auto in eine Einbahnstraße fährt.

Manfred Klumpp, der Vorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamter in Baden-Württemberg, erklärt sich das Phänomen der Gewalt gegen Polizisten auch mit einer ganz allgemeinen wachsenden Ablehnung von Autorität in der Gesellschaft.

Zu einem Problem werde das, wenn es für die Täter keine angemessenen juristischen Folgen gebe. "Dann entsteht der Eindruck, dass solches Fehlverhalten toleriert wird."

Polizeibeamte würden im Rahmen ihrer Ausbildung zwar auf solche Übergriffe vorbereitet und darin geschult, Verletzungen zu vermeiden und beruhigend zu wirken.

"Was im Innern der Beamten letztlich übrig bleibt, wissen wir nicht", sagt Psychologe Gallwitz. "Die psychologische Wirkung einer Tätigkeit, in der sie ständig zu Rechtfertigungen veranlasst, angegriffen, angespuckt oder verletzt werden, ist leicht nachvollziehbar." (dpa)

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