Künstliche Befruchtung

Das Mädchen aus dem Reagenzglas wird 40

Die Britin Louise Brown ist das erste durch künstliche Befruchtung gezeugte Baby. Ihre Geburt am 25. Juli vor genau 40 Jahren war eine medizinische Sensation — und gesellschaftlich äußerst umstritten.

Von Tobias Schreiner Veröffentlicht:
Louise Brown hat selbst zwei Kinder. Sie wurden auf natürlichem Weg gezeugt.

Louise Brown hat selbst zwei Kinder. Sie wurden auf natürlichem Weg gezeugt.

© Tobias Schreiner / dpa

Für ihre Eltern war Louise Brown ein kleines, für die Welt der Medizin ein großes Wunder. Als sie 1978 durch einen Kaiserschnitt nahe Manchester das Licht der Welt erblickte, druckten Zeitungen rund um den Globus ihr Foto auf die Titelseiten.

Der erste durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gezeugte Mensch spaltete die Gesellschaft und sorgte vor allem bei den Kirchen für viel Kritik. Am 25. Juli wird Louise Brown 40 Jahre alt.

Ihr Leben verdankt sie streng genommen dem Glück ihres Vaters John. Mutter Lesley wurde auf natürlichem Wege nicht schwanger, eine Fruchtbarkeitsbehandlung war für die Arbeiterfamilie unbezahlbar.

Vor der Abfahrt in einen kurzen Sommerurlaub hatte John wie so häufig einen Wettschein der in Großbritannien beliebten Sportwetten "Football Pools" ausgefüllt. Als das junge Paar nach Hause zurückkehrte, fand es einen Scheck über 800 Pfund im Briefkasten.

Nach neun Jahren vergeblicher Versuche, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen, investierten die Browns das gewonnene Geld in künstliche Befruchtung – eine Methode, die erst kurz zuvor entwickelt worden war.

1969 war dem Cambridge-Physiologen Robert Edwards gemeinsam mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe die erste In-vitro-Fertilisation (IVF) einer menschlichen Eizelle gelungen.

Ein "Superbaby" wird geboren

Neun Jahre später waren es dieselben zwei Mediziner, die Lesley Brown eine Eizelle entnahmen, diese im Reagenzglas befruchteten und der Mutter wieder einsetzten.

"Bis sie bereits ein paar Monate schwanger war, wusste sie überhaupt nicht, dass die Methode komplett neu war und noch nie zuvor funktioniert hatte", sagte Louise Brown über ihre 2012 verstorbene Mutter.

38 Wochen später war es dann soweit: Am 25. Juli um 11.47 Uhr hallte das Schreien von Louise durch die Flure des Oldham General Hospitals, das eine gute halbe Stunde vom Zentrum Manchesters entfernt liegt.

Die Zeitung "Daily Mail", die sich die Exklusivrechte von Mutter Lesley gesichert hatte, nannte Louise das "Superbaby" – weltweit war damals vom ersten Retortenbaby (Test Tube Baby) die Rede. Mehr als 100 Journalisten belagerten das Haus der Familie in Bristol, nachdem Mutter und Tochter aus dem Krankenhaus entlassen wurden.

Die Browns erhielten unzählige Grußkarten. Einige der Briefe und Pakete waren adressiert an "Test Tube Baby, England": "Das war ja eigentlich ein Wunder, dass die Post überhaupt bei uns zuhause angekommen ist", sagte Brown.

Doch es gab auch schockierende Reaktionen: In einem Paket, das sie von einem radikalen Katholiken bekamen, fanden sie einen Plastik-Fötus und ein zerbrochenes Reagenzglas, wie Louise Brown in ihrer Autobiografie schreibt.

Das war nicht die einzige Schmähung, der die junge Familie ausgesetzt war. Der Vatikan kommentierte, die Geburt habe "sehr schwere Konsequenzen für die Menschheit", der katholische Erzbischof von Liverpool nannte sie "moralisch falsch". Trotz aller Kritik erhielt der Mediziner Robert Edwards 2010 den Nobelpreis.

Offensive Reaktion auf Kritik

Bislang kamen laut einer Studie der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) weltweit mehr als acht Millionen Menschen durch In-vitro-Fertilisation zur Welt.

Inzwischen werden geschätzt mehr als eine halbe Million Babys jährlich nach einer künstlichen Befruchtung geboren.

Rund jedes zehnte Paar habe Probleme, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen. Das erste deutsche Retortenbaby kam am 16. April 1982 in der Erlanger Frauenklinik zur Welt. Es war ein Junge — Oliver.

Louises Eltern reagierten damals offensiv auf die Kritik und tourten mit der bei der Geburt 2600 Gramm schweren und 49 Zentimeter großen Tochter durch Fernsehstudios und Talkshows. Sie wollten allen zeigen: Louise ist ein ganz normales Kind. Später zog sich die Familie zurück, um ihrer Tochter ein normales Leben zu ermöglichen.

Trotzdem ist Louise Brown bis heute ein Star. "Ich habe es ja nie anders gekannt. Manchmal ist es komisch, darüber nachzudenken, dass so viele Menschen weltweit meinen Namen kennen", sagte sie.

Brown wünscht sich ein drittes Kind

Auch heute nimmt Louise Brown noch regelmäßig Termine von New York bis Tokio wahr. Eine Veranstaltung zu ihrem 40. Geburtstag in Barcelona besuchten rund 12.000 Mediziner, im Februar 2017 sprach sie vor dem Europäischen Parlament.

Dennoch führt sie eigentlich ein ganz normales Leben. Sie arbeitet als Büroangestellte in einer Speditionsfirma und lebt mit ihrer Familie in Bristol. Ihre beiden Söhne wurden auf natürlichem Wege gezeugt.

Bei der Eröffnung einer IVF-Ausstellung im Londoner Science Museum am Montag ermutigte Brown Paare, die auf natürlichem Weg kein Baby bekommen könnten, nicht vor einer solchen Behandlung zurückzuschrecken.

"Wenn meine Mutter damals schwanger werden konnte, kann das heute jeder schaffen. Wenn ihr beharrlich bleibt und daran glaubt, kann es wirklich funktionieren."

Sie selbst wünsche sich noch ein drittes Kind, sagte Brown. Und das würde sie, wenn nötig, auch mit künstlicher Befruchtung bekommen. (dpa)

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