Der Eiserne Vorhang fällt, die Ärzte fliehen

Glück und Ratlosigkeit liegen im November 1989 ganz nah beieinander. Nach dem Fall der Mauer fürchtet die DDR den Exodus ihrer Eliten, auch der Ärzte.

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"Deutschland einig Vaterland": Berliner feiern auf der Mauer am Brandenburger Tor.

"Deutschland einig Vaterland": Berliner feiern auf der Mauer am Brandenburger Tor.

© dpa

Berlin, 9. November 1989. Pressekonferenz des SED-Politbüromitglieds Günter Schabowski. Nach einer Stunde fällt der entscheidende Satz:

"Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen."

Auf Rückfrage, ab wann das gelte, antwortet Schabowski stotternd: "Das trifft nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich."

Noch am gleichen Abend begeben sich Zehntausende Ostberliner an die Mauer, die Grenzposten leisten keinen Widerstand mehr. Der Eiserne Vorhang öffnet sich.

An jenem 9. November 1989 berichtet die "Ärzte Zeitung" im Aufmacher: "DDR / Nach Übersiedlung von Ärzten und Schwestern: Sanitätstruppen springen ein, um den Kollaps in den Kliniken abzuwenden."

Schon vor dem Fall der Mauer hat der Exodus von Ärzten und Krankenschwestern begonnen. Allein Ostberlin verzeichnet bis Anfang November einen Verlust von 1100 Mitarbeitern in Kliniken.

Das Problem verschärft sich seit der Grenzöffnung. Zugleich strömen aber auch Menschen aus Ostberlin in den Westen, weil sie hier nach den geltenden Modalitäten ärztliche Behandlung und Arzneimittel kostenlos erhalten können.

Eine Regelung, die für medizinische Notfälle bei den bis zum Herbst 1989 wenigen Besuchern, durchweg Rentner, aus der DDR gegolten hat.

Die Freiheit, die die ostdeutschen Bürger gewinnen, löst eine Fluchtwelle aus, die die historischen Entscheidungen im Jahr 1990 maßgeblich beeinflussen sollen.

Bei den Ärzten ist der Exodus aus der DDR nicht primär wirtschaftlich begründet: Es sind die tägliche politisch-administrative Gängelung, die Einschränkungen bei Diagnose und Therapie, Bevormundung und Misstrauen.

Und Mangel an Wertschätzung. Bis 4000 Ärzte, das sind zehn Prozent, und 8000 Pflegekräfte haben bis zum 20. November die DDR verlassen.

Die politischen Entscheidungsgremien in beiden deutschen Staaten reagieren hilf- und ratlos. Die DDR-Führung versucht es mit Appellen - und verzichtet auf Beschimpfungen.

Professor Harald Mau von der Charité initiiert den ersten freien DDR-Ärzteverband und fordert eine Verdoppelung des Gesundheitsetats, finanziert aus Devisen.

Die Bundesärztekammer wirkt überfordert und verweist auf die Verantwortung der DDR-Regierung.

Ganz anders die Ärzte selbst: Ost und West begegnen sich. Und Kollegen helfen Kollegen. Es wächst zusammen, was zusammengehört. (HL)

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