Muttermilch

Die Amme aus der Flasche

Nicht alle Mütter können stillen: Ein alter Trend erlebt deshalb wieder Aufwind: Frauenmilchbanken. Der Bedarf gerade in den Frühgeborenenzentren ist größer als das Angebot.

Von Martina Rathke Veröffentlicht:
Stillen ist besonders gut für Babys, glauben viele Menschen. Und tatsächlich: Muttermilchbanken erleben gerade ein Comeback.

Stillen ist besonders gut für Babys, glauben viele Menschen. Und tatsächlich: Muttermilchbanken erleben gerade ein Comeback.

© Oscar Brunet / fotolia.com

GREIFSWALD/BERLIN. Mit der Besinnung auf die Vorteile des Brustgebens erlebt inzwischen auch ein weiterer Trend wieder Aufwind: Das Verfüttern von Frauenmilch an fremde Babys. Nach einer Schließungswelle in den 1970er bis 1990er Jahren entstehen vor allem an den hoch spezialisierten Frühgeborenenzentren wieder Frauenmilchbanken.

Nach Angaben der European Milk Bank Association (Emba) arbeiten in Deutschland aktuell 15, davon 13 in den neuen Ländern. Auch in Westdeutschland, wo alle Milchbanken bis 1972 dicht machten, sind inzwischen wieder zwei aktiv – in München und in Dortmund.

Trotz des Positivtrends liegt Deutschland damit dennoch im Mittelfeld, hinter Frankreich, Italien, Schweden oder Finnland.

Gegründet vor über 100 Jahren

Die Idee, Babys Milch fremder Mütter zu geben, ist nicht neu: Bereits 1909 wurde die erste Frauenmilchstelle in Wien eingerichtet. Obwohl sich die künstliche Säuglingsnahrung schon damals verbreitete, waren viele Kinderärzte davon überzeugt, dass Muttermilch die beste Ernährung gerade für kranke Säuglinge und Frühgeborene sei, sagt die Neubrandenburger Still- und Laktationsberaterin Vera Risy, die zur Geschichte der Frauenmilchsammelstellen recherchierte.

Im Jahr 1925 entwarf die Künstlerin Käthe Kollwitz das Plakat "Mütter, gebt von euerm Überfluss", um für Frauenmilchsammelstellen zu werben. Im Jahr 1959 gab es in Deutschland 86 Frauenmilchbanken, davon 62 in der DDR. Mit dem Aufstieg der künstlichen Säuglingsnahrung ab den 1970er Jahren sanken die Stillraten und Frauenmilchbanken gerieten ins Abseits.

"Natürlich ist es das Beste, wenn Mütter ihre Kinder selbst stillen. Doch nicht immer ist das möglich", sagt der Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Greifswald, Professor Matthias Heckmann. Dort wurde 2014 die Frauenmilchbank neu eröffnet und dort setzt man wie in Leipzig sogar auf die Gabe von roher – also nicht pasteurisierter Frauenmilch.

Es sei erwiesen, dass durch die Pasteurisierung – also das Erhitzen der Milch auf 62,5 Grad Celsius – nicht nur potenziell infektiöse Bakterien und Viren abgetötet werden, sondern auch jene Immun- und Abwehrstoffe und biologisch aktive Substanzen wie Laktoferrin, die sich förderlich auf das Gedeihen der Frühchen auswirken, erklärt Heckmann.

Hohe Qualitätsanforderungen

Die Gabe roher Frauenmilch stellt allerdings besonders hohe Qualitätsanforderungen. So hat das Universitätsklinikum eine Leitlinie erarbeitet, die strenge Maßstäbe unter anderem für die Aufbereitung und Lagerung von roher Frauenmilch festlegt.

Der Bedarf an Frauenmilch für Frühchen kann in Deutschland derzeit nicht gedeckt werden, sind sich Experten einig. In Greifswald werden stillende Frühchenmütter aktiv angesprochen, wie die Neonatologin Anja Lange erklärt. Das geschieht natürlich nur, wenn sie genügend Milch haben, um auch andere Frühchen damit zu versorgen. Die Milch solcher Mütter ist besonders geeignet, denn die Zusammensetzung der Milch und der Bedarf der Frühchen an bestimmten Stoffen ändern sich im Laufe der Zeit.

Bevor eine Mutter zur Spenderin wird, wird sie umfassend auf Erkrankungen gecheckt und die Milch auf Keime untersucht. Die rohe Milch ist dann tiefgekühlt bei -20 Grad bis zu sechs Monate haltbar. Bevor die Milch an Frühchen gegeben werde, wird sie nochmals auf Keimbelastung untersucht.

Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hält den weiteren Ausbau von Frauenmilchbanken in Deutschland für dringend erforderlich. Zum einen könne so gewährleistet werden, dass vor allem Frühgeborene und kranke Babys die Milch erhalten, die sie benötigen.

Besser als künstliche Nahrung?

"Frauenmilch enthält wichtige Substanzen für die Entwicklung des Säuglings, die künstliche Nahrung nicht bieten kann", sagt die Beauftragte des Deutschen Hebammenverbandes für Stillen und Ernährung, Aleyd von Gartzen.

Frauenmilch versorge die Babys mit den richtigen Eiweißen, Fetten und Kohlehydraten und liefere Immunstoffe, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, die genau auf den menschlichen Organismus abgestimmt sind. Qualitätsstandards in den Frauenmilchbanken stellten sicher, dass die Milch hygienisch sauber sei.

Die WHO empfiehlt bei der Ernährung Neugeborener als erste Wahl die Gabe von Muttermilch. (dpa)

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