Eine deutsche Ärztin zwischen zwei Welten

Sie hatte Angst vor der Ärzteschwemme und studierte zunächst Biologie. Für ihre Diplom-Arbeit über Breitmaul- nashörner lebte Claudia Handtrack acht Monate allein in Südafrika - und studierte dann doch noch Medizin.

Von René Schellbach Veröffentlicht:

Seit 2006 arbeitet Dr. Claudia Handtrack als Ärztin im Süden Afrikas. Sie ist stolz darauf, vielen Menschen mit einfachen Mitteln zu helfen. Den deutschen Klinik-Alltag hingegen sieht sie kritisch.

"Zum Leidwesen meiner Eltern habe ich immer schon einen etwas verzweigten Lebensweg verfolgt", sagt Claudia Handtrack über sich. Eine Urlaubsreise nach Südafrika zusammen mit ihrer Schwester weckte die Begeisterung der 38-Jährigen für das Land am Kap. "Allerdings wollte ich niemals ganz auswandern. Dafür habe ich mich Deutschland, unserer Lebensweise und Kultur immer zu verbunden gefühlt."

Für Chirurgie gut geeignet

Während des Medizin-Studiums in Erlangen absolvierte die Ärztin das Praktische Jahr in den USA und in Port Elizabeth, mit 750 000 Einwohnern viertgrößte Stadt Südafrikas, 800 Kilometer östlich von Kapstadt am Indischen Ozean gelegen. "Das war für mich die Offenbarung", erzählt sie. "Es gab so viel zu tun, sogar für eine Medizinstudentin." Sie habe "verblüfft festgestellt", dass sie Chirurgie mag und dafür geeignet ist. "Als Hakenhalter in dritter Reihe konnte man das in Deutschland nicht über sich herausfinden."

Claudia Handtrack lobt die Ärzte-Ausbildung in Südafrika: Zwei Jahre lang, nach dem Studium, absolvieren die Mediziner ein Praktikum im Krankenhaus, bei dem sie in Viermonatsblöcken die Abteilungen wechseln. "Sie managen alleine die Notaufnahme oder die Ambulanz und haben Stationsdienst. Nach einem Jahr sind das ‚richtige‘ Ärzte, die ihr Leben lang intubieren, reanimieren oder lumbalpunktieren können, auch wenn sie später als Hautarzt tätig sind."

Nach dem 3. Staatsexamen begann Handtrack im Januar 2004 als Ärztin in der Inneren Medizin an der Uni-Klinik in Erlangen. "Mir gefiel es gut, aber Südafrika ließ mich nicht los. Ich wollte unbedingt dort noch einmal arbeiten und mehr lernen, bevor ich mich irgendwo niederlasse oder spezialisiere." Südafrika empfing sie jedoch nicht mit offenen Armen. "Die Zulassung war ein Albtraum, weil alle Korrespondenz versickerte, endlos oft die notariellen Kopien verloren gingen." Erst 48 Stunden vor dem bereits gebuchten Abflug hatte sie ihr Visum. Inzwischen hilft hierbei eine Agentur (www.ahp.org.za). Die Deutsche musste ein Examen der Ärztekammer in Pretoria bestehen. Keiner hatte ihr gesagt, dass beim Multiple-Choice-Test nicht wie in Deutschland die richtige, sondern die beste Antwort zählt.

Im Dora Nginza Hospital gibt es 1000 Geburten im Monat

Im Juni 2006 war es dann soweit - Claudia Handtrack fing in Port Elizabeth am Dora Nginza Hospital in der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe an, wo sie schon im "PJ" war. Sie wollte nur ein Jahr bleiben, hatte die deutsche Stelle behalten. Nebenher schrieb sie ihre Dissertation (summa cum laude) und wollte sich eine akademische Karriere offen halten. Inzwischen ist sie am Livingstone Hospital in der Chirurgie. Handtrack ist nicht sicher, ob sie ganz hier bleiben möchte. "Man bleibt Fremde und lernt viele Sachen in Deutschland doch ganz anders schätzen."

Dennoch kritisiert sie den deutschen Klinik-Alltag heftig. Es werde zu viel mit aufwendiger Technik untersucht. "Ich bin kein Cowboy, das Wohl der Patienten steht für mich an höchster Stelle", stellt sie unmißverständlich klar. "Aber ich bin eben Ärztin, kein Ingenieur oder Verwaltungsbeamter. In Deutschland darf nichts passieren, niemand sterben und wenn doch, dann war irgendjemand schuld. Es ist nicht mehr akzeptiert, dass manche Krankheiten zum Tod führen und dass der Mensch eine begrenzte Lebensspanne hat."

Den Einwand, dass ahnungslose europäische Ärzte in Südafrika Patienten als Versuchsobjekt benutzen, findet Claudia Handtrack nicht berechtigt. "Die Leute sind hier so krank, die medizinische Versorgung ist so lückenhaft, dass jeder Handgriff besser ist als nichts zu machen." Sie berichtet von "unheimlicher Arbeitslast" in Port Elizabeth. Während große deutsche Kliniken 1500 Geburten im Jahr haben, zählt das Dora Nginza Hospital 1000 Geburten pro Monat.

Oft gebe es so viele Geburten gleichzeitig, dass keine Zeit ist, die Kinder auf die Pflegestation zu bringen. Bis zu vier von ihnen werden dann in einen Inkubator gelegt, bis jemand sie versorgt. "Ich habe in anderthalb Jahren 850 Sektios operiert, unzählige ektope Schwangerschaften, habe Zangen- und Vakuumgeburten, Steißlagen entbunden. Das macht einfach Spaß. Man sieht viel, lernt viel, macht viel und kann viel. Das ist ein schönes Gefühl."

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