Anschlag von Berlin

Expertenrat zu Erster Hilfe

Bei Massenunfällen oder Anschlägen sind die Ersthelfer meist auch Betroffene. Dadurch ist die Solidarität größer, sagt Professor Peter Sefrin, Mitbegründer des modernen Rettungsdienstes und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Polizisten und Rettungskräfte vor der Gedächtniskirche in Berlin.

Polizisten und Rettungskräfte vor der Gedächtniskirche in Berlin.

© Kappeler / dpa

Ärzte Zeitung: Herr Professor Sefrin, angesichts von Ereignissen wie jetzt in Berlin: Denken Sie, die Menschen sind vorbereitet, um angemessen Erste Hilfe zu leisten?

Professor Peter Sefrin: Es handelt sich hier um eine Extremsituation, die sich vom "normalen" Notfall unterscheidet. Anders als bei vielen Unfällen sind bei einem solchen Anschlag mögliche Helfer selbst in das Ereignis einbezogen.

Dadurch ist die Solidarität sehr viel größer. Das erhöht auch die Hilfsbereitschaft. Inwieweit sie dem entspricht, was wir uns medizinisch im Sinne einer Ersten Hilfe-Leistung vorstellen, ist eine andere Frage.

Professor Peter Sefrin ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte.

Professor Peter Sefrin ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte.

© Andreas Gebert / dpa

Ärzte Zeitung: Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun, welche Aspekte wären besonders wichtig?

Professor Peter Sefrin: Das kann man nicht verallgemeinern, es kommt auf die Verletzungen an. Bei Schussverletzungen kann man nicht viel tun. Man wird vor allem versuchen, die Atemwege freizuhalten und die Betroffenen stabil zu lagern. Zudem sind Explosionsverletzungen möglich, Amputationen, oder Splitterverletzungen.

Ärzte Zeitung: Wie ist Ihre Meinung zum Abbinden, etwa eines Arms bei Schusswunden?

Professor Peter Sefrin: Bei einer Schussverletzung am Arm würde man normalerweise nicht abbinden. Nur bei großen, blutenden Wunden oder Amputationen.

Ärzte Zeitung: Dafür eignet sich ein Gürtel, Druckverband oder ähnliches?

Professor Peter Sefrin: Je nachdem, was da ist. Wir haben jetzt den Rettungsdienst mit sogenannten Tourniquets ausgestattet. Normalerweise binden die Rettungskräfte ab.

Ärzte Zeitung: Hilft es, wenn ein Laie das schon macht?

Professor Peter Sefrin: Es kommt darauf an, ob er die Situation richtig einschätzt. Je kürzer und geringer der Blutverlust, desto besser sind die Heilungschancen. Bei starken Blutungen, wie bei einer Amputation, ist der Bedarf offensichtlich.

Würde jemand aber zu früh abbinden, ohne Indikation, bestünde die Gefahr, dass es gerade bei längerer Liegezeit zu einer Ischämie des Gewebes kommt. Deswegen wurde zuletzt festgelegt, dass das keine reguläre Erste Hilfe-Maßnahme ist, außer in einer Ausnahmesituation. Ein Terroranschlag kann natürlich eine solche sein.

Ärzte Zeitung: Kann man das Wissen aus einem regulären Erste-Hilfe-Kurs anwenden?

Professor Peter Sefrin: Grundzüge kann man anwenden. Bei einem Schädel-Hirn-Trauma etwa kann man einen drohenden Atemstillstand durch Lagerung in stabiler Seitenlage vermeiden.

Ärzte Zeitung: Sind bei einer Herz-Lungen-Wiederbelebung Fehler möglich?

Professor Peter Sefrin: Nein. Wenn jemand nicht mehr ansprechbar ist und nicht mehr normal atmet, ist Wiederbelebung indiziert.

Ärzte Zeitung: Kommt es vor, dass jemand durch fehlerhafte Erste Hilfe schadet?

Professor Peter Sefrin: Wer nach bestem Wissen und Gewissen hilft, kann im Grunde nichts falsch machen. Juristisch ist er auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Es gibt natürlich nicht indizierte Maßnahmen. Ich habe das aber nie erlebt.

Ärzte Zeitung: Müssten sich angesichts von Anschlägen die Inhalte von Erste-Hilfe-Kursen ändern?

Professor Peter Sefrin: Nein. Die Wahrscheinlichkeit für so ein Ereignis ist extrem gering. Ein Erste-Hilfe-Kurs orientiert sich an alltäglichen Notfällen. Gerade erst haben wir den Kurs gekürzt von 16 auf neun Unterrichtseinheiten.

Die Teilnehmer haben die Vielzahl möglicher Schädigungen, die nur selten vorkommen, nicht akzeptiert. Zudem haben noch immer 30 Prozent der Bürger noch nie einen Kurs gemacht. Dabei wäre vielmehr eine regelmäßige Wiederholung erforderlich.

Ärzte Zeitung: Gibt es sonst einen Rat, wie sich Menschen in einer solchen Extremsituation am besten verhalten? Insbesondere, wenn die Gefahrenlage unklar ist, ob noch etwas passieren kann, oder wo der Täter ist?

Professor Peter Sefrin: Erkennt der Bürger eine Gefahr – und das ist sehr schwierig bei einem Anschlag –, soll er sich von dem Ort entfernen. Das steht im Konflikt mit der Hilfe für andere.

Als Mediziner muss ich natürlich sagen, es wäre gut, wenn die Unverletzten den anderen helfen. Besteht aber erkennbar Gefahr, geht Eigenschutz vor Hilfeleistung.

Ärzte Zeitung: Da können sehr schwierige Situationen entstehen.

Es ist unmöglich, dazu einen allgemeinen Rat zu geben, es kommt immer auf den Einzelfall an.

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