Umfrage

Fast jeder Fünfte findet Bier für Schwangere vertretbar

Schon wenige Tropfen Alkohol in der Schwangerschaft können beim Kind zu schweren Störungen führen. Darauf will der Tag des "Alkoholgeschädigten Kindes" am 9. September hinweisen. Trotzdem hält jeder sechste Bürger es vertretbar, wenn werdende Mütter ab und zu ein Gläschen trinken.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen und Anne Zegelman Veröffentlicht:
Ein Glas Wein kann doch nicht schaden? Das denken laut einer Umfrage 18 Prozent der Bundesbürger.

Ein Glas Wein kann doch nicht schaden? Das denken laut einer Umfrage 18 Prozent der Bundesbürger.

© Hans Wiedl / dpa

BERLIN. Das Spektrum reicht von leichten Konzentrationsproblemen bis zu dauerhaften schweren geistigen und motorischen Störungen: In Deutschland werden jedes Jahr 10.000 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrum Störungen (FASD) geboren, jedes Fünfte davon mit einem voll ausgeprägten Fetalen Alkoholsyndrom (FAS).

Immer wieder warnen Pädiater und Gynäkologen vor Alkohol während der Schwangerschaft. Eine Umfrage im Auftrag der Privaten Krankenversicherung (PKV) zeigt allerdings: Entgegen aller Warnungen halten 18 Prozent der Bundesbürger ein gelegentliches Gläschen Sekt oder Bier während der Schwangerschaft für vertretbar.

Unter dem Eindruck dieser Zahlen hat die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler zum "Tag des Alkoholgeschädigten Kindes" am 9. September noch einmal auf die Problematik hingewiesen.

Gemeinsam mit dem Verein FASD-Deutschland stellte sie das im Rahmen eines Forschungsprojekts entstandene Buch "Suchtgefährdete Erwachsene mit Fetalen Alkoholspektrumsstörungen" vor, das helfen soll, die Versorgungslage zu verbessern.

Suchtgefahr ist später größer

Fast jeder zweite Erwachsene mit einer Fetalen Alkoholspektrumsstörung entwickele zusätzlich zur bestehenden Beeinträchtigung eine Suchtstörung, erklärte Mortler.

Daher sei es wichtig, bei der Diagnose, Behandlung und Betreuung dieser Patientinnen und Patienten deren besondere Situation zu berücksichtigen.

Das Buch zeigt auf, wie Diagnostik, Screening-Ansätze und Interventionsmöglichkeiten aussehen können. Es gibt Anregungen für den diagnostischen, therapeutischen und pädagogischen Umgang mit Betroffenen.

Marlene Mortler kündigte an, es sei darüber hinaus ein Handbuch geplant, das sich direkt an die Betroffenen wendet. Denn eines sei klar: FASD sei die einzige Krankheit, die zu 100 Prozent vermeidbar sei.

Jüngere sind konsequenter

Die Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts INSA im Auftrag des Verbands der PKV zeigt, dass trotz der Fehleinschätzung von 18 Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ablehnt. Mit steigendem Alter wird allerdings die Toleranz gegenüber einem Gläschen zwischendurch größer.

Die Forscher hatten 2000 Personen ab 18 Jahren gefragt, ob sie ein Glas Bier oder Sekt während der Schwangerschaft für vertretbar halten. 72 Prozent verneinen das, 18 Prozent sehen in dem gelegentlichen Alkoholkonsum kein Problem, zehn Prozent sind unentschlossen.

Die Umfrage ergab, dass die Ablehnung bei den 18- bis 24-Jährigen mit 84 Prozent am höchsten ist. Danach nimmt sie kontinuierlich ab, den niedrigsten Wert haben die über 55-Jährigen mit 67 Prozent.

PKV-Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach begrüßt, dass gerade junge Menschen wenig tolerant gegenüber Alkohol in der Schwangerschaft sind. Das zeige, dass Aufklärungskampagnen zum Alkoholmissbrauch wirken, sagt er. Leienbach kündigte an: "Wir werden sie deshalb weiterhin unterstützen."

Das Buch "Suchtgefährdete Erwachsene mit Fetalen Alkoholspektrumsstörungen" von Gela Becker, Klaus Hennicke und Michael Klein ist im Verlag De Gruyter erschienen und unter der ISBN-Nummer 978-3-11-042511-6 erhältlich.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 09.09.201511:10 Uhr

Rein spekulative Schlagzeilen sind kontraproduktiv und unlogisch!

"Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 715.000 Kinder lebend geboren." Das waren "4,8 % mehr als im Jahr 2013 (682 000). In Deutschland waren zuletzt im Jahr 2004 mehr als 700 000 Kinder zur Welt gekommen." Quelle:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Geburten/Geburten.html

Wenn in Deutschland jedes Jahr 10.000 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrum Störungen (FASD) geboren werden, jedes Fünfte davon mit einem voll ausgeprägten Fetalen Alkoholsyndrom (FAS), bedeutet das eine Inzidenz von 1,4 Prozent für FASD und 0,3 Prozent für das FAS.

Jeder Fall von FASD und FAS ist einer zu viel! Aber was hat das, bitteschön, mit der landläufig besonders in Bayern kurz vor dem Oktoberfest typischerweise von Männern vertretenen Meinung zu tun, "fast jeder Fünfte findet Bier für Schwangere vertretbar"? Insbesondere, wenn der Anteil von alkohol f r e i e m Bier in den letzten 10 Jahren sprunghaft zugenommen hat. D a n a c h wurde aber wohl gar nicht erst gefragt.

FAS und FASD werden nur durch hepatisch und zerebral relevante Alkoholmengen in der Schwangerschaft induziert. Mit 2 Laborwerten ist dies zu screenen und zu detektieren: GGT und CMV. Beide Laborwerte sind aber noch nicht mal bei der Gesundheitsvorsorgeuntersuchung vorgesehen. Dies zu ändern, wäre vordringliche Hausaufgabe von KBV, gemeinsamem Bewertungsausschuss, G-BA und den Verfassern von Mutterschaftsrichtlinien.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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