Wiederaufbau in Nordjapan

Fukushima-Folgen noch nicht im Griff

Am 11. März 2011 ereignete sich die Katastrophe in Fukushima. Drei Jahre danach ist die Situation am Atommeiler noch immer nicht vollends unter Kontrolle. Auch der Wiederaufbau der zerstörten Region Tohoku geht nur schleppend voran. Für die Menschen dort bedeutet das vor allem eines - eine lange und harte Geduldsprobe.

Von Sonja Blaschke Veröffentlicht:
Bereits vor einem halben Jahr isnpizierten Mitglieder der japanischen Atomaufsichtsbehörde am AKW Fukushima-Daiichi leckende Tanks kontamnierten Wassers. Bis heute hat sich an der Situation nicht viel geändert.

Bereits vor einem halben Jahr isnpizierten Mitglieder der japanischen Atomaufsichtsbehörde am AKW Fukushima-Daiichi leckende Tanks kontamnierten Wassers. Bis heute hat sich an der Situation nicht viel geändert.

© dpa

TOKIO. Drei Jahre nach der Dreifachkatastrophe mit einem Mega-Beben der Stärke 9,0, einem Tsunami, der auf mehr als 400 Kilometer Städte und Dörfer entlang der Küste überflutete, und der Havarie des Atomkraftwerkes Fukushima Daiichi in Nordjapan hat das Interesse an den Ereignissen, die damals die Welt erschütterten, stark abgenommen - auch im eigenen Land. 18.500 Menschen wurden damals als direkte Folge der Katastrophe in den Tod gerissen.

Doch für die Menschen in den am stärksten betroffenen Präfekturen Iwate, Miyagi und Fukushima sind die dramatischen Ereignisse weiter Teil ihres Alltags. Die Kleinstadt Otsuchi wurde damals zu 60 Prozent zerstört, verlor fast zehn Prozent ihrer Einwohner.

Die Schüler einer Oberschule arbeiteten seither an ihrer Vision vom neuen Otsuchi und stellten kürzlich ihren Plan vor. Doch daneben hatten sie ein weiteres Anliegen: "Bitte vergesst das Erdbeben nicht", appellierten sie an ihre Landsleute und die Welt, sie nicht zu vergessen. Das ist eine der größten Ängste.

Gouverneur von Iwate spricht von "Wendepunkt"

Denn der eigentliche Wiederaufbau geht erst jetzt los. An den meisten Orten entlang der japanischen Ostküste sind die riesigen Schuttberge inzwischen weitgehend verschwunden. Nur noch wenige Ruinen stehen auf den Brachflächen.

 "Wir sind an einem Wendepunkt angelangt", so der Gouverneur von Iwate, Takuya Tasso.

Vom "Beginn des sichtbaren Wiederaufbaus" spricht der zuständige Minister Takumi Nemoto. Nun werden vielerorts umliegende Berge abgetragen und in den Ebenen aufgeschüttet, um sie weiter über den Meeresspiegel zu bringen.

Doch vom Meer werden die künftigen Bewohner nicht viel sehen. Damit Wohnhäuser gebaut werden können, müssen erst Tsunamischutzwälle errichtet werden. Die teuren Bauprojekte sind umstritten.

Eine Seniorin, die in einer Behelfsunterkunft bei Kamaishi in Iwate lebt, ist skeptisch: "Als Kind konnte ich von meinem Haus aus das Meer sehen. Dann wurden die Schutzwälle immer höher. So verloren wir unsere Beziehung zum Meer und waren uns der Gefahr nicht mehr bewusst, als der Tsunami kam."

Lassen Baufirmen die Region im Stich?

Die, die es bis jetzt nicht geschafft haben, ihre Häuser oder Läden mit eigenen Mitteln wieder aufzubauen, für die heißt das, noch ein bis zwei Jahre länger in den engen, hellhörigen, containerartigen Übergangswohnungen bleiben zu müssen.

Besonders hart trifft es Senioren, von denen in der ländlichen Region viele leben. Noch einmal von vorne anzufangen kostet Kraft und Zeit, zerrissene Gemeinschaften wieder aufzubauen auch.

Jetzt droht eine weitere Verzögerung, seit Tokio den Zuschlag für die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2020 bekam. In Nordjapan fürchtet man, dass Baumaterial noch teurer wird, Handwerker noch später kommen, Baufirmen gleich ganz absagen, weil sie in Tokio das bessere Geschäft wittern.

Außer den Arbeitern seien kaum noch jüngere Leute in ihren Dreißigern oder Vierzigern in der Region, erzählt ein Einzelhändler. Schon vor der Katastrophe war sie von Abwanderung und Überalterung geprägt.

Der Tsunami hat die Tendenz verstärkt. Auch deshalb fragen sich nun viele Gemeinden insgeheim, für wen sie die Städte wiederaufbauen.

Für die Oberschüler in Otsuchi wohl erst einmal nicht: Die meisten wollen nach ihrem Schulabschluss "erst einmal" weg, zur Ausbildung, für Jobs. "Aber später wollen wir wiederkommen, etwas für unseren Ort tun", beeilen sie sich zu versichern. Ob es bis dahin gute Arbeitsplätze für sie gibt, ob sie Wohnraum finden - mit Sicherheit kann das niemand sagen.

Klar ist nur: Bis in stark zerstörten Orten wie Otsuchi, Rikuzentakata, Minamisanriku oder Onagawa wieder ein halbwegs "normales" Leben möglich ist, werden noch mindestens acht Jahre ins Land gehen, so der Gouverneur von Iwate.

Das Warten zehrt auch an den Nerven der Schüler

"Wiederaufbau ist, wenn wir das Gefühl haben, dass wir einen Schritt weitergekommen sind", sagt eine der Oberschülerinnen in Otsuchi. Aber acht Jahre, das ist selbst für die sprichwörtlich geduldigen Nordjapaner eine sehr lange Zeit. Wenigstens gibt ein solcher Zeitrahmen den Menschen in Iwate und Miyagi eine gewisse Perspektive.

In der Präfektur Fukushima hingegen ist weiter völlig unklar, was mit den nach dem GAU Evakuierten passiert. Noch immer warten über 100.000 Menschen auf klare Ansagen durch die Regierung - bisher vergebens.

Die Lage am havarierten Atomkraftwerk ist alles anderes als stabil. Täglich dringen rund 400 Tonnen Grundwasser in die Gebäude ein und werden so radioaktiv verschmutzt. Die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco) versucht, das Wasser aufzufangen, bevor es ins Meer fließt, und sammelt es in über 1000 riesigen Tanks, die jedoch immer wieder leckschlagen.

Obwohl die Krise am AKW nicht gelöst ist, will Regierungschef Shinzo Abe Japans derzeit ruhenden 48 kommerzielle Atomreaktoren wieder ans Netz bringen.

Außerdem wolle er gegen weitere Rufschäden in Bezug auf Produkte aus Fukushima vorgehen: "Ich esse täglich Reis aus Fukushima, das gibt mir Kraft," sagte er am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Tokio.

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