Ungenutztes Potenzial
Wie eine Krankenkasse Betriebsärzte in die Primärversorgung einbinden will
In Zeiten von Ärztemangel und Zugangsdebatte sind Betriebsärztinnen und Betriebsärzte ein wichtiger, aber zu wenig genutzter Versorgungshebel, meint die Siemens-BKK. Die Krankenkasse verweist auch auf eine aktuelle Umfrage.
Veröffentlicht:
Ungenutzte Kompetenz in der ambulanten Versorgung? Blick in eine betriebsärztliche Dienststelle.
© Jan Woitas / picture alliance
Berlin/München. Ärztinnen und Ärzte werden zunehmend knapp in Deutschland. Laut Statstik ist etwa jede fünfte Hausärztin beziehungsweise jeder fünfte Hausärzte zwischen 60 und 65 Jahre alt – er oder sie geht somit absehbar in Rente.
Die SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, die eigenen Angaben zufolge zu den 20 größten gesetzlichen Kassen in Deutschland gehört, bringt sich nun mit einem Vorschlag in die Debatte um Ärztemangel und Zugangswege zur Versorgung ein.
„Ein bislang ungenutzter Hebel“, schreibt die Krankenkasse in einer am Freitag verbreiteten Mitteilung, stelle die Kompetenz der rund 3.500 Betriebsärztinnen und Betriebsärzte dar. Diese erreichten die Menschen direkt am Arbeitsplatz und würden deren gesundheitliche Situation gut kennen.
Strenge gesetzliche Regelungen
Betriebsärzte unterliegen engen gesetzlichen Regularien. So dürfen sie meist nur Leistungen anbieten, die unmittelbar mit Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit zu tun haben. Bei der Primärversorgung sind sie weitgehend außen vor. Leistungen wie Impfungen können sie nur auf recht umständliche Weise mit den Krankenkassen abrechnen.
„Derzeit ist es oft so, dass wir Mitarbeitende mit ihren Beschwerden abweisen müssen, da wir ausschließlich Notfälle behandeln und keine weiterführenden Therapien anbieten dürfen“, sagt der leitende Betriebsarzt der Siemens AG, Dr. Ralf Franke.
Betroffene würden dann an das KV-System verwiesen. Dort müssten sie neue Termine vereinbaren – dies sei „oftmals mit langen Wartezeiten“ verbunden, so Franke.
„Dürfen ausschließlich Notfälle behandeln“
Die SBK macht sich auch deshalb dafür stark, Handlungsspielräume der Betriebsärzte in der ambulanten Versorgung zu erweitern. Dadurch ließe sich das „Gesundheitssystem insgesamt“ entlasten. Konkret gehe es der Kasse darum:
- Betriebsärzte benötigten mehr Möglichkeiten im Bereich der Früherkennung und der Überwachung von Risikofaktoren. In der Betreuung von Diabetes- oder Bluthochdruckpatienten könnten Betriebsärzte zusammen mit Haus- und Fachärzten eine „wichtige Rolle“ einnehmen.
- Durch Einbindung der Betriebsärzte in die Telematikinfrastruktur könnten diese mit ePA, E-Rezept und eAU arbeiten und in den Austausch mit anderen Leistungserbringern treten.
- Statt Einzelverträgen zwischen Kassen und Betriebsärzten bräuchten letztere eine generelle Ermächtigung für Impfungen, Präventionsempfehlungen oder das Ausstellen fachärztlicher Überweisungen.
Zehn Jahre Präventionsgesetz
SBK-Chefin Demmler: Es lohnt sich, noch mehr für Prävention zu tun
SBK-Chefin Dr. Gertrud Demmler betont, betriebsärztliche Versorgung sei kein Ersatz, sondern eine „sinnvolle Ergänzung zur hausärztlichen Betreuung“. Durch eine enge Abstimmung zwischen beiden lasse sich Prävention „noch wirksamer“ gestalten.
Mehrheit will Kompetenzerweiterung
Laut einer aktuellen YouGov-Umfrage für die SBK unter 1.047 Beschäftigten in Unternehmen unterschiedlicher Größe sprechen sich derweil 63 Prozent der Beschäftigten dafür aus, dass Betriebsärzte mehr Leistungen wie Check-ups oder zusätzliche Impfungen anbieten sollten. Die Umfrageergebnisse lagen der Ärzte Zeitung vorab vor.
Die Hälfte der Befragten (52 Prozent) hat bereits mindestens einmal eine betriebsärztliche Leistung in Anspruch genommen. Gut 70 Prozent bewerten diese Versorgung als gut oder sehr gut.
Mit einem Anteil von 48 Prozent ist bei denen, die eine betriebsärztliche Leistung in Anspruch genommen haben, der Sehtest das am häufigsten genutzte Angebot – gefolgt von Impfungen. (hom)