Telemedizin sei Dank

Schnelle Hilfe auf hoher See

Die Arbeiter auf den Nordsee-Windparks viele Kilometer vom Festland entfernt haben einen gefährlichen Job. Doch auch sie müssen im Notfall nicht auf ärztliche Hilfe verzichten: Telemedizin macht's möglich.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Hubschrauber im Einsatz im DanTysk-Windpark,der vom Klinikum Oldenburg telemedizinischbetreut wird.

Hubschrauber im Einsatz im DanTysk-Windpark,der vom Klinikum Oldenburg telemedizinischbetreut wird.

© Wirrwa/Vattenfall

OLDENBURG. Am Klinikum Oldenburg arbeiten Fachärzte der Anästhesie und Kardiologie rund um die Uhr an der Energiewende im Land. "Wir haben jeden Tag einen Call", sagt Markus Niemann vom Oldenburger Klinikum zur "Ärzte Zeitung".

Die Rede ist von Notrufen oder Hilfeersuchen, die weit draußen in der Deutschen Bucht von Rettungsassistenten abgesetzt wurden und die die Oldenburger Fachleute per Telemedizin bearbeiten und beantworten: Schlaganfälle, Stürze oder Bronchitis.

Ihre rund 3000 Patientinnen und Patienten leben auf hoher See, weit außerhalb der Deutschen Hoheitsgewässer, und arbeiten unter Wasser, gehen mit Starkstrom um oder klettern in gefährliche Höhen - sie bauen und betreiben die Windparks, die in Deutschland die Atomkraft wegwehen sollen: "DanTysk", "Riffgrund I" oder "Godewind".

Die Oldenburger Notärzte von der Telemedizinzentrale stemmen zusammen mit den Partnern der WindeaCare die medizinische Versorgung der Schiffs- und Plattformbesatzungen.

Bei Bedarf hebt der Offshore-Rettungshubschrauber ab mit einem Notarzt an Bord und fliegt raus zu den Patienten.

Inzwischen gründen das Klinikum Oldenburg und die IQ.medworks GmbH eine eigene GmbH. Mit ihr soll das telemedizinische Konzept ausgeweitet werden, auch "onshore".

Ein Park von der Fläche Hamburgs

Die Besatzungen der Errichterschiffe, Transporter oder Umspannplattformen sind im Schnitt zwei Wochen am Stück auf See, bei "Schietwedder" länger. Sie errichten oft mehr als 100 Kilometer weit draußen isoliert in der Deutschen Bucht Felder mit 60, 80 oder mehr Windmühlen pro Windpark.

Die einzelnen Turbinen stehen bis zu einem Kilometer auseinander und nur ein Park umfasst mit 40 Quadratkilometern etwa die Fläche Hamburgs.

Das Gebiet ist so groß, dass "Guardships" die Windparks vor verirrten Schiffen schützen müssen. 100 Meter hoch ist so eine Mühle, die Rotorblätter sind 60 Meter lang und wiegen pro Stück 23 Tonnen. Bis zum Jahr 2020 sollen diese Giganten die Nordseestürme in insgesamt 6,5 Gigawatt Strom verwandeln können und ans Festland schicken, bis zum Jahr 2030 sollen es rund 15 Gigawatt werden.

Das ist so viel Energie wie rund 15 Atomkraftwerke liefern können. Viel zu tun - auch für die Ärzte am Klinikum Oldenburg. Denn die Arbeitsplätze sind gefährlich, wie Stefan Beyer sagt. Er ist Rettungsassistent der Johanniter auf der Konverterplattform HelWin Alpha mitten in der Nordsee.

Hier sind enorme Kräfte am Werk. Der Strom, den die Turbinen an die Plattform liefern, wird hier von Wechselstrom in Gleichstrom verwandelt, um ihn besser und mit wenig Verlust transportieren zu können.

Durch die Verwandlung werde der Stromverlust von 40 auf vier Prozent gedrückt. Außenarbeiten bei Wind und Wetter und die elektrischen Anlagen, die mit enormen Strommengen fertig werden müssen, schaffen extreme Arbeitsbedingungen mit entsprechenden Risiken.

Zentrale in Oldenburg hlft

Wenn auf See ein Notfall eintritt, meldet sich der Rettungsassistent der Johanniter-Unfall-Hilfe, der auf der Plattform die "Sickbay" (also die Sanitätsstation) besetzt, über die Johanniter-Leitstelle Ventusmedic in Berne an der Weser.

Dort wird der Notruf bearbeitet und weitergeleitet nach Oldenburg. Am Klinikum ist die Telemedizinische Zentrale räumlich an die Notaufnahme des Krankenhauses gekoppelt.

Sieben Tage die Woche rund um die Uhr steht ein speziell für telemedizinische Verfahren ausgebildeter Notarzt zur Verfügung. Hier zeigt ein großer Bildschirm, wo gerade der Hubschrauber ist, berichtet Niemann.

Drei andere zeigen die Vitalparameter zum Beispiel des gestürzten Patienten in Echtzeit, das Life-Video, das der Rettungsassistent vor Ort vom Patienten aufnimmt und die notwendigen Algorithmen, weitergehende Informationen und vereinbarte Verfahren.

Fachwissen auf hoher See

"Der Vorteil der Telemedizin ist, dass wir in kürzester Zeit praktisch jeden Facharzt aus dem Klinikum hinzuziehen können", sagt Niemann, "so bringen wir medizinisches Fachwissen auf hohe See." Möglich wird das durch Endgeräte vom Typ TempusPro®.

Mit ihnen sei eine "datenschutzsichere audiovisuelle Kommunikation und die Übermittlung von Vitaldaten" möglich, so das Klinikum: etwa EKG einschließlich 12 Kanal Auswertung, optional Sonographie und Videolaryngoskopie in Echtzeit, Fotodokumentation und Video-Livestream.

Etwa zwei Mal in der Woche genügt aber die telemedizinische Versorgung nicht und der Offshore-Rettungshubschrauber der Northern Helicopter GmbH, der in St. Peter-Ording stationiert ist, hebt ab, um einen Patienten zu evakuieren. Oft mit an Bord: Der Anästhesist Dr. Rüdiger Franz, Leiter der Offshore-Rettung vom Klinikum Oldenburg.

Manchmal vergehen wegen widrigen Wetters Stunden, bis er vor Ort ist. In dieser Zeit leiten seine Kollegen im Klinikum die Rettungsassistenten oder auch Ersthelfer auf See an, berichtet Franz. In der Telemedizin-Zentrale arbeiten sie zusammen mit den Rettungsassistenten für eine ganze Reihe von Krankheitsbildern fest gelegte Behandlungs-Algorithmen am Patienten ab, bis der Heli über dem Schiff schwebt.

Die Auswertung des ersten Halbjahres 2015 ergab, dass die "jeweilige leitlinienkonforme Therapie in Form von Schmerztherapie, Blutdruckeinstellung, Gerinnungshemmung, Antibiose, Volumengabe" stets vor dem Eintreffen des Hubschraubers initiiert werden konnte.

Fünf Windparks werden versorgt

Derzeit werden fünf Windparks versorgt. "11 gibt es insgesamt und 20 bis 25 Parks sollen es einmal werden", sagt Klaus Graf von IQ.medworks. "Die Einsätze zahlen die Windparkbetreiber je nach beanspruchten Minuten", so Graf.

Kostendeckend arbeite man indessen noch nicht und will deshalb noch mehr Windparks versorgen. Etwa 120 000 Euro haben die Initiatoren des Projektes bis jetzt investiert. Wir sehen in der strukturierten Entwicklung der Telemedizin ein enormes Potenzial, fachärztliche Qualität zukünftig nahezu uneingeschränkt verfügbar zu machen, berichtet Graf.

"Land der Ideen"

Die Initiatoren des Projektes "Telemedizin-Netzwerk für Menschen ohne direkten Zugang zu ärztlicher Versorgung" haben in diesem Jahr an dem Bundeswettbewerb "Deutschland - Land der Ideen" teilgenommen - und es gleich auf's Treppchen geschafft. Unter 100 Bewerbern belegt das Projekt den dritten Platz.

"Es war ein hochkarätiges Teilnehmerfeld am Start. Deshalb freut es mich umso mehr, dass dieses Projekt bei der Publikumsabstimmung so gut abgeschnitten hat", sagte dazu Dr. Dirk Tenzer, Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg.

"Dies bestätigt uns, in unserem Bemühen die Telemedizin voranzutreiben, nicht nachzulassen." Die Telemedizin-Zentrale war das letzte im Rennen verbliebene Projekt aus Niedersachsen.

Kein Wunder, dass das Oldenburger Klinikum und sein Partner IQ.medworks mit so viel Wind im Rücken ihr Geschäftsfeld ausweiten wollen, wie Niemann sagt. Dazu gründet das Klinikum zusammen mit IQ.medworks derzeit eine eigene Gesellschaft. Die Oldenburger sind damit ziemlich früh dran.

"Das Feld ist groß und noch nicht alle notwendigen Felder definiert", meint Niemann denn auch. In der Tat wäre der telemedizinische Service der Oldenburger weltweit möglich, egal ob ein Handelsschiff vor Baltrum oder eine Expedition im Himalaya Hilfe braucht.

Selbstverständlich funktioniert der Service auch vor Ort, also "onshore" auf dem platten Land, sagt Niemann. "Überall da, wo fachärztliche Expertise benötigt wird und nicht unmittelbar zur Verfügung steht. Damit kann man im Grundsatz alle strukturschwachen Regionen unterstützen", sagt Franz.

Dem Offshore-Geschäft dürften die Oldenburger dennoch treu bleiben. Denn die Bundesregierung hat wie gesagt mit den 15 Gigawatt Zielleistung große Ziele in deutschen Gewässern. Und die Oldenburger dürften nichts dagegen haben, mitzuwachsen.

Allerdings wird Notarzt Rüdiger Franz wohl auf jeden Fall bei der Versorgung der Männer auf See bleiben wollen. Denn er hat eigens für diesen Job seine Anstellung in Nordrhein Westfalen gekündigt, um nach Oldenburg zu kommen.

Lesen Sie dazu auch: Rettungssanitäter auf dem Meer: "Ich bin hier Mädchen für alles"

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