HINTERGRUND

Wenn der Avatar dreimal an die Praxistür klopft - das Zweite Leben im Web kennt auch Gesundheitsdienste

Von Pete Smith Veröffentlicht:

In der Scheinwelt des Internets entsteht derzeit auf der Online-Plattform Second Life (www.secondlife.com) das Paradies auf Erden: eine glitzernde Parallelwelt, die ihren Bewohnern ein zweites, traumhaft schönes Leben verspricht. Doch tummeln sich dort keineswegs nur Traumtänzer. Second Life ist ein immer beliebter werdender Marktplatz, auf dem zunehmend auch Ärzte und Dienstleister aus dem Gesundheitswesen Präsenz zeigen.

Die Plattform ist eine virtuelle Welt, die von ihren Benutzern erschaffen wurde und ständig weiterentwickelt wird. In der dreidimensionalen Animation können jene, die sich durch ihre Mitgliedschaft das Recht zur Nutzung erworben haben, mit anderen virtuellen Mitbürgern kommunizieren, spielen oder anderweitig interagieren.

Sie erwerben Grundstücke und bebauen sie, erschaffen Waren und verkaufen diese, sie offerieren Dienstleistungen, für die andere virtuelles Geld bezahlen. Kurz: Second Life stellt eine Matrix unserer realen Welt und Gesellschaften dar, erlaubt darüber hinaus jedoch auch Ausflüge in den grenzenlosen Kosmos der Fantasie.

Jedem Nutzer werden Werkzeuge zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe er eine virtuelle Persönlichkeit erschafft. Fortan spaziert er als so genannter Avatar - eine zumeist attraktive Comic-Animation - durch die bunte Scheinwelt. Über ihre Avatare nehmen die Nutzer Kontakt miteinander auf, wozu sie sich in private oder öffentliche Chatforen einloggen.

Virtuelle Sprechstunde in deutscher Online-Arztpraxis

Dr. Michael Prang, Betreiber des Gesundheitsportals Piyobo, hat kürzlich die nach eigenen Angaben erste deutschsprachige Praxis in Second Life eröffnet. Der Arzt, Autor und Medizinjournalist bietet unter dem Namen Dr. Prang Jacobus allen Avataren montags zwischen 18 und 19 Uhr eine persönliche Sprechstunde an. Darüber hinaus sind in seiner virtuellen Praxis die Inhalte seiner Website (www.piyobo.de) zu finden, auf der er einen täglichen Blog rund um Medizin und Gesundheit anbietet. Erste Ansprechpartnerin in seiner virtuellen Praxis ist Krankenschwester Babette Biedermann (Second Life-Name), eine freizügige Blondine, die Besuchern rund um die Uhr Auskunft erteilt.

Der australische Psychiater Professor Peter Yellowlees hat Second Life um eine Klinik für Schizophrenie bereichert. Darin erläutert er seinen Studenten auf unterhaltsame Weise, wie schizophrene Menschen ihre Welt wahrnehmen. In seiner Klinik können die Bilder sprechen, und manchem entgleitet buchstäblich der Boden unter den Füßen.

Auch andere Second Life-Bewohner betreiben Kliniken oder Gesundheitsdienste, die dann Ann Myers Medical Center oder New Babbage Medical League heißen. Angemeldet sind zudem acht "National Institutes of Health", und mit dem Healthinfo Island gibt es gar eine Insel, die sich der Gesundheitsinformation verschrieben hat.

Wer sich im Einzelnen hinter den Fantasienamen verbirgt, ob die Betreiber im wirklichen Leben Ärzte oder Möchtegern-Mediziner sind, lässt sich meist nur schwer ermitteln. Denn ihre wahre Identität geben die Nutzer - wenn überhaupt - nur in den Chatrooms preis.

Derzeit verfügt Second Life über weltweit 5,4 Millionen Einwohner. Täglich kommen Tausende hinzu, allein innerhalb der vergangenen zwei Monate waren es 1,6 Millionen neue Avatare. In Second Life gibt es Kirchen, Sportstadien, Bibliotheken, Raumstationen, Standesämter und Nachtclubs, aber auch Einhörner, Riesenschnecken, fliegende Besen und Untertassen. Linden Labs, der Betreiber der Plattform, verdient an den meisten Aktivitäten mit. So bietet das US-Unternehmen seinen Kunden über den Gratis-Account hinaus auch kostenpflichtige Mitgliedschaften an, die etwa zum virtuellen Landerwerb und damit zum Bau von Häusern berechtigen. Darüber hinaus gibt es eine virtuelle Währung, so genannte Linden-Dollars, die gegen echte US-Dollar getauscht werden können und ebenfalls Handel ermöglichen.

Deutsche Version von Second-Life geht bald an den Start

Diese Schnittstelle lockt immer mehr reale Firmen in die virtuelle Welt, die über den Handel hinaus auch das enorme Werbepotenzial von Second Life erkannt haben. Adidas etwa bietet in seinem virtuellen Geschäft Schuhe aus seiner aktuellen Kollektion an - was dem Avatar gefällt, findet vielleicht auch beim realen Kunden Gefallen. Mit dem "AvaStar" gibt der Axel-Springer-Verlag eine virtuelle Boulevard-Zeitung heraus, die bislang noch kostenlos ausliegt, künftig jedoch Geld einbringen soll. Auch Firmen wie DaimlerChrysler, BMW, IBM oder Sony haben in Second Life schon virtuelle Dependancen eröffnet, ebenso Organisationen wie Greenpeace oder Institutionen wie die schwedische Botschaft und das Bundesland Baden-Württemberg.

In naher Zukunft soll das bislang rein englischsprachige Portal einen deutschen Ableger erhalten, wie Linden Lab angekündigt hat. Infolgedessen werden aller Voraussicht nach mehr deutsche Firmen und Dienstleister Dependancen in Second Life errichten. Dann werden sich vielleicht weitere deutsche Ärzte oder auch Ableger der Bundesärztekammer und des Bundesgesundheitsministeriums im Zweiten Leben finden.



STICHWORT

Second Life

Second Life wurde 1999 von dem US-Unternehmen Linden Lab entwickelt und ist seit Mitte 2003 online. Die internet-basierte 3-D-Simulation kann nach der Anmeldung eines Klienten kostenlos genutzt werden, es sind jedoch auch kostenpflichtige Mitgliedschaften für monatlich 9,95 US-Dollar im Angebot. Linden Lab stellt seinen Klienten eine Software zur Verfügung, mit deren Hilfe sie sich ein virtuelles Alter Ego, einen Avatar, zulegen, Objekte erschaffen, durch die Second Life-Welt navigieren und mit anderen Nutzern kommunizieren können. Second Life hat derzeit knapp 5,5 Millionen Einwohner. (smi)

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