Wie bringt man Hausärzte aufs Land?

6 wichtige Fragen zur Reform des Medizinstudiums

Der Mangel an Ärzten auf dem Land führt inzwischen zu ernsthaften Infrastrukturproblemen. Eine Reform des Medizinstudiums soll helfen. Die "Ärzte Zeitung" erklärt, was diese beinhaltet - und wo es Streit geben könnte.

Veröffentlicht:
Uni Halle: Diese Studenten haben bereits einen der begehrten Medizinstudienplätze ergattert.

Uni Halle: Diese Studenten haben bereits einen der begehrten Medizinstudienplätze ergattert.

© Grubitzsch / dpa

BERLIN. Deutschland treibt auf einen Ärztemangel auf dem Land zu. Bund und Länder wollen nun, wie im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot festgelegt, einen "Masterplan Medizinstudium 2020" erarbeiten, um gegen den Hausärztemangel anzugehen. Wenn dieser so kommt, wie diskutiert, wird es noch viel Streit geben.

1. Warum muss der Staat reagieren?

Inzwischen findet nur noch jeder zweite Hausarzt einen Nachfolger für seine Praxis. Auf dem Land gibt es mehr und mehr Orte, in denen der Hausarzt den Schlüssel umdreht und die Praxis schließt - für immer. Patienten müssen dann in den nächsten Ort fahren oder auch in den übernächsten. Das Problem fehlender Hausärzte schwappt schon auf ärmere Bezirke in Großstädten über.

2. Was heißt das für die Infrastruktur?

Bürgermeister und Landräte schlagen Alarm. Mittelständische Unternehmen in ländlichen Regionen finden keine Facharbeiter mehr, wenn es für ihre Familien keine Kinder- und Hausärzte gibt. "Wir stehen vor einem Infrastrukturproblem, das gravierend ist", sagt der Frankfurter Allgemeinmediziner Ferdinand Gerlach. "Wir müssten mindestens doppelt so viele Fachärzte für Allgemeinmedizin weiterbilden, wie wir dies derzeit tun." Inzwischen sind diese Probleme auch in westdeutschen Flächenländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen deutlich sichtbar.

3. Wie kann der Staat reagieren?

Der Staat schafft unter anderem finanzielle Anreize, um junge Ärzte aufs Land zu locken. Das sieht das 2015 verabschiedete Versorgungsstärkungsgesetz vor. Zudem soll das Medizinstudium praxisnäher und so reformiert werden, dass mehr Studierende eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin anstreben.

4. Wo liegen die Probleme für die Allgemeinmedizin im Studium?

An Unikliniken erleben Studierende als Vorbilder überwiegend hoch spezialisierte Ärzte. Zudem hat der Beruf des Hausarztes (Husten, Schnupfen, Heiserkeit) unter Universitätsmedizinern ein Imageproblem. Dass die Allgemeinmedizin den ganzen Menschen im Blick haben muss und nicht nur einen Teil, wird übersehen.

5. Was soll geändert werden?

Die Versorgungsprobleme mit Hausärzten sollen nach Vorstellungen von Gerlach, der auch Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist, vor allem auf vier Wegen verbessert werden.

1. Bisher ist die Abiturnote ausschlaggebend für die Zulassung zum Studium, der Numerus Clausus liegt vielfach bei 1,0. Über die Befähigung zu einem sozialkompetenten Arzt und die Absicht, später in die Grundversorgung zu gehen, sagt die Note wenig aus. Die Zulassungskriterien zum Studium sollen also erweitert werden.

2. Insgesamt soll das Studium praxisorientierter werden. Die Ausbildung von Ärzten findet überwiegend in hoch spezialisierten Unikliniken statt. Banale Erkrankungen wie eine Mittelohrentzündung sehen Studenten dort nicht, ebenso wenig eine Langzeitversorgung von chronisch Kranken.

3. Die Regelstudienzeit für Medizin beträgt sechs Jahre. Im 11. und 12. Semester kommt das Praktische Jahr. Dies ist aktuell dreigeteilt in zwei Pflichtfächer - Chirurgie und Inneres - und ein Wahlfach. Gerlach schlägt eine Vierteilung vor mit Allgemeinmedizin als weiterem Pflicht- und Prüfungsfach.

4. Auch in der anschließenden Weiterbildung zum Facharzt soll die Situation für die Allgemeinmedizin verbessert werden. An Universitäten angeschlossene "Kompetenzzentren" sollen bundesweit gefördert werden.

6. Welche Bedenken gibt es gegen diese Vorschläge?

Wenn man Allgemeinmedizin stärkt, nimmt man anderen Fachdisziplinen etwas weg - Institute mit Lehrstühlen, Mitarbeiter, Sach- und Forschungsmittel. Der Vorsitzendes des angestellte Ärzte vertretenden Marburger Bundes, Rudolf Henke, will unbedingt an der Dreiteilung des Praktischen Jahres festhalten. Das Medizinstudium in Deutschland sei gut. Aber mehr Studienplätze seien notwendig. (dpa)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Kommentar zur Niederlassungsförderung im Saarland

Landarztprogramme sind nur ein „Nice-to-have“

Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 23.02.201616:38 Uhr

Ich frag mich ernsthaft, was das "Landarztproblem" mit dem Medizinstudium zu tun hat.

Nach Studienabschluss kann man sich eh nicht sofort "niederlassen". Wer einen akuten Blinddarm von einer Gastroenteritis unterscheiden können will, sollte sowohl einige Zeit auf der Inneren wie in der Chirurgie verbracht haben, nur als Beispiel.
Ich warne alle Studenten davor, eine "Vereinfachung" des Medizinstudiums zu fordern, wozu auch die seriöse naturwissenschaftliche Basis gehört. Nur diese befähigt zu selbständigen Denken, statt nur "Küchenrezepte" wie ein Roboter zu lernen.
Für den "Landarzt" muss die Politik für das wirtschaftliche Umfeld sorgen, das nichts mit dem Studium zu tun hat.
Oder denkt man an zusätzliche Ökonomie- und Jura-Semester?
Kann heute jeder gebrauchen, verbessert aber nicht die ärztliche Qualität, die der verhätschelte Patient heute erwartet :-)

Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Geldanlage

Vermögen auf Rezept: Wie sich eine langfristige Finanzplanung auszahlt

Lesetipps
Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Eine junge Frau fasst sich an ihren schmerzenden Ellenbogen.

© Rabizo Anatolii / stock.adobe.com

Laterale Ellbogenschmerzen

Diese sechs Kriterien sprechen gegen einen „Tennisarm“

Die Luftbelastung in Innenräumen mit Reinigungsprodukten betrifft jede Person. Sie beeinflusst unsere Lungenfunktion, und das lebenslang. Diese Gefahr wird unterschätzt. So die Meinung einer Pneumologin aus Italien.

© natali_mis / stock.adobe.com

Verschmutzte Luft

Was Reinigungsmittel in der Lunge anrichten können