Anhörung im Gesundheitsausschuss

Ärzteverbände: Geplante Digitalgesetze müssen echten Mehrwert bringen

Bei Erstbefüllung und Steuerung der elektronischen Patientenakte sehen Ärztinnen und Ärzte noch Klärungsbedarf. Die Nutzung von Routinedaten durch die Kassen zwecks „Aufklärung“ über mögliche Gesundheitsrisiken lehnen sie ab.

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Digitalisierung im Fokus: An diesem Donnerstag beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss des Bundestags mit den geplanten Digitalgesetzen der Ampel.

Digitalisierung im Fokus: An diesem Donnerstag beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss des Bundestags mit den geplanten Digitalgesetzen der Ampel.

© NINENII / stock.adobe.com

Berlin. Im Vorfeld der Anhörung der beiden Digitalgesetze im Gesundheitsausschuss zeichnet sich eine breite Zustimmung von Ärzte- und Kassenverbänden sowie Einzelsachverständigen ab. Mit Blick auf die Erstbefüllung und Steuerung der elektronischen Patientenakte (ePA) ab Januar 2025 sehen etliche Verbände und Experten jedoch noch Klärungsbedarf.

Der Gesundheitsausschuss will sich am Mittwochabend (15. November) mit den Digitalvorhaben von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befassen. Der Bundestag hatte vergangene Woche in erster Lesung das Digital-Gesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz beraten.

Steiner: Kein Auslagern der Aufklärung in die Praxen

Das Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Sibylle Steiner, erklärte am Mittwoch, die Krankenkassen müssten ihrer „Pflicht nachkommen“, Versicherte über die ePA zu informieren. „Ein Auslagern dieser Aufklärung in die Praxen sorgt bei den Kolleginnen und Kollegen für erheblichen Mehraufwand – angesichts der ohnehin knappen Arztzeit ist das untragbar.“

Die ePA soll ab Januar 2025 flächendeckend an den Start kommen – dies soll über ein Widerspruchsverfahren sichergestellt sein: Demnach ist jeder Versicherte in der Akte „drin“, sofern er nicht widerspricht. Lauterbach geht von einer Beteiligung von über 80 Prozent der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten aus.

Bereitgestellt wird die ePA seit 2021 durch die Kassen – bislang wird die Akte aber nur von rund 750.000 Versicherten genutzt. Enthalten sind darin in der Regel nur wenige Informationen, zumeist hinterlegt als PDF-Dateien.

Auf Kritik der Bundesärztekammer (BÄK) stößt, dass die Kassen im Auftrag der Versicherten künftig papierne Behandlungsdokumente wie Arztbriefe oder Medikationslisten einscannen und in der Akte einstellen sollten. „Es bedarf stattdessen eines Vorgehens, das sicherstellt, dass die ePA von Versicherten mit komplexen chronischen Erkrankungen möglichst schnell einen validen Überblick für weiterbehandelnde Ärztinnen und Ärzte bietet“, schreibt die BÄK in ihrer Stellungnahme.

„Müssen auf Integrität der ePA vertrauen können“

Der Vorsitzende des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ beim Spitzenverband Fachärzte (SpiFa), Dr. Norbert Smetak, betonte, Ärztinnen und Ärzte würden die Akte nur zur Anwendung bringen, „wenn sie ganz sicher auf die Integrität der ePA vertrauen können“.

Konkret fordert der SpiFa, dass für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte klar ersichtlich ist, ob in der ePA Inhalte gelöscht wurden und ob ihnen durch Widerspruch Zugriffe auf die ePA verweigert werden. Bleibe dies aus, gerate die ePA für behandelnde Ärztinnen und Ärzte zu einer „Blackbox“ und dann würden sie die Akte nicht nutzen, warnte Smetak.

Für erhebliche Verärgerung in der Ärzteschaft sorgt die geplante Fortführung der Sanktionierung von Praxen, wenn diese digitale Anwendungen wie die elektronische AU-Bescheinigung (eAU) oder das E-Rezept nicht umsetzen – das E-Rezept soll den Gesetzesplänen zufolge ab Januar 2024 verpflichtend sein. Sanktionierung „war und bleibt der falsche Ansatz“, kommentierte KBV-Vorstandsmitglied Steiner.

Die Akzeptanz digitaler Anwendungen in Praxen befördere der strafende Zeigefinger des Gesetzgebers nicht, im Gegenteil. Entscheidend sei, die Hersteller in die Pflicht zu nehmen, praxistaugliche Anwendungen bereitzustellen, betonte Steiner.

Wichtiger Präventionsschritt oder unnötige Verunsicherung?

Auf ein geteiltes Echo bei Ärzten- und Kassenverbänden stößt derweil die geplante Nutzung von Abrechnungsdaten durch Kranken- und Pflegekassen, um Versicherte über Gesundheitsrisiken aufzuklären. Ihm stelle sich hier die Frage, inwieweit Daten der Kassen geeignet seien, um eine „Vorhersage künftiger Gesundheitsrisiken mit hoher Präzision“ gewährleisten zu können, sagte der Vorstandsvorsitzend des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dr. Dominik von Stillfried.

Gesundheitliche Aufklärung auf Datenbasis sei nicht nur eine technisch-statistische Herausforderung, so Stillfried. „Es geht auch um den Umgang mit den Ergebnissen.“ Selbst KI-gestützte Modelle lieferten nur zu einem sehr kleinen Anteil zutreffende Prognosen.

Viele Versicherte würden auf dieser Grundlage über ein Krankheitsrisiko unterrichtet, „das gar nicht vorliegt“, warnte Stillfried. Solche „falsch positiven Ergebnisse“ sorgten für Verunsicherung, und mit der schlügen die Versicherten dann in den Praxen auf, was „logischerweise“ unnötige und teure Untersuchungsleistungen nach sich ziehe.

Kassenverbände, darunter der AOK-Bundesverband und der Verband der Ersatzkassen, erklärten, die Nutzung von Abrechnungsdaten helfe, die „Versorgung zu optimieren“. So werde es zum Beispiel möglich, „gezielt“ auf anstehende Impfungen oder Krebsfrüherkennungen hinzuweisen. Die Kassen griffen damit „nicht in die ärztliche Verantwortung für die Behandlung ein“. (hom)

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