Arznei-Nutzen im Räderwerk des AMNOG

Falls der Gesetzgeber mit dem neuen Arzneigesetz AMNOG Rechtssicherheit herstellen wollte, so ist sein Scheitern schon jetzt absehbar. Das hochkomplexe Regelwerk schafft mehr neue Probleme als es alte löst.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Arzneimittel - in der Mühle des Gesetzgebers.

Arzneimittel - in der Mühle des Gesetzgebers.

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BERLIN. Mit dem Arzneimittel-Markt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) werden alte Unsicherheiten für alle Beteiligten nicht beseitigt, es kommen nur neue hinzu. Dies ist ein Fazit eines Rechtssymposiums des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zum neuen Arznei-Gesetz.

Im Mittelpunkt steht dabei ein Kurswechsel des Gesetzgebers bei der Nutzenbewertung. Er schreibt vor, dass Bewertungen den Ergebnissen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Präparats nicht widersprechen dürfen. Damit aber geraten Arzneimittelgesetz und Sozialversicherungsrecht in Konflikt.

"Inwieweit bindet die Zulassung den GBA?", fragte Dr. Rainer Hess, Chef des Bundesausschusses, rhetorisch. Aus seiner Sicht hat ein Hersteller mit der Zulassung "nicht den finalen Nutzenbeleg" erbracht. Der GBA müsse den Nutzen eines Präparats in Frage stellen, wenn auf Dauer nur Surrogatparameter als Beleg vorliegen, machte Hess deutlich.

"Säule der Nutzenbewertung" für den GBA bleibe ein Passus in seiner Verfahrensordnung. Dieser besagt, dass bei der Bewertung das Ausmaß der Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte maßgeblich sei. "Das werden wir nicht ändern", machte Hess deutlich.

Was geschehen soll, falls das Bundesgesundheitsministerium (BMG) dies beanstandet, sagte er nicht. Die Verknüpfung von Zulassungsentscheidung und Nutzenbeleg wird "der ständige Grundkonflikt sein, mit dem wir umzugehen haben", prognostizierte Hess.

Die neue Verknüpfung von Zulassungsentscheid und Nutzennachweis bezeichnet der Medizinrechtler Professor Stefan Huster als "unter Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsaspekten fragwürdig, aber verfassungsrechtlich möglich". Allerdings sieht er im Regelungsgeflecht des AMNOG Unstimmigkeiten.

So etwa bei der Kosten-Nutzen-Bewertung (KNB), die dann gestartet werden kann, wenn GKV-Spitzenverband und Hersteller sich nicht über einen Erstattungspreis einigen können. Was, fragt Huster, ist die preisrechtliche Konsequenz, wenn das IQWiG in der KNB zur Auffassung kommt, dass kein Zusatznutzen vorliegt: "Wie soll man für einen nicht nachgewiesenen Nutzen einen Preis festsetzen?" Der Gesetzgeber habe an diesem Punkt "offenbar den Überblick verloren", so Huster.

Vor dem Hintergrund vielfacher Rechtsunklarheiten forderte der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) am Mittwoch, es müsse für die frühe Nutzenbewertung "klare Vorgaben" geben, die für Rechtssicherheit sorgten. Nur so ließen sich "quälende Methodendiskussionen" verhindern, sagte vfa-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer.

Der vfa bemängelt zudem "Strickfehler" im Verordnungsentwurf zur Nutzenbewertung des BMG. Darin sei der Nutzenbegriff "zu eng" gefasst, weil eine Bewertung "ausschließlich vor dem Hintergrund des patientenrelevanten Nutzens" vorgenommen werde. Dies müsse weiter gefasst werden.

Durch Medikamente könnten auch Komplikationen vermieden oder Krankenhausaufenthalte verkürzt werden. Dies werde bisher aber ausgeblendet, bemängelte Yzer. Der vfa fürchtet, dass das AMNOG vom GKV-Spitzenverband als reines "Kostendämpfungsinstrument" genutzt wird. Anders als eine Einzelkasse werde der Spitzenverband "sein Augenmerk ausschließlich auf Kostenreduzierung richten", warnte Yzer. Notwendig sei, in Preisverhandlungen "Kosteneffizienz und Versorgungsqualität gleichermaßen" zu betrachten.

Zudem fürchtet der vfa, dass Einsparungen bei Herstellern nicht als Entlastung bei den Versicherten ankommen werden. Dem widerspricht die AOK: "Patienten und Beitragszahler werden davon profitieren, dass der Preis eines neuen Arzneimittelherstellers an dessen tatsächlichen therapeutischen Nutzen gekoppelt wird", sagte AOK-Vorstandsvorsitzender Dr. Herbert Reichelt.

Die Kassen seien über den GKV-Spitzenverband nun in der Lage, "faire Preise für ihre Versicherten" zu verhandeln.

Kritisch bewertet die AOK hingegen die kartellrechtliche Regelung im Arzneigesetz. Die Kasse fürchtet, dass Rabattverträge ausgehebelt werden könnten, indem Hersteller versuchen, bestehende und neue Rabattverträge zu "blockieren". "Die Koalition ändert und verkompliziert ohne Not eine vorbildlich funktionierendes Verfahren", kritisierte Baden-Württembergs AOK-Vorstandsvize Dr. Christopher Hermann.

Lesen Sie dazu auch: Reaktionen zur Arzneimittel-Reform

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