Arzneiregresse haben keine Zukunft

Regressforderungen wegen überschrittener Arznei-Richtgrößen beschäftigen die Ärzte - und die Gerichte. Doch damit könnte bald Schluss sein. Grund sind die Rabattverträge und eine Gesetzesänderung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Regress anfechten: Bald vielleicht nicht mehr nötig.

Regress anfechten: Bald vielleicht nicht mehr nötig.

© [M] Steinach / imago | til

NEU-ISENBURG. Eines der großen Sorgenthemen der Vertragsärzte - die wirtschaftliche Bedrohung durch Arzneimittelregresse - hat bestenfalls noch aufgrund historischer Fälle, die noch die Rechtsinstanzen durchlaufen, eine Bedeutung.

Für die Zukunft und somit vor allem für sich neu niederlassende Ärzte ist dieses Disziplinierungsinstrument nicht mehr relevant.

Ursächlich, so der Hamburger Medizinrechtler Jörg Hohmann, sind die Rabattverträge für Arzneimittel. Bis zu 70 Prozent des mengenmäßigen Verordnungsvolumens von Ärzten werden durch Rabatte, die via Ausschreibung individuell zwischen Kassen und Arzneimittelherstellern vereinbart werden, verbilligt.

Eine wesentliche Voraussetzung zur Funktionstüchtigkeit des Rabattsystems ist es, dass die konkrete Höhe der Rabatte zwischen einzelner Kasse und Hersteller vertraulich bleibt.

Ohne diese Vertraulichkeit, die durchaus dazu führen kann, dass große Kassen allein schon wegen der benötigten Arzneimittelmengen höhere Rabatte erhalten als kleinere, wäre kein Hersteller bereit, Preiszugeständnisse zu machen.

Keine Möglichkeit mehr für die Kassen

Dieser Umstand hat zunächst dazu geführt, dass die Kassen in Prüfverfahren gegen Ärzte verschwiegen haben, welche Vorteile sie durch die Rabattverträge erhalten. Das ist rechtlich unsauber.

Denn ein Schaden, der durch Unwirtschaftlichkeit entstanden ist, muss konkret und korrekt beziffert werden. Auch der Versuch, die Rabatte in Form von Prozentsätzen, die allerdings von KV zu KV erheblich voneinander abweichen, zu berücksichtigen, ist nicht hinreichend.

Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt. Er hat den Kassen im vergangenen Jahr auferlegt, die konkreten Ersparnisse aufgrund von Rabattverträgen arztbezogen zu berechnen und bei Regressforderungen in Prüfverfahren zu berücksichtigen. Dies bedeutet für die Kassen einen erheblichen zusätzlichen administrativen Aufwand.

Das Fazit laut Hohmann müsste also lauten: Weil die tatsächlichen Verordnungskosten bei Arzneimitteln meist nicht korrekt ausgerechnet sind, gibt es keine Möglichkeit mehr, Regresse zu exekutieren.

Manche KVen wie etwa Bayern hätten deshalb seit 2009 keine neuen Richtgrößen mehr vereinbart. Ersatzweise auf fachgruppenspezifische Durchschnitte auszuweichen, ändere nichts am Kernproblem: der fehlenden Transparenz der Verordnungskosten.

Hinzu kommt eine weitere Neuerung durch das Versorgungsstrukturgesetz: es schreibt den Grundsatz "Beratung vor Regress" bei erstmaliger Auffälligkeit eines Arztes fest.

Rabattverträge bringen mehr als Regresse

Ferner ist die Höhe eines ersten Regresses auf 25.000 Euro limitiert. Außerdem gibt es die Option regressablösender Individualvereinbarungen.

Diese Umstände haben laut Hohmann dazu geführt, dass die Zahl der Regressverfahren im Arzneimittelbereich deutlich rückläufig ist.

Aus seiner Sicht ist dies auch sinnvoll: Die Prüfverfahren waren für Kassen, Prüfstellen und sicherlich auch für die betroffenen Ärzte mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden.

Wirtschaftlich ertragreich waren sie für die Kassen wegen der wenigen exekutierten Regresse und der im Schnitt geringen Regressbeträge nicht. Mit den Rabattverträgen hingegen erzielen die Kassen berechenbare Einsparungen im hohen dreistelligen Millionenbereich.

In die gleiche Richtung wirkt auch die frühe Nutzenbewertung, auf deren Basis Erstattungsbeträge vereinbart oder festgelegt werden. Sie dokumentieren die Zahlungsbereitschaft der GKV und ihre Position dazu, was sie für wirtschaftlich halten.

Damit sind die Ärzte für die Kosten von Innovationen aus der Verantwortung - gefragt ist nur noch ihre Kompetenz, die zutreffende Indikation zu stellen.

Insofern kann es die Ärzte auch unberührt lassen, ob die Verhandlungsergebnisse zwischen dem GKV Spitzenverband und dem Hersteller vertraulich bleiben.

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