Babyklappen im Bundestag

Nicht alle Mütter stehen zu ihren Neugeborenen. Sie gebären und verschwinden in der Anonymität. Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will die Tabuzone von Babyklappen und anonymer Geburt in absehbarer Zeit gesetzlich regeln.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Demonstration mit Puppe: Neugeborene können in Kliniken anonym in einem Wärmebettchen abgelegt werden.

Demonstration mit Puppe: Neugeborene können in Kliniken anonym in einem Wärmebettchen abgelegt werden.

© Deck / dpa

BERLIN. Rund hundert Babys im Jahr kommen anonym zur Welt. Sie werden in Babyklappen abgelegt oder ihre Mütter verlassen den Kreißsaal, ohne Namen und Adresse zu hinterlassen.

Das hat eine Studie des Deutschen Jugendinstitutes im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ergeben, die in Kurzfassung seit wenigen Tagen im Ministerium vorliegt und deren Inhalte auch der "Ärzte Zeitung" bekannt sind.

Etwa 1000 solcher Schicksale haben die Autorinnen der Studie zwischen Mitte 1999 und Mitte 2010 gezählt. Die Autorinnen recherchierten bei Jugendämtern und Trägern sozialer Einrichtungen.

Allerdings bleibt das Bild noch im Ungefähren. Etwa 100 Babyklappen soll es in Deutschland geben. Etwa 130 Kliniken sollen anonyme Geburten ermöglichen.

Auf Grundlage der ersten Studienergebnisse - die Langfassung der Arbeit wird für Mitte Februar erwartet - plant Familienministerin Kristina Schröder (CDU) ein Gesetz, das allen Beteiligten an anonymen Geburten, Kindesab- und -übergaben mehr Rechtssicherheit geben soll.

Anknüpfen am Kinderschutz

Kinder, die erfahren wollen, wer ihre Eltern sind, sollen besser gestellt werden. So soll die Zeitspanne, während derer die Identität der Mutter auf deren Wunsch geheim bleiben solle, geregelt werden.

Hier spricht das Ministerium von einer "Größenordnung" von zehn Jahren beziehungsweise einer "hinreichend langen Dauer".

Das Verfahren ist als "vertrauliche Geburt" bekannt. Dabei kennt eine Beratungsstelle den Namen der Mutter, nicht aber das Jugendamt.

Das Gesetz solle an das Kinderschutzgesetz anknüpfen. Darin hat das Ministerium einen Rechtsanspruch auf anonyme Schwangerenberatung geschaffen, sagte Schröders Sprecher Dr. Christoph Steegmanns der "Ärzte Zeitung".

Blieben die Frauen auch nach einer solchen Beratung davon überzeugt, dass eine anonyme Geburt besser für sie sei, solle es ihnen wenigstens leicht gemacht werden, ihre Kinder im Krankenhaus zu gebären und nicht alleine unter meist medizinisch und hygienisch untragbaren Verhältnissen, sagte Steegmanns

Seien sie erst im Krankenhaus, erhöhe sich die Chance, dass sie in einem überschaubaren Zeitraum sich doch dafür entschieden, sich um ihr Kind zu kümmern.

Keine Querschüsse erwartet

Die Babyklappen sollen vorerst bleiben. Auch dies ist eine erste Reaktion von Ministerin Schröder auf die bisher vorliegenden Studienergebnisse.

278 Babys wurden demnach im Erhebungszeitraum in den 60 offiziell bestätigten Babyklappen abgelegt. Die Autorinnen der Studie beklagen, dass die Ergebnisse nicht exakt sein könnten. Es gebe kein zentrales Register, nicht alle Jugendämter und Träger gäben Auskunft und nicht alle Vorfälle würden dokumentiert, heißt es.

Für ein Fünftel der anonym abgegebenen und in Krankenhäusern geborenen Kinder fehlten sogar jegliche Informationen über deren Verbleib.

In den Koalitionsfraktionen ist man sich wohl einig, das Gesetz angehen zu wollen. Auch aus dem Justizministerium werden keine Querschüsse erwartet, heißt es.

Bislang bewegen sich die Betreiber von Babyklappen außerhalb geltenden Rechts. Tatsächlich werden sie aber geduldet. Der Deutsche Ethikrat hatte sich 2009 gegen die Babyklappen ausgesprochen.

Eine Mehrheit stellte sich auf den Standpunkt, das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft wiege schwerer als die Rechte der Mütter. Eine Gruppe um den Theologen Eberhard Schockenhoff aber plädierte mit der Begründung für die Klappen, sie könnten Leben retten.

Kindstötungen nicht zurückgegangen

Ursprünglich wurden Babyklappen und Angebote zur anonymen Geburt beziehungsweise zur anonymen Übergabe neugeborener Kinder ab 1999 als Möglichkeit gesehen, das Leben von Kindern zu retten, die ansonsten getötet oder ausgesetzt worden wären.

Die Studie des Deutschen Jugendinstituts kommt nun aber zu der Einschätzung, dass diese Motive bei der Weiterführung von Babyklappen und anderen Angeboten nicht mehr vorrangig seien.

"Heute setzen sich die Anbieter damit auseinander, dass die Zielgruppen, die bei der Einrichtung der Angebote vielfach im Fokus standen (Prostituierte, Drogenabhängige, sehr junge Mädchen, Frauen, die ihre Neugeborenen töten oder aussetzen), nicht erreicht werden und die Nutzerinnen keiner spezifischen Gruppe zuzuordnen sind", heißt es in der Studie.

Nach Einschätzung des Kinderhilfswerkes Terre des Hommes sind die Kindstötungen in Deutschland mit der Einführung der Babyklappen nicht zurückgegangen. Im vergangenen Jahr seien etwa 25 Fälle aufgedeckt worden.

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