Hintergrund

Behandlungsfehler: Klüngeln Gutachter mit Versicherern?

Auf Nordrheins Ärzte wird offenbar Druck ausgeübt, Prüfungen möglicher Behandlungsfehler an ihre Versicherer zu melden. Diesen Vorwurf erhebt zumindest ein Kölner Anwalt. Er hat die Finanzierung der Gutachterkommission unter die Lupe genommen - mit erstaunlichem Ergebnis.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Op-Besteck im Brustkorb - ein Fall für die Gutachter.

Op-Besteck im Brustkorb - ein Fall für die Gutachter.

© Lukasz Panek / fotolia.com

Bei der Gutachterkommission der Ärztekammer Nordrhein (GAK) gibt es eine nicht zu rechtfertigende Diskrepanz, kritisiert der Kölner Rechtsanwalt Uwe Hohmann.

Sein Vorwurf: Anders als die Patienten werden die Ärzte durch die Verfahren finanziell belastet.

"Für die Patienten ist die Inanspruchnahme der Gutachterkommission kostenlos, so dass sie auch keine Hemmschwelle haben, mögliche Ansprüche gegenüber einem Arzt auszuprobieren", sagt Hohmann der "Ärzte Zeitung".

Er unterstützt in dieser Frage den nordrheinischen Berufsverband der Chirurgen. Seit Jahren würden rund zwei Drittel der von Patienten geltend gemachten Ansprüche zurückgewiesen, sagt er.

Ärzte müssen für Gutachterverfahren nicht zahlen

Zwar müssen auch die Ärzte für die Verfahren der GAK keine Gebühren bezahlen.

Sehr früh informiere die Kommission den Arzt aber darüber, dass er den Fall seinem Arzthaftpflichtversicherer melden muss, auch wenn der Patient noch keinen Schadenersatzanspruch erhoben hat.

"Die Versicherer bilden für jeden gemeldeten Fall eine Rückstellung zu Lasten des Arztes und können nach wenigen gemeldeten Fällen allein aufgrund der Rückstellungen, ohne Schadenersatz gezahlt zu haben, den Versicherungsvertrag kündigen, mit dem Ziel, eine deutlich höhere Prämie zu verlangen", sagt Hohmann.

"Es erschließt sich zunächst nicht recht, warum die Ärztekammer den Arzt auf privatrechtliche Versicherungsbedingungen hinweist, die in keinem Zusammenhang mit dem Verfahren bei der Gutachterkommission stehen", so Hohmann.

Pro Verfahren bekommt die Kommission 690 Euro

Die Erklärung liegt nach seiner Einschätzung darin, dass die GAK aufgrund einer Vereinbarung mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft für die Verfahren jeweils 690 Euro von den Haftpflichtversicherern erhält.

Das Geld fließt nur dann, wenn die GAK das jeweilige Unternehmen von einem Verfahren in Kenntnis setzt und sich der Arzt nach Absprache mit dem Versicherer zur Teilnahme bereit erklärt.

Die Kammer übt nach Einschätzung des Juristen zu viel Druck auf die Ärzte aus.

Wenn die Mediziner darauf hinweisen, dass die Meldung an den Versicherer ihre Angelegenheit sei, komme der drohende Hinweis auf eine mögliche Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer.

Weigere sich der Arzt, der Kammer den Namen des Unternehmens offenzulegen, nehme sie das zum Anlass, Zweifel daran anzumelden, ob der Arzt überhaupt versichert ist - wozu er aber verpflichtet ist.

Übt die Kommission zu viel Druck aus?

"Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Gutachterkommission versucht, die Angabe der Berufshaftpflichtversicherung durch den Arzt unter vorgeblichem Verstoß gegen die Berufsordnung zu erzwingen, damit sie ihre Finanzierung sicherstellt", bemängelt Hohmann. "Damit verlässt sie den Rahmen ihrer Aufgaben und Möglichkeiten."

GAK-Geschäftsführer Ulrich Smentkowski weist die Kritik zurück.

Die Verfahren der Gutachterkommissionen seien für die Ärzteschaft noch nie kostenlos gewesen, bis Anfang der 1990er Jahre hätten sie die Finanzierung komplett übernommen.

Die dann beschlossene Kostenpauschale der Versicherer nutze sowohl den Unternehmen als auch den Ärzten, sagt Smentkowski.

Die Versicherer erhielten ein verlässliches Gutachten von einem objektiven Dritten, das zudem billiger sei als externe Gutachten. Das entlaste die Sparte der Arzthaftpflicht.

Vielen Ärzten sei nicht bewusst, dass sie ihren Versicherer bereits über erste Anzeichen eines möglichen Schadens informieren müssen.

"Wir üben keinen Druck auf die Ärzte aus, sondern wir weisen sie auf die Zusammenhänge hin", betont er.

Die Empfehlungen zum Umgang mit den Versicherern seien Teil der allgemeinen Information des Arztes, wenn ein GAK-Verfahren in Gang kommt.

Die Aufklärung gehöre zu den Fürsorgepflichten der Kammer.

Ärzte sollten nicht auf die Meldung der Fälle verzichten

"Wir wollen verhindern, dass der Arzt in eine Falle tappt", sagt Smentkowski. Es habe schon Fälle gegeben, in denen Ärzte wegen der unterlassenen Meldung des GAK-Verfahrens ihre Deckung verloren haben.

Die Empfehlung von Rechtsanwälten, auf die Mitteilung zu verzichten, hält er deshalb für bedenklich.

Die GAK erkundige sich nach dem Namen des Versicherers, damit sie die Kostenbeteiligung in die Wege leiten könne.

"Es ist ganz klar, dass der Arzt berufsrechtlich nicht verpflichtet ist, uns das mitzuteilen", betont er.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Transparenz täte auch Gutachtern gut

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Kommentare
Uwe Schneider 14.04.201215:05 Uhr

Kritik geht eher an die Geschäftspolitik macher Versicherer

Zu kritisieren dürfte hier weniger die Ärztekammer bzw. Gutachterkommission, sondern allenfalls die Geschäftspolitik der Berufshaftpflichtversicherer sein, die selbst bei letztlich unbegründeten Verfahren ohne Schadensersatzzahlung mit Prämiensteigerungen drohen. Den Ärztekammern sollte sogar generell, sei es durch die selbst gesetzten Berufsordnungen oder die Heilberufegesetze der Länder , die Möglichkeit zur Kontrolle der Berufshaftpflichtdeckung gegeben werden. Gleiches gilt für die Approbationsbehörden aufgrund ber Bundesärzteordnung.

Im Überigen sei darauf hingewiesen, dass die Gutachterkommissionen nur Behandlungsfehler feststellen, aber keinen Schadensersatz zusprechen können. Außerdem können vor Gericht neue Gutachter bestellt werden, auch wenn dem Gutachten der Kommission großes Gewicht zukommt.

Dr. Martina Deppe 12.04.201223:17 Uhr

Eigene Erfahrung mit einer Schlichtungstelle

Ich bin Internistin und erhielt Anfang Februar 2006 die Diagnose Brustkrebs. Ende November 2005 wurde der Tumor bei einer Mammografie nicht erkannt, und mein Frauenarzt versicherte mir nach einer Sonografie, es handele sich eindeutig um eine Cyste (bei bereits da tastbarem, kleinen Knoten).Den Frauenarzt kannte ich seit 10 Jahren, er beruhigte mich völlig. Im Februar 2006 wurde die Diagnose durch ein MRT gestellt, das ich auf meine eigene Initiative hin machen ließ. Bei der OP war der Tumor dann 4,8 x 5 cm groß und hatte LK befallen. Ich wendete mich an die Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern in Hannover. Es wurden 2 Behandlungsfehler anerkannt: bei der Mammografie war der Tumor fehlerhaft übersehen worden. Der Gynäkologe hätte mir bei neu aufgetretenem Knoten in jedem Fall zu einer PE raten müssen. Trotzdem wurde mir jede Entschädigung abgesprochen! Begründung: die 2 Monate Diagnoseverschleppung haben angeblich an Prognose und Therapie nichts geändert (obwohl sich von dokumentierten Tastbefunden her die Größe des Knotens von ca.1,5cm auf 5cm änderte). Die Schreiben der Schlichtungsstelle Hannover waren an Unfreundlichkeit und Arroganz nicht zu überbieten. Insbesondere wurde zum Schluß überhaupt nicht auf mein Argument eingegangen, daß die Tumorgröße auch ein Prognosefaktor ist und sie sich eben geändert hatte.- Die Fehldiagnosen und der Umgang damit gehören zu den größten Enttäuschungen meines Lebens ! Ich nehme es meinem ehemaligen Gynäkologen und dem Radiologen nicht übel, daß sie den Tumor nicht erkannten. Jeder Arzt kann Fehler machen. Aber daß dann alles getan wird, damit der Patient noch nicht mal eine finanzielle Entschädigung bekommt, kann ich nicht begreifen. Nach dieser Erfahrung ist es jedenfalls für mich sonnenklar, daß die Schlichtungsstellen mit den Arzthaftpflichtversicherern "unter einer Decke stecken" !!!

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