Gesunde Mitarbeiter in Heimen und Kliniken

Da braucht es mehr als Rückenschule!

70 Millionen Euro der Kassen sollen für die Gesundheitsförderung in Kliniken und Pflegeheime fließen. AU-Daten belegen, dass das bitter nötig ist. Doch beim Wandel hin zu gesunden Unternehmen stinkt der Fisch oft vom Kopf.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Und noch eine Dokumentation: Stress und Erschöpfung lassen die Fehlzeiten bei Beschäftigten in Kliniken und Heimen steigen.

Und noch eine Dokumentation: Stress und Erschöpfung lassen die Fehlzeiten bei Beschäftigten in Kliniken und Heimen steigen.

© Maridav / stock.adobe.com

Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) verpflichtet die Krankenkassen, jährlich zusätzlich rund 70 Millionen Euro für Gesundheitsförderung in Kliniken und Pflegeheimen auszugeben. Experten für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) mahnen, dass individuelle Kursangebote nicht ausreichen. Nötig seien Lernprozesse, die das ganze Unternehmen einbinden.

Pflegekräfte gelten bereits seit Jahren als überdurchschnittlich gesundheitlich belastet. Sie belegen in den gängigen Statistiken zur Arbeitsunfähigkeit oft die oberen Plätze. Nach den aktuellen AOK-Daten lag der Krankenstand 2017 in den Pflegeberufen bei 6,8 Prozent und somit rund 1,5 Prozent über dem allgemeinen Bundesdurchschnitt von 5,3 Prozent.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Sorge um ausgebrannte Kranken- und Altenpflegekräfte auf die gesundheitspolitische Agenda gesetzt.

Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, das 2019 in Kraft tritt, sieht außer Geld für zusätzliche 13.000 Stellen auch eine Finanzspritze für die BGF in Krankenhäusern und Pflegeheimen vor. Die Krankenkassen sollen jährlich rund 70 Millionen Euro mehr für Gesundheitsförderung in Kliniken und Pflegeeinrichtungen zahlen. Das Gesetz ist also auch ein Versuch, mit Gesundheitsförderung die Belastungen in der Pflege zu mildern.

Gefragt sind strukturelle Veränderungen

Johanna Knüppel, Pressereferentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), zweifelt, ob dies gelingen kann. „Projekte allein bringen nur dann etwas, wenn gelungene Vorhaben, Veränderungen auch verstetigt werden“, sagt sie. Individuelle BGF-Angebote wie etwa Rückenschulen oder Kurse zur Stressbewältigung reichen nicht aus, um Unternehmenskulturen zu verbessern.

Organisationsbezogene Prozesse des Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM), die auf strukturelle Veränderung abzielen, brauchen vor allem zu Beginn Zeit und Energie, wenn sie nachhaltig etabliert werden sollen. Das stehe jedoch quer zum Arbeitsalltag in der Pflege: „Viele Pflegekräfte arbeiten bereits seit Jahren im Stand-by-Modus und müssen aufgrund der Personalnot selbst in ihrer freien Zeit damit rechnen, in den Dienst gerufen zu werden,“ sagt Knüppel.

„Für viele Beschäftigte im Gesundheitswesen ist es inzwischen die stärkste Belastung, dass sie ihre Arbeit nicht mehr so ausfüllen können, wie sie es aufgrund ihres Berufsethos und ihres Selbstverständnisses für notwendig und richtig halten“, sagt Brigitte Müller. Die Organisationsentwicklerin aus Wuppertal unterstützt mit ihrem Büro mediCONcept seit 1996 Kliniken und Pflegeeinrichtungen dabei, BGM einzuführen und aufzubauen.

Angesichts des Fachkräftemangels seien zwar viele Einrichtungen bereit, so Müller, sich als „guter Arbeitgeber“ zu profilieren und dennoch mangele es oft an Zeit und an Kontinuität, um die Vorhaben umzusetzen. Grundsätzlichen Nachholbedarf sieht sie in einem offeneren Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen: „Wenn eine Einrichtung sich einerseits als sozialer und guter Arbeitgeber darstellt, es aber andrerseits der mittleren Führungsebene überlässt, tagtäglich die ,Quadratur des Kreises‘ zu bewältigen, weil beispielsweise die zahlenmäßige Personalausstattung über Monate und Jahre nichts mehr mit der realen Ausstattung zu tun hat.“

Führungskräfte würden – oft auch wider besseren Wissens – die verbleibenden Beschäftigten überfordern, sie aus ihrer Freizeit holen oder müssen womöglich selbst einspringen. Gleichzeitig sollen sie ,gesund führen‘, Vorbilder für einen guten Umgang mit der eigenen Gesundheit sein und auch in Veränderungsprojekten mitwirken.

„BGM ist ein Lernprozess für das gesamte Unternehmen. Wenn Kontinuität fehlt, viele nicht abgestimmte Parallelprozesse stattfinden, der Informationsfluss nicht gesichert ist, erschwert dies das Lernen aus den eigenen Erfahrungen“, sagt die BGM-Expertin.

BGM ist kein fertiges Konzept

Ähnliche Erfahrungen haben Christiane Perschke-Hartmann und Michael Drupp von der AOK Niedersachsen gemacht, die vier Jahre lang 20 ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen beim Aufbau von BGM-Prozessen unterstützt haben. Im aktuellen Fehlzeiten-Report berichten sie, dass die hohen Fehlzeiten und Fluktuationen zentrale Störfaktoren waren und dazu führten, dass die Prozesse ins Stocken gerieten oder gar zu scheitern drohten. Schließlich sei BGM kein fertiges Konzept, das den Einrichtungen übergestülpt werde, sondern müsse vor Ort erarbeitet werden.

„BGM kann nur dort erfolgreich sein, wo Führungskräfte ausreichend mitgestalten können“, betont Bernhard Badura, ehemals Professor an der Uni Bielefeld. Er empfiehlt Kliniken und Pflegeeinrichtungen, vor allem die Führungskräfte in das BGM einzubinden. „Nötig ist, die Beschäftigten professionell zu führen und gemeinsam eine Kultur des Vertrauens zu entwickeln. Die Führungskräfte sind dafür die zentralen Treiber und daher die erste Adresse, wenn es um eine Veränderung geht.“

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