KBV-Chef im Interview

"Das werden wir nicht durchhalten"

Im Honorarstreit sieht KBV-Chef Köhler keine Chance auf einen Kompromiss. Im Interview spricht er über die Ziele der heutigen Vertreterversammlung, den Sicherstellungsauftrag und erklärt, warum die Ärzte das Honorar der Psychotherapeuten nicht weiter stemmen können.

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Das Angebot der Kassen ist eine Mogelpackung, findet KBV-Chef Dr. Andreas Köhler.

Das Angebot der Kassen ist eine Mogelpackung, findet KBV-Chef Dr. Andreas Köhler.

© Florian Schuh / dpa

Ärzte Zeitung: Wenn eine Seite im Vorfeld von Verhandlungen von "nicht verhandelbaren Positionen" spricht, dann braucht man sich eigentlich nicht mehr an einen Tisch zu setzen. Sind damit die Honorarverhandlungen zwischen KBV und Spitzenverband am 4. und 9. Oktober gescheitert?

Köhler: Grundsätzlich glaube ich, dass die Verhandlungen am 4. Oktober im Bewertungsausschuss und am 9. Oktober im Erweiterten Bewertungsausschuss nicht zu einem Konsens führen werden. Das zeichnet sich aufgrund der Vorgespräche ab.

Ich darf daran erinnern: Unser Verhandlungspaket war ein Angebot mit einer unteren Grenze - insofern war das ja wohl verhandelbar. Nun zeigt sich, dass unser Angebot, den Orientierungspunktwert um 1,8 Prozent zu erhöhen, vom GKV-Spitzenverband nicht akzeptiert wird.

Ärzte Zeitung: Wie würde dann ein konkretes Szenario nach einem Scheitern aussehen?

Dr. Andreas Köhler

Geboren: 20. November 1960 in Hambrücken/Baden

Ausbildung: 1981 bis 1989 Medizinstudium; von 1987 bis 1989 chirurgische Weiterbildung; 1989 bis 1994 Betriebswirtschaftsstudium

Werdegang: seit 1995 in verschiedenen Positionen bei der KBV tätig; von 1998 bis 2002 Chef der Honorarabteilung; 2004 Hauptgeschäftsführer; seit Januar 2005 erster hauptamtlicher Vorsitzender des Vorstandes der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er verantwortet den fachärztlichen Versorgungsbereich innerhalb des Vorstandes. Im März 2011 wurde Köhler für weitere sechs Jahre gewählt.

Köhler: Die Beschlüsse, die dann gegen uns getroffen worden sind, würden rechtskräftig. Das bedeutet, dass der Schiedsspruch zur Anhebung der Vergütung um 0,9 Prozent bestehen bleibt.

Dies hängt allerdings davon ab, ob die Klage, die wir gegen den Beschluss eingereicht haben und an der wir festhalten, aufschiebende Wirkung hat. Hätte sie keine aufschiebende Wirkung, würden die Vertragsärzte ab Januar 2013 eine Anhebung des Orientierungspunktwertes um 0,9 Prozent erfahren.

Für die Mehrarbeit, die Vertragsärzte und Psychotherapeuten leisten, würde es zusätzlich noch einmal 1,1 Prozent geben. Auch das wird gegen unsere Stimmen beschlossen werden, wäre aber Grundlage für regionale Verhandlungen.

Ärzte Zeitung: Sprechen wir über die Vertreterversammlung: Was ist das Ziel einer Grundsatzdiskussion über den Sicherstellungsauftrag?

Köhler: Der aktuelle Honorarkonflikt ist nur ein Symptom einer Krankheit, die etwas zu tun hat mit dem Selbstverständnis einer gemeinsamen Selbstverwaltung. Ich habe Selbstverwaltung als Vertragspartnerschaft auf Augenhöhe erlebt.

Das war so etwas wie ein historischer Pakt und geht zurück auf das Jahr 1913. Hier wurde klar geregelt, dass die Ärzteschaft die Sicherstellung für alle ambulanten Leistungen übernimmt. Im Gegenzug akzeptierte sie die Bedarfsplanung. Dafür sollte es eine "in Form und Höhe" angemessene Vergütung geben.

Heute müssen wir die Frage stellen: Ist dieser Sicherstellungsauftrag es wert, den historischen Pakt beizubehalten? Oder werden wir durch den Sicherstellungsauftrag erpresst? Wir wollen die Vertragsärzte und Psychotherapeuten fragen: Unter welchen Bedingungen seid Ihr bereit, diesen Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen?

Ärzte Zeitung: Könnte das auch eine einseitige Aufkündigung der Vertragspartnerschaft bedeuten?

Köhler: Ich bin noch nicht soweit, diese Partnerschaft einseitig aufzukündigen. Aber man muss sich fragen: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, dass ich die Interessen der Ärzteschaft im Sicherstellungsauftrag nicht mehr vertreten kann?

Ärzte Zeitung: Worüber wird in welcher Reihenfolge am 4. Oktober konkret gesprochen?

Köhler: Unsere Anträge stehen nach wie vor - das gilt auch für die 3,5 Milliarden Euro. Das haben wir begründet, weil es der Inflationsausgleich von 2008 bis 2012 ist. Dagegen steht der Schiedsspruch mit einer Erhöhung um etwa 270 Millionen Euro. Ich gehe davon aus, dass dieser Beschluss vom Schlichter nicht mehr aufgehoben wird.

Beim zweiten Verhandlungspaket geht's um die Anpassung des Behandlungsbedarfs. Und schließlich gibt's die Öffnungsklausel für besonders förderungswürdige Leistungen, die eigentlich regional verhandelt werden müssen.

Ärzte Zeitung: Und welche Positionen haben die Kassen mit ihrem Angebot über 900 Millionen Euro subsumiert? Sie haben von einer Mogelpackung gesprochen, warum?

Köhler: Diese 900 Millionen haben sich aus der Preiserhöhung, einer Mengengewährung und aus regionalen Verhandlungsoptionen zusammengesetzt. Mit anderen Worten: Die Außendarstellung der Krankenkassen, dass sie ihr Angebot verdreifacht hätten, ist schlicht und ergreifend falsch, weil keiner vorhersehen kann, zu welchen Ergebnissen die regionalen Verhandlungen führen.

Ärzte Zeitung: Ein konkretes Beispiel: Hausärzte in Nordrhein haben sich vorab dafür ausgesprochen, die Honoraranhebung für ihre Gruppe müsse mindestens fünf Prozent betragen. Ist die Nennung konkreter Zahlen, die eine Mindestgrenze beinhalten, im Vorfeld nicht falsch?

Köhler: Vor fünf Jahren hätte ich Ihnen noch Recht gegeben. Heute sind das sehr konfliktiv behaftete Themen. Das ist leider so, ähnlich wie bei Arbeitgebern und bei Arbeitnehmern, die mit ihren Maximalforderungen in die Öffentlichkeit gehen.

Ärzte Zeitung: Sie wollen etwa die Ausdeckelung des Psychotherapeuten-Honorars. Politisch ist das abgelehnt. Wie wollen Sie die Front von GKV und Politik durchbrechen?

Köhler: In dem ich beiden Seiten klar mache, dass wir eine sehr starke Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen haben. Das führt selbst in angeblich überversorgten Gebieten zu erheblichen Wartezeiten.

Die entscheidende Frage ist: Wer bezahlt den Mehrbedarf? Unsere jetzige Struktur sieht vor, dass er zulasten der Fachärzte finanziert wird. Doch das werden wir nicht durchhalten. Zudem vergessen die Kassen, dass dies genehmigungspflichtige Leistungen sind.

Ärzte Zeitung: Das klingt nach einem Vorgeschmack auf eine neue Form des Sicherstellungsauftrags.

Köhler: Das ist richtig. Das bedeutet nämlich: feste Preise für eine festgelegte Menge.

Ärzte Zeitung: Wie groß ist Ihr Wunsch, hier wieder mit einzelnen Kassen zu verhandeln?

Köhler: Der ist sehr groß. Ich bin fest davon überzeugt, dass es im Wettbewerb um eine gute Versorgung Kassen gibt, die diesen Wettbewerb wünschen. Der Spitzenverband agiert oft losgelöst von den Kassen, die der Versorgung viel näher sind.

Ärzte Zeitung: Der Streit ums Honorar ist mit scharfen Vokabeln geführt worden - bis hin zur Drohung der freien Verbände mit Praxisschließungen. Entspricht das der Stimmung an der Basis?

Köhler: Mein Eindruck ist, dass die Maßnahmen, zu denen die Verbände aufrufen, sehr wohl unterstützt werden. Inwieweit Praxisschließungen als Mittel der letzten Wahl sich flächendeckend umsetzen lassen, vermag ich nicht zu beurteilen. Aus den Gesprächen mit den Verbänden weiß ich, dass das passieren kann.

Das Interview führten Sunna Gieseke und Wolfgang van den Bergh

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