Deutsche sind zu oft beim Arzt - von wegen!

Bisher galten die Deutschen als Weltmeister bei den Arztbesuchen. Doch ist das nur ein Mythos? Eine neue Studie relativiert die Zahlen, meint die Bundesregierung. Die Hälfte der Arztkontakte gehe auf das Konto einer kleinen Patientengruppe - und verzerre den Durchschnitt.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Arztbesuch: 16 Prozent der Patienten verursachen die Hälfte der Arztkontakte.

Arztbesuch: 16 Prozent der Patienten verursachen die Hälfte der Arztkontakte.

© Sanders / fotolia.com

BERLIN. Die Bundesregierung hat bisherigen Aussagen widersprochen, Deutsche gingen zu oft zum Arzt: "Die Hälfte der Patienten hatte weniger als elf Arztkontakte pro Jahr", heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen.

Basis der Zahlen ist eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). Der Studie zufolge hat es im Jahr 2007 im Schnitt 17 Arztkontakte pro Versichertem gegeben.

Dabei würden neben einer Konsultation des Arztes oder eines Psychotherapeuten sowohl die Abholung eines Rezeptes oder einer Überweisung als auch ein telefonischer Kontakt mitberücksichtigt, sofern sie zu einer Abrechnung führten, heißt es in der Antwort.

Die Bundesregierung warnte jetzt davor, diesen Mittelwert isoliert zu betrachten: Das führe "zu Fehlinterpretationen des Versorgungsgeschehens, wie etwa zu der pauschalen Aussage, dass in Deutschland eine zu hohe Arztinanspruchnahme bestünde".

Viele Arztkontakte aufgrund von Morbidität und Alter

Etwa 16 Prozent der Patienten nähmen 50 Prozent aller Arztkontakte in Anspruch. Das könne insbesondere durch die Morbidität und das Alter der Patienten und eine damit einhergehende intensivere Versorgung erklärt werden.

Ein Viertel der Versicherten gehe höchstens viermal im Jahr zum Arzt, weitere 25 Prozent kommen auf höchstens zehn Arztbesuche im Jahr.

Laut ZI-Studie gehen Frauen öfter zum Arzt als Männer. Bis zum 65. Lebensjahr weisen sie jedes Jahr 6,5 Arztkontakte mehr auf als Männer. Das ändere sich allerdings im hohen Alter.

Aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) dienen die Zahlen der Versachlichung der Diskussion um die Anzahl der Arztkontakte.

"Es ist ein Mythos, dass der Deutsche per se oft zum Arzt geht", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl. Die Studie belege, dass nur die Kranken oft einen Arzt aufsuchen müssten, die Gesunden deutlich seltener.

Zudem seien die Zahlen ein Zeichen für die sehr gute Versorgungslandschaft in Deutschland.

Arztverhalten richtet sich nicht nach Statistiken

Der GKV-Spitzenverband konterte: "Es ist weder eine überraschende Erkenntnis noch besorgniserregend, dass die besonders kranken Menschen besonders häufig zum Arzt gehen", sagte Verbands-Sprecher Florian Lanz.

Es liege nun einmal im Wesen einer Durchschnittsbetrachtung, dass es Abweichungen nach oben und nach unten gebe. "Im Übrigen dürfte sich das Verhalten des einzelnen Arztes kaum nach bundesweiten Statistiken richten, sondern nach der Situation in der eigenen Praxis", so Lanz.

Grünen-Politikerin Birgitt Bender warf der Koalition vor, an der Praxisgebühr als "Finanzierungsinstrument" festzuhalten. Diese trage im übrigen nicht zu einer sinnvollen Steuerung des Versorgungsgeschehens bei.

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Japan (13,2) bei der Zahl der Behandlungsfälle pro Jahr weit vor Deutschland (8,2).

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