DKFZ-Patientenbeirat

„Die Patienten geben wichtige Impulse“

Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg hat als erste medizinische Forschungseinrichtung in Deutschland einen Patientenbeirat für die Forschung gegründet. Der DKFZ-Vorstandsvorsitzende Professor Michael Baumann erläutert, warum dieser gegründet wurde.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Dr. Peter Horak vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg im Austausch mit den Patientenbeiratsmitgliedern Uli Roth, Michael Roth, Renate Haidinger und Karin Arndt (von links).

Dr. Peter Horak vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg im Austausch mit den Patientenbeiratsmitgliedern Uli Roth, Michael Roth, Renate Haidinger und Karin Arndt (von links).

© Uwe Anspach/DKFZ

HEIDELBERG. In Kliniken gibt es sie schon lange, auch zahlreiche Kassenärztliche Vereinigungen und Selbsthilfegruppen haben ein solches Gremium: Patientenbeiräte sind inzwischen in vielen Bereichen des Gesundheitswesens etabliert. Die institutionell verankerte Einbeziehung von Patienten soll vor allem dazu beitragen, die medizinische Versorgung zu verbessern.

Jetzt hält die Patientenpartizipation auch Einzug in die Forschung. Vorreiter ist das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ). Vorstandsvorsitzender Professor Michael Baumann erläutert im Interview, warum einer der wichtigsten medizinischen Forschungsstandorte in Deutschland einen Patientenbeirat gegründet hat.

Ärzte Zeitung: Mitsprache von Patienten in der Forschung – das ist neu in Deutschland. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

DKFZ-Vorstandsvorsitzender Professor Michael Baumann.

DKFZ-Vorstandsvorsitzender Professor Michael Baumann.

© DKFZ

Michael Baumann: Das Konzept des sogenannten „Patienten-Empowerments“ gibt es ja schon länger. Bislang wurde es allerdings vornehmlich in der Krankenversorgung umgesetzt. Durch die Mitwirkung und Mitentscheidung von Patienten sollen hier insbesondere Behandlungsprozesse nachhaltig verbessert werden.

Patienten können aber auch wichtige Impulse für die Forschung geben, hierfür gibt es zahlreiche internationale Beispiele. In den USA macht man bereits seit mehreren Jahrzehnten sehr viele positive Erfahrungen mit Forschungsbeiräten.

Das National Cancer Institute (NCI) fördert beispielsweise nur klinische Studien, an deren Beschlüsse Patientenbeiräte beteiligt waren. Auch in Großbritannien sind in den Forschungsgremien schon seit langem auch Laien vertreten, um dort die Sicht der Patienten einzubringen.

Ich bin überzeugt, dass auch die Krebsforschung in Deutschland davon profitieren wird. Es ist ein Experiment, von dem wir uns sehr viel versprechen.

Am DKFZ sind mehr als 3000 Mitarbeiter in der Wissenschaft tätig. Was können Laien zu diesem äußerst komplexen Forschungsgebiet beisteuern?

Michael Baumann: Wenn Patienten sich aktiv in Forschungsprozesse einbringen und an der Gestaltung von Rahmenbedingungen mitwirken können, kann dies positive Auswirkungen auf die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze haben. Das haben die Erfahrungen anderer Forschungseinrichtungen gezeigt.

Diese fundierte, außerwissenschaftliche Patientenperspektive ist besonders wertvoll, um die Krebsforschung, die vor allem auch in unseren klinischen Forschungsnetzwerken, dem Deutschen Krebskonsortium (DKTK) und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) umgesetzt wird, patientenbezogener entwickeln zu können. Auch die Grundlagenforschung profitiert, wenn wir von Beginn an die Patientensicht mit einbeziehen.

Wie setzt sich der Patientenbeirat am DKFZ zusammen?

Michael Baumann: Derzeit sind es neun Mitglieder, diese Zahl wollen wir in Zukunft noch etwas erhöhen. Die Mitglieder kommen aus ganz Deutschland und ganz unterschiedlichen Berufsgruppen und haben eines gemeinsam: Alle sind selbst von unterschiedlichen Krebserkrankungen betroffen, und einige sind bereits in Patientenorganisationen und -selbsthilfegruppen tätig.

Leiter des Patientenbeirats ist Rudolf Hauke, ehemaliger Vorstand der Kaufmännischen Krankenkasse Hannover. Der Ausschuss tagt zweimal im Jahr. Wissenschaftler aus dem DKFZ sind dort nicht vertreten, das ist auch ausdrücklich so gewollt.

Sie haben sich persönlich sehr stark für die Etablierung des Patientenbeirates eingesetzt. Wie bringen Sie sich jetzt dort ein?

Michael Baumann: Ich berichte als Vorstand über die Arbeit des Krebsforschungszentrums, informiere über die aktuelle Forschung, strategische Akzente, Programme, Probleme und Entwicklungen, zudem erhalten die Patienten Einblicke in die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Krebsforschung. Außerdem organisiere ich Vorträge mit Experten.

Bei der Gründungssitzung hat beispielsweise Amy Williams, die Leiterin der Abteilung Interessensvertretung am amerikanischen National Cancer Institut (NCI) in Bethesda, in einem Gastvortrag die Arbeit des dortigen Patientenbeirates vorgestellt. Dieser Beirat hat bereits maßgeblichen Einfluss auf die Forschung genommen und zum Beispiel an der Gestaltung des vom früheren US-Vizepräsidenten Joe Biden initiierten „Cancer Moonshot“ mitgewirkt, das mit einem Forschungsvolumen von 1,8 Milliarden Dollar ausgestattet wurde.

Welche besonderen Fragen und Anliegen haben die Patienten an die Forschung?

Michael Baumann: Patienten ist vor allem eines wichtig: Sie möchten, dass möglichst schnell Fortschritte im Kampf gegen den Krebs erzielt werden. Sie möchten, dass ausreichend Ressourcen für die Krebsforschung bereitgestellt und bürokratische Hemmnisse, welche die Forschung behindern, abgebaut werden.

Ein konkretes Thema ist beispielsweise der Datenschutz in klinischen Studien. Obwohl Patienten natürlich ihre Daten geschützt haben wollen, möchten sie ebenso Zugang zu Innovationen haben. Sie haben ein großes Interesse daran, dass Daten und Materialien für die Forschung zur Verfügung gestellt werden und Datenschutzbestimmungen nicht die Behandlung beeinträchtigen.

Außerdem ist ihnen ein Aspekt, der bislang nur unzureichend erforscht ist, besonders wichtig: Die Lebensqualität von Krebspatienten. Krebsforschung soll sich nicht nur um die Frage drehen, wie man einen Tumor wirkungsvoll bekämpfen kann, sondern auch die Nebenwirkungen von Therapien erfassen und auf eine Verbesserung der Lebensqualität hinwirken.

Ist es nicht ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Wissenschaft, wenn Patienten Forschungsprozesse mitgestalten dürfen?

Michael Baumann: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass gute Forschung nur entsteht, wenn man einfach so vor sich hin forscht. Forschung darf sich nicht im Elfenbeinturm abschotten, sondern muss sich erklären. Patienten können die Forschung bereichern, weil sie andere Fragestellungen und Perspektiven hineinbringen.

Durch diesen Diskurs wird die Forschung besser und effizienter, auch die Grundlagenforschung – weil Wissenschaftler verstärkt darüber nachdenken, wie Innovationen und Entdeckungen aus der Grundlagenforschung besonders schnell, sicher und effizient beim Patienten ankommen.

Professor Michael Baumann

  • Medizinstudium an der Universität Hamburg, Promotion zum Doktor der Medizin 1988
  • Weiterbildung zum Facharzt für Strahlentherapie
  • Habilitation an der Universität Hamburg 1994
  • Seit 2001 Professor für Radioonkologie an der Technischen Universität Dresden
  • Seit 2016 Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Stiftungsvorstand des DKFZ in Heidelberg
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