Finanzierungsfrage

Die SPD will Eigenanteile bei den Pflegekosten deckeln

Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks (SPD) stößt eine neue Reformdebatte an: Weil die Heimkosten steigen, rutschen mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe. Jetzt regt Hamburg einen Systemwechsel bei der Finanzierung an.

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Ist noch genug übrig für einen Pflegeplatz? Das fragen sich viele alte Menschen.

Ist noch genug übrig für einen Pflegeplatz? Das fragen sich viele alte Menschen.

© Alexander Raths / Fotolia

HAMBURG/BERLIN. Die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) plädiert dafür, den finanziellen Eigenanteil der Pflegebedürftigen zu deckeln. "Alle künftigen Leistungen und Kostensteigerungen sollen durch die Pflegeversicherung abgedeckt werden. Das ist eine Umdrehung des Prinzips, das wir bislang in der Pflege haben", sagte die Senatorin dem "Hamburger Abendblatt".

Nicht festlegen wollte sich Prüfer-Storcks, ob sie diesen Vorstoß mit einer Bundesratsinitiative flankieren will oder ob sie erst Verhandlungen mit der Union auf Bundesebene den Vorzug gibt. Hamburg Gesundheitssenatorin erinnerte, dass die "Beiträge ohnehin steigen". Ihr Ziel sei es dabei, dass die "Pflege so weit wie möglich solidarisch finanziert wird".

Prüfer-Storcks, die für ihren Vorstoß Rückendeckung von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat, greift damit vorhandene Reformideen von Wissenschaftlern auf. Hintergrund ist der "Teilkasko"-Charakter der sozialen Pflegeversicherung. Das Risiko hoher und gegebenenfalls über Jahre zu tragender Kosten liegt bei dieser Konstruktion komplett beim Versicherten.

Drei von vier Frauen betroffen

Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang verweist darauf, dass das Risiko, im Lebenslauf pflegebedürftig zu werden, bei Männern bei über 50 Prozent liegt, bei Frauen über 75 Prozent. Die 1994 eingeführte Pflegeversicherung gibt auf dieses allgemeine Lebensrisiko keine adäquate Antwort mehr – künftig werden immer mehr Versicherte ihren einmal erreichten Lebensstandard nicht mehr halten können. Der Sozialstaat könne dieses Versprechen bei Krankheit und Alter dem Grunde nach garantieren, bei der Pflege aber nicht, so Rothgang. Inzwischen beziehe wieder jeder dritte Heimbewohner Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII.

Ein Jahr nach Etablierung der neuen fünften Säule der Sozialversicherung lag der durchschnittliche Eigenanteil im Falle einer Versorgung im Heim bei 77 Euro monatlich, im vergangenen Jahr waren es bereits 587 Euro. Den Eigenanteil in der häuslichen Pflege gibt Rothgang mit 125 Euro pro Monat an.

Regional kann die Belastung der Versicherten noch deutlich höher ausfallen, hat die Bundesregierung im April auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag erklärt. Auf Basis der Zahlen aus dem Jahr 2015 ergab sich, dass die monatlichen Eigenanteile für Versicherte im Pflegeheim in Berlin mit durchschnittlich 829 Euro am höchsten gewesen sind. Am niedrigsten fielen die Kosten in Thüringen aus (171 Euro).

Eigenanteil höher als die Rente

Den höchsten Wert überhaupt hat vor drei Jahren das Saarland verzeichnet: Versicherte der – damaligen – Pflegestufe III mussten dort 1352 Euro zuzahlen. Zum Vergleich: Eine Standardrente nach 45 Versicherungsjahren belief sich im Jahr 2016 netto – vor Steuern – auf 14.367 Euro pro Jahr oder 1197 Euro monatlich. Hält dieser Trend an, würde der Anteil der Rentner, die Hilfe zur Pflege beantragen müssen, zunehmen.

Vor diesem Hintergrund schlägt Prüfer-Storcks vor, das individualisierte Kostenrisiko aufzuheben und auf einen pauschalen Eigenanteil zu begrenzen. Durch diesen Systemwechsel würden die beiden bisher unkalkulierbaren Dimensionen des Kostenrisikos eliminiert: die unbekannte individuelle Dauer der Pflegebedürftigkeit und die unbekannte Höhe der Selbstbeteiligung pro Periode, schreibt Rothgang in einem Gutachten, das er im Vorjahr für die "Initiative Pro-Pflegereform" vorgelegt hat.

Hinzu kommt angesichts der Reformkaskade der vergangenen Legislatur, dass sich im bisherigen Modell Qualitätsverbesserungen als zusätzliche Belastung für Versicherte niederschlagen. Falls sich eine politische Mehrheit für diesen Vorschlag finden sollte, wird die Bestimmung des Sockels, den Versicherte zu zahlen hätten, ein Politikum ersten Ranges sein.

Unterdessen sind die Beitragszahler bereits darauf eingestimmt, dass sie kommendes Jahr für die Pflegeversicherung mehr bezahlen müssen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat am Wochenende angekündigt, dass der Beitrag noch stärker angehoben werden muss – um 0,5 Prozentpunkte. Derzeit liegt der Satz bei 2,55 Prozent des Bruttoeinkommens, Kinderlose zahlen 2,8 Prozent. (fst)

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