Arzneimittel-Produktion

EU will raus aus der Abhängigkeit

Die Coronavirus-Pandemie hat den Souveränitätsverlust bei Arzneimitteln klar offenbart, betont der Umweltausschuss im EU-Parlament – und fordert: Es müssen Konsequenzen daraus gezogen werden.

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Ein Berg von Medikamenten: Gesundheitspolitiker der EU wollen raus aus der einseitigen Abhängigkeit von pharmazeutischen Produktionsstätten in China und Indien.

Ein Berg von Medikamenten: Gesundheitspolitiker der EU wollen raus aus der einseitigen Abhängigkeit von pharmazeutischen Produktionsstätten in China und Indien.

© Gundolf Renze / stock.adobe.com

Brüssel. Es ist der vielleicht eindringlichste Alarmruf, den ein Gremium der Europäischen Union je ausgelöst hat. „Der Bereich der öffentlichen Gesundheit hat sich zu einer geostrategischen Waffe entwickelt, mit der ein ganzer Kontinent in die Knie gezwungen werden kann. Unser Souveränitätsverlust offenbart sich im Rahmen dieser Pandemie ganz klar.“

Dies sind Sätze aus dem Beschluss des Umweltausschusses im EU-Parlament. Das Ziel: Aus der auch schon vor dem COVID-19-Ausbruch herrschenden Knappheit von Medikamenten lernen und Konsequenzen ziehen.

Raus aus der Abhängigkeit

Welche das sein könnten, wird nun in ersten Umrissen klar: Die Gesundheitspolitiker der Gemeinschaft wollen raus aus der einseitigen Abhängigkeit von pharmazeutischen Produktionsstätten in China und Indien. „Insbesondere kostengünstige, einfach herstellbare chemische Stoffe sowie sogenannte ‚ausgereifte‘ Arzneimittel sind nicht lieferbar oder von Lieferengpässen betroffen“, heißt es in dem Papier. „Zwischen 2000 und 2018 hat sich ihre Zahl verzwanzigfacht und seit 2008 verzwölffacht.“

In einem ersten Schritt soll die Herstellung „diversifiziert“ werden, wie der Arzt und CDU-Europa-Abgeordnete Peter Liese erklärt: „Es kann nicht sein, dass die Arzneimittelversorgung für schwerkranke Patienten von einer einzigen Fabrik in China oder Indien abhängt. Ebenso wenig darf es sein, dass wir von einer Fabrik in Europa abhängig sind, deren Produktion ja auch ausfallen könnte.“

Eine Produktionsstätte muss in Europa sein

Die Forderung des Ausschusses: Bei den Ausschreibungen durch die Krankenkassen oder die staatlichen Gesundheitssysteme müssen künftig auch andere Kriterien einbezogen werden und nicht nur der Preis. So sollen mindestens zwei Produktionsstätten für die Ausgangssubstanz bereitstehen, wovon eine in Europa sein muss.

Wenn der Beschluss vom Dienstag des Ausschusses im September ins Plenum geht, ist nicht mit Widerstand zu rechnen. Und auch von Seiten der Kommission dürfte es Unterstützung geben.

Gleichlautende Forderungen beinhaltet darüber hinaus das Arbeitsprogramm der deutschen Ratspräsidentschaft. Die Frage scheint nur: Wie schnell kann die EU auf das reagieren, was die Coronavirus-Krise an Problemen verschärft hat?

Kommission will grenzüberschreitende App

Bei der für Mittwoch erwarteten Kommunikation der Europäischen Kommission wird das Thema zwar angesprochen, aber – zumindest ersten Verlautbarungen zufolge – nicht so gründlich behandelt wie vom Umweltausschuss der Abgeordnetenkammer. Die EU-Behörde will die Mitgliedstaaten vor allem zu systematischen Tests aufrufen und sich gleichzeitig für eine grenzüberschreitende App zur Identifizierung der Infektionsketten aussprechen.

Konkret geht es darum, die vielen nationalen Handy-Apps auf einem Nichtregierungsserver in Deutschland zusammenzuführen, um dann dort Informationen auszutauschen und Warnungen zu verschicken. Ob mit diesem Vorhaben die unterschiedlichen Empfindlichkeiten der nationalen Regierungen überwunden werden kann, scheint jedoch noch offen.

Allerdings werden in Brüssel Erfahrungen mit Brennpunkten wie Ischgl oder möglicherweise – wie befürchtet – demnächst Mallorca als Begründung dafür genannt, den Funktionsumfang der vorhandenen Apps endlich europäisch zu erweitern.

150 Forscherteams auf der Suche nach Impfstoff

Der Europa-Politiker Liese zeigte sich am Dienstag vor allem zufrieden mit dem Stand der Forschung nach geeigneten Impfstoffen. Laut offiziellem Stand arbeiten derzeit 150 Forscherteams an geeigneten Präparaten.

17 haben bereits Zusagen für klinische Prüfungen – davon zwei in Deutschland. „Das haben wir noch nicht erlebt“, hieß es Liese zufolge staunend aus der Chefetage der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). (ded)

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