Patientenwohl und Ökonomie

Ein Spagat, der den Dialog fordert

Ärzte und Arzneihersteller im Spagat zwischen ethischer Verpflichtung zur Patientenversorgung und der Notwendigkeit zum ökonomischen Handeln – das erfordert den offenen Dialog, so der Medizinethiker Professor Giovanni Maio.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Am Ende hängt alles am Geld und an Incentives – oder doch nicht so sehr?

Am Ende hängt alles am Geld und an Incentives – oder doch nicht so sehr?

© Gernot Krautberger / Stock.Adobe.Com.

BERLIN. Ärzte und ihre Partner im Gesundheitswesen leben nicht in einem konfliktfreien Raum und können sich auch nicht durch Abschottung voneinander in eine konfliktfreie Zone retten. Das Konfliktpotenzial für Ärzte ist bestimmt vom professionellen Versprechen, dem Patientenwohl zu dienen; vom forscherischen Erkenntnisinteresse, das dem Patientenwohl dienen kann, aber nicht muss – Stichworte Fremdnützigkeit, Karrierestreben –, und nicht zuletzt von der Notwendigkeit, mit ärztlicher Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen.

Derartige Interessenkonflikte, sagte der Freiburger Medizinethiker Professor Giovanni Maio anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Vereins Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen in Berlin, lassen sich nicht eliminieren, sondern bestenfalls minimieren – durch Wertebildung und Regelwerke zur Compliance, die eines ständigen Dialogs der Beteiligten bedürfen.

Bei der Abwägung divergierender Interessen, so Maio, stehe das Wohl des Patienten "über allem". Denn der Patient müsse "unabdingbar" auf seinen Arzt vertrauen können, weil er sich als kranker Mensch meist in einer Situation der Angewiesenheit und der Asymmetrie befinde, also in besonderer Weise schutzbedürftig sei. Es mache den sozialen Charakter des Arztberufs aus, sich grundsätzlich als Anwalt des Patienten zu verstehen.

Ein Interessenkonflikt trete dann auf, wenn die Gefahr bestehe, dass der Arzt durch andere Verpflichtungen (oder auch Anreize) dazu verleitet werden könnte, das Interesse des Patienten hinter sein eigenes zu stellen. Derartige Risiken sieht Maio ausdrücklich in allen gebräuchlichen Vergütungssystemen im deutschen Gesundheitswesen: die Gefahr der Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung etwa durch Regelleistungsvolumina, die Tendenz zu Überversorgung durch die Einzelleistungsvergütung in der GOÄ, im Krankenhaus schließlich durch Bonifizierung bei Erreichen bestimmter ökonomischer Ziele (Kapazitätsauslastung, Fallzahlsteigerung). Allerdings warnte Maio davor, Feindbilder aufzubauen, etwa das der erwerbsgetriebenen Pharma-Industrie oder das des blinden Forscherdrangs.

Maio forderte die Arzneimittelhersteller auf, Medikamente nicht als reine Marktprodukte zu betrachten, sondern auch ihre gemeinwohlorientierte Funktion in die Unternehmenspolitik einzubeziehen und die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sozialpolitisch sicherzustellen. Dabei müsse anerkannt werden, dass Forscherdrang ebenso wie das Gewinninteresse Motoren einer Versorgungsverbesserung sein können. Den Ausgleich dieser teils widerstrebenden Interessen könnten nicht allein Gesetze bewirken wie das vor zwei Jahren in Kraft getretene spezielle Strafrecht gegen Korruption im Gesundwesen (Paragrafen 299 a und b Strafgesetzbuch). Notwendig sei auch ein Dialog unter den Beteiligten, in dem ausgelotet werde, wo die Grenze zu unverhältnismäßiger Beeinflussung ärztlicher Entscheidungen gezogen werden müsse.

Bereits lange vor Inkrafttreten der Rechtsänderungen haben Ärzte in ihrem Berufsrecht und Arzneimittelhersteller in Kodizes, deren Einhaltung Organisationen wie Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen kontrollieren und gegebenenfalls sanktionieren, für sich selbst Regelwerke geschaffen. Diese Regelwerke, so das Plädoyer des Medizinrechtlers Professor Martin Schulz, bedürfen der Ergänzung durch ein Compliance-Management in den Unternehmen, das nicht allein auf Prozesse und Systeme ausgerichtet sei, sondern die Mitarbeiter in den Mittelpunkt stelle. Maßgeblich seien vorbildliches Verhalten der Unternehmensleitung, die Formulierung von Werten zur Orientierung der Mitarbeiter, Schulung und die Möglichkeit vertraulicher Kommunikation. Die Unternehmensberaterin Dr. Katharina Weghmann (Ernst & Young) sieht, ausgehend von Initiativen in den USA, enorme Fortschritte bei der Sensibilisierung für Interessenkonflikte. Der Ausgestaltung von Incentives komme dabei eine große Bedeutung zu – mit der Tendenz, sie abzuschaffen und sie durch eine intrinsische Motivation zu guter Leistung zu ersetzen.

Dazu der Kommentar eines Vertreters aus der Medizintechnik-Industrie in operativer Verantwortung: "Am Ende hängt alles am Geld und an Incentives. Wir stellen aber auch fest: Zwei Jahre nach Einführung der Paragrafen 299a und b StGB gibt es keine Anklage und kein Urteil."

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