Organspende

Ein neuer Negativrekord

Trauriger Tiefstand: Auch im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspenden gesunken. Der Trend hält nicht nur an - er durchbricht sogar historische Negativmarken. Die Folgen eines Skandals werden zum richtigen Problem.

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Kommt ein Organ in die Klinik ... das Bild wird seltener in der Republik.

Kommt ein Organ in die Klinik ... das Bild wird seltener in der Republik.

© Mathias Ernert

FRANKFURT/MAIN. Für die Transplantationsmedizin ist es der Skandal nach dem Skandal: Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist auf einen neuen Tiefpunkt gesunken.

Nach jüngsten Zahlen haben im vergangenen Jahr nur noch 876 gestorbene Menschen Organe gespendet (minus 16,3 Prozent). Das geht aus vorläufigen Zahlen des Jahresberichts 2013 der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) hervor, die am Mittwoch in Frankfurt veröffentlicht wurden.

Die Bundesrepublik hat damit im Vergleich mit den letzten 23 Jahren einen absoluten Negativrekord erreicht. Selbst bei Inkrafttreten des Transplantationsgesetzes (TPG) im Jahr 1997 lag die Zahl mit 1079 Spendern deutlich höher. Auch in den Jahren zuvor (seit 1991) hatte es noch nie weniger als 1013 Spender gegeben.

Deutschland rutscht damit im internationalen Vergleich weiter ab. Mit 10,9 Spenden pro einer Million Einwohner befindet sich die Republik nur noch in der unteren Hälfte der Rangliste, in Nachbarschaft zur Slowakei und Weißrussland.

Spitzenreiter mit über 30 Spenden pro Million bleiben Kroatien, Spanien, Belgien oder die USA, wo ähnlich wie in Deutschland eine Zustimmungsregelung gilt.

Die DSO sprach von einer "erschütternden Jahresbilanz". "Diese Entwicklung betrachten wir mit großer Sorge", sagte DSO-Interimsvorstand Dr. Rainer Hess. BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery vermutet: "Der Transplantationsskandal hat das Vertrauen in die Transplantationsmedizin erschüttert."

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Wir müssen beharrlich bleiben." Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte: "Die Zahlen (...) offenbaren, dass die DSO in 30 Jahren ihres Bestehens hier auf ganzer Linie versagt hat."

Der neuerliche Einbruch bei den Spenderzahlen kommt für manche Fachleute nicht ganz unerwartet, erschreckt hat er sie dennoch. Schon im Jahr 2012 war die Spenderzahl auf 1200 auf 1046 abgerutscht.

Der Absturz im Jahr 2013 fällt mit 16,3 Prozent sogar noch höher aus als zunächst angenommen. Ende des vergangenen Jahres war im Vergleich der Zeiträume Januar bis Oktober von einem Rückgang um 15,5 Prozent die Rede.

Die DSO spricht nun davon, dass es im August und November vergangenen Jahres bundesweit weniger als 60 Organspenden gab. Das drückt den Schnitt enorm. Zum Vergleich: In den Vorjahren lag der monatliche Spenderschnitt bei 100. Die Ursachen für die Unterschiede sind unklar.

Unterschiede zeigen sich denn auch regional: Zwar gab es in Baden-Württemberg absolut die wenigsten Spender (98), anteilsmäßig ist die Zahl allerdings in Bayern um 23,9 Prozent am stärksten gesunken (von 155 auf 118 Spender). Auch im Freistaat gab es mutmaßlich Verfehlungen.

Diese Skandale, vor allem in Göttingen, aber auch Leipzig, München, Regensburg und zuletzt Münster, gelten mindestens als mitursächlich für den Negativtrend. Vor allem die Vorfälle am Uniklinikum Göttingen haben ein Schlaglicht auf die Transplantationsmedizin geworfen.

"Diese Zahlen zeigen, dass das Vertrauen in die Transplantationsmedizin durch die Skandale stark erschüttert worden ist, das bewegt mich", sagte Gesundheitsminister Gröhe der "FAZ". Er kündigte an, dass die Regierung weiter "über die Organspende sachlich aufklären und für die Organspende werben" wolle.

Doch ob sie kurzfristig den Trend umkehren kann, ist fraglich. Die Bürger scheinen bis ins Mark erschüttert zu sein. Zwar sind nach einer Erhebung aus dem Jahr 2012 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 70 bis 80 Prozent der Bundesbürger bereit, Organe zu spenden. 98 Prozent wissen sogar, dass es Organspendeausweise gibt - doch nur 22 Prozent besitzen selbst einen.

Doch selbst dieser Anteil macht nur einen geringen Anteil an den tatsächlichen Spendern aus. Die DSO sprach im Herbst von 14,3 Prozent aller Zustimmungen, die auf einen Spendeausweis zurückgehen. Der überwiegende Anteil geht auf den vermuteten Willen, den mündlichen Willen oder die Zustimmung durch Angehörige zurück.

Die Ende 2012 eingeführte "Entscheidungslösung" sollte das ändern. Die Krankenkassen müssen seitdem Aufklärungsmaterial und Spendeausweise versenden. Und just in dieser Zeit kamen die Transplantationsskandale ans Licht - mit den jetzt zu besichtigenden Folgen.

Der ehemalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag und vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge vor.

BÄK-Chef Montgomery vermutet, dass auch von diesem Prozess eine Negativwirkung ausgeht. "Solange dieser Prozess (...) läuft (...), solange ist in der Öffentlichkeit auch nicht zu erwarten, dass der Zweifel und dass die Unsicherheit weggehen", sagte er am Mittwochmorgen im "Deutschlandfunk".

Er wünsche sich, dass der Prozess "bald mit einem klaren Urteil" zu Ende gehe. Es sei "quälend" mit anzusehen, "wie dieser Arzt sich dort darstellt, fast wie der Chef einer großen Bank mit Victory-Zeichen", so Montgomery.

Und so herrscht offenbar auch unter Ärzten Verunsicherung - vor allem an der Basis. Das zeigt sich schon bei den abnehmenden Spendermeldungen und auch bei weniger Neuanmeldungen auf den Wartelisten.

Bereits im Jahr 2012, als die Verfehlungen bekannt geworden waren, war die Zahl der Anmeldungen von Patienten auf die Wartelisten um sieben Prozent in Deutschland eingebrochen. Ein Jahr später, im Jahr 2013 waren es laut Eurotransplant sogar 15 Prozent weniger Anmeldungen gegenüber dem Vorjahr.

Noch deutlicher wird das Bild bei den Abmeldungen von der Eurotransplant-Warteliste für eine Lebertransplantation. Die bekannt gewordenen Transplantationsskandale waren bekanntlich ausschließlich Probleme in Leberzentren.

Laut Eurotransplant wurden im vergangenen Jahr 23 Prozent mit der Angabe "Genesen" oder "Sonstiges" von der Warteliste genommen. In den Jahren 2011 und 2012 waren es neun beziehungsweise 13 Prozent gewesen.

Den Grund dafür können nur die jeweiligen Zentren erklären. Doch Experten aus der Transplantationsmedizin hegen bereits eine Vermutung: Häufiger würden Neuanmeldungen hinterfragt. Die Ärzteschaft ist nach den Skandalen offenbar wachsamer geworden.

Gesunken ist im vergangenen Jahr auch die Zahl der postmortal entnommenen Organe - ebenfalls auf ein Allzeittief. Die DSO spricht von 3034 Entnahmen, gibt allerdings zu bedenken, dass alle Zahlen für 2013 noch vorläufig sind.

Damit würde 2013 sogar 1996 unterbieten: Damals wurden 3089 postmortal gespendete Organe transplantiert. Nur im Jahr zuvor (1995) war die Zahl mit 2997 niedriger gewesen.

Im Jahr 2013 wurden außerdem deutlich weniger Organe aus dem Eurotransplant-Verbund in Deutschland verpflanzt - 3247 versus 3706 Organe im Jahr 2012. (nös)

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