Ärzte an SPD

GKV ist schuld an Zwei-Klassen-Medizin

Was genau will die SPD in den Koalitionsverhandlungen erreichen? Am Tag nach dem Parteitagsbeschluss reagieren die Ärzte mit konstruktiver Kritik auf neue Trippelschritte Richtung Bürgerversicherung.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Delegierte stimmen beim SPD-Parteitag am Sonntag ab. Viele hoffen in der Gesundheitspolitik auf Nachbesserungen.

Delegierte stimmen beim SPD-Parteitag am Sonntag ab. Viele hoffen in der Gesundheitspolitik auf Nachbesserungen.

© Berg/dpa

BERLIN. Die SPD will laut dem Beschluss des Parteitages vom Sonntag "das Ende der Zwei-Klassen-Medizin" einleiten. Die Ärzteschaft hat am Montag darauf reagiert und fordert ihrerseits ein Ende der Budgetierung, vor allem von ärztlichen Grundleistungen, und ein Ende des Denkens in Quartalen.

Begriffe wie Bürgerversicherung, einheitliche Gebührenordnung und Wartezeiten kommen in dem Beschlusstext nicht vor. Abgestimmt haben die 600 Delegierten plus die 45 Mitglieder des Vorstands über folgende Formulierung: "Wir wollen das Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten. Dazu muss sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patientinnen und Patienten und nicht nach ihrem Versicherungsstatus richten. Hierzu sind eine gerechtere Honorarordnung, die derzeit erhebliche Fehlanreize setzt, sowie die Öffnung der GKV für Beamte geeignete Schritte."

Im Verlauf der Debatte am Sonntagnachmittag hatte die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles allerdings angekündigt, dass man über Themen wie die Bürgerversicherung in den Koalitionsgesprächen verhandeln werde, "bis es quietscht".

Vor ideologiegeleiteten Forderungen nach Pseudoreformen hat daraufhin der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery, gewarnt. Die stellten die enorme Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland in Frage, sagte Montgomery am Montag der „Ärzte Zeitung“.

Honorarsystem der GKV am Pranger

Nicht die PKV, sondern die gesetzliche Krankenversicherung sei der Auslöser von langen Wartezeiten für Patienten am Quartalsende. Sie sei damit verantwortlich für vermeintliche Klassenunterschiede zwischen privater und gesetzlicher Versicherung, meldete sich der Vorsitzende des rund 70.000 Mitglieder starken Hartmannbundes, Dr. Klaus Reinhardt, zu Wort. Für unterschiedliche Entwicklungen bei der Terminvergabe seien "maßgeblich im Honorarsystem der GKV implementierte Fehlsteuerungen" verantwortlich. "Die pauschalierte Bezahlung ärztlicher Leistungen in Quartalen unter dem Deckel eines begrenzten Budgets generiert unnötige Patientenkontakte und führt nicht nur gegen Ende des Quartals zu Terminengpässen", sagte Reinhardt der "Ärzte Zeitung". Abhelfen könne eine Umstellung auf zum Beispiel halbjährliche Abrechnung. Reinhardt leitet den Gebührenordnungsausschuss der Bundesärztekammer.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Koalitionsverhandlungen – Wird das Paket wieder aufgeschnürt?

In einer ersten Reaktion auf die Ereignisse beim SPD-Sonderparteitag hat KBV-Chef Dr. Andreas Gassen vor "gefährlichen Experimenten" gewarnt. Das Beispiel England zeige aktuell sehr drastisch, wohin staatlich definierte Einheitsvergütungen und Bürgerversicherungen führen, teilte Gassen am Montagvormittag mit. In Deutschland hätten alle Bürger unabhängig vom Versicherungsstatus Zugang zu neuesten medizinischen Verfahren. Es sei eine Zumutung für Ärzte und gesetzlich Versicherte, dass 10 bis 20 Prozent der ärztlichen Leistungen aufgrund des Budgetdeckels nicht vergütet würden.Dies auszugleichen wäre angesichts der guten Kassenlage ohne Beitragserhöhungen möglich.

Unterstützung aus der Opposition

Schützenhilfe erhielten die Ärzte von der Opposition im Bundestag. Eine Vereinheitlichung der Honorare von gesetzlicher und privater Versicherung führe zu steigenden Kosten, warnte die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus. "Zum Vorteil aller Patienten muss stattdessen endlich die Budgetierung bei grundversorgenden Haus- und Fachärzten abgeschafft werden. Alles andere ist eine Mogelpackung", so Aschenberg-Dugnus.

"Die unterschiedlichen Wartezeiten auf einen Arzttermin von gesetzlich- und privatversicherten Patienten zu beenden, wäre ein echter Fortschritt", sagte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretenden Vorsitzender des GKV-Spitzenverbands. Wenn einheitliche Honorierung bedeute, dass die gesetzlichen Krankenkassen mehr bezahlen müssten und die privaten Krankenversicherungen weniger, dann lehne der Kassenverband dies ab.

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa) griff in einer Stellungnahme am Montag die Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen von Union und SPD vom 12. Januar auf. Es sei ein großer Schritt in die Zukunft, dass die drei beteiligten Parteien die steuerliche Forschungsförderung in Deutschland einführen wollten, sagte vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer.

SPD-Parteitag und GroKo-Fahrplan

  • Mit 362 zu 279 Stimmen bei einer Enthaltung hat der SPD-Parteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt.
  • Zieht man die 45 Stimmen des SPD-Vorstands ab, haben nur 38 der 600 Delegierten mehr für die GroKo gestimmt als dagegen.
  • Die Koalitionsgespräche sollen im März abgeschlossen sein, lauten erste Pläne.
  • Im Anschluss stimmt die SPD-Basis, ca. 440.000 Mitglieder, über das Ergebnis ab.
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