Kindervorsorgen

Gelbe Hefte sind viel zu oft ein Datengrab

Wissenschaftler haben die Gelben Hefte unter die Lupe genommen. Ihr Befund fällt kritisch aus. Für eine nachträgliche Evaluation taugen sie angesichts der Datenlücken kaum.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Hörtest bei einer Vierjährigen anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U8.

Hörtest bei einer Vierjährigen anlässlich der Vorsorgeuntersuchung U8.

© Patrick Pleul/dpa

LEIPZIG. Die Gelben Vorsorgehefte haben seit 1971 schon Generationen von Eltern begleitet. Ein Forscherteam um Professor Wieland Kiess vom Zentrum für pädiatrische Forschung des Uniklinikums Leipzig hat die Hefte von 3480 Probanden ausgewertet.

Die Schlussfolgerungen, die die Autoren kürzlich in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift dokumentiert haben, fallen kritisch aus (DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0043-100841, Dtsch Med Wochenschr 2017; 142: e42-250): Aus den in den Gelben Heften dokumentierten Befunden lasse sich die Prävalenz von Krankheiten nicht ableiten. Häufig verzichteten Ärzte auch auf die geforderte Angabe der ICD-Codes. Im Bemerkungsfeld der Hefte werde zudem häufig nicht zwischen Verdachts- und gesicherter Diagnose unterschieden.

Nicht standardisierte Untersuchungen führen zu differenten Ergebnissen. "Werden diese dann auch noch lückenhaft dokumentiert, sind die Angaben für eine nachträgliche Evaluation unbrauchbar", lautet der Befund der Forscher. Sie erinnern an ähnliche Versuche des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in den 90er Jahren, die Ergebnisse der Gelben Hefte zu evaluieren –  diese seien wegen unplausibler Ergebnisse eingestellt worden.

Schon bei Sechsjährigen fallen Unterschiede auf

Für die aktuelle Studie wurden zwischen 2011 und 2016 rund 3480 Probanden gewonnen, von denen knapp 91 Prozent ein Gelbes Heft vorlegten. Mit hohem Aufwand wurden die Hefte gescannt und in eine digitale Eingabemaske übertragen. Geschultes Personal wertete die oft schwer lesbaren Handschriften der Ärzte aus, den Zeitbedarf geben die Autoren mit 20 Minuten je Heft an. Zusätzlich erhoben die Forscher Kenngrößen zum Sozialstatus des Kindes und der Eltern eines Fragebogens. Anhand dieser Daten wurden die Kinder nach dem sogenannten Winkler-Index nach dem Sozialstatus in "niedrig", "mittel" und "hoch" eingruppiert.

Bis zur Vorsorgeuntersuchung U 3 stellten über alle Sozialschichten hinweg fast alle Eltern ihre Kinder dem Pädiater vor. Doch schon bei Sechsjährigen geht die Schere auf: Die U 9 wurde noch von 92,4 Prozent der Kinder aus der hohen Sozialschicht in Anspruch genommen, bei weniger privilegierten Eltern waren es nur noch 83 Prozent der Kinder. Dass der sozioökonomische Status der Familie die Inanspruchnahme der Kindervorsorgen prägt, ist ein aus der KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts bekannter Befund.

Am Beispiel von Sprachentwicklungs- oder Hör- und Sehstörungen verdeutlichen die Wissenschaftler die Schwächen der Dokumentation in den Gelben Heften: So wurden beispielsweise bis zur U 7 in allen Sozialschichten praktisch keine Hörstörungen dokumentiert, ab der U 8 kam es zu einem abrupten Anstieg. Über die Ursachen könne man nur "mutmaßen", heißt es in der Studie.

Es mangelt an Standards

Als problematisch wird auch angesehen, dass Screeninginstrumente nicht standardisiert sind: "Da im Gelben Heft nicht angegeben wird, auf welchen Tests die Gesundheitsstörung beruht, kann im Nachhinein aus der Dokumentation auf keine Fehlerquelle geschlossen werden."

Die novellierte Kinderrichtlinie, die im September 2016 in Kraft getreten ist, habe nur teilweise Verbesserungen gebracht, etwa bei der Beschreibung von Untersuchungsmethoden für das Sehvermögen. Doch eine Standardisierung sei damit noch nicht erreicht worden. Die Wissenschaftler fordern, klar zu definieren, "welche Informationen in welcher Form ins Gelbe Heft gehören".

Hoffnungen setzen die Autoren auf die Qualitätsüberprüfung, die mit der Neufassung der Kinderrichtlinie ins Pflichtenheft geschrieben wurde. Spätestens zwei Jahre nach ihrem Start – also 2018 – soll ein unabhängiges wissenschaftliches Institut evaluieren, ob Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern rechtzeitig entdeckt und behandelt werden.

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