Staatssekretär Laumann

"Geld alleine pflegt nicht!?"

Nach den Pflegereformen geht es in die Mühen der Umsetzung. Für Staatssekretär Karl Josef Laumann ist die größte Herausforderung der Branche, ausreichend Personal zu gewinnen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Helfen beim Aufstehen: Wie können Pflegekräfte gewonnen werden?

Helfen beim Aufstehen: Wie können Pflegekräfte gewonnen werden?

© Tack / AOK

Ärzte Zeitung: Herr Staatssekretär Laumann, rund 45.000 Betreuungskräfte arbeiten inzwischen in den Pflegeheimen. Es gibt Berichte, dass sie in die Abläufe der Heime eingebunden werden. War das so geplant?

Karl Josef Laumann: Ich habe einige wenige Briefe von Betreuungskräften erhalten, die mir das in etwa berichteten. Das Problem ist, dass diese Post oft anonym ist. Das heißt auch, die Absender nennen uns nicht offen Ross und Reiter. Ich habe den GKV-Spitzenverband aufgefordert, diese Vorgänge zu prüfen und Möglichkeiten aufzuzeigen, was man gegen ein solches Vorgehen tun kann. Die zusätzlichen Betreuungskräfte werden direkt von der Pflegeversicherung bezahlt. Sie belasten nicht die Budgets der Heime. Und sie sollen für die Betreuung der Bewohner da sein und nicht regelhaft für hauswirtschaftliche oder pflegerische Leistungen eingesetzt werden. So will es der Gesetzgeber. Das darf nicht einreißen.

Ärzte Zeitung: Was wird der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, der seit Januar in Kraft ist, für die Arbeitsbedingungen in den Heimen bedeuten?

Karl-Josef Laumann (CDU) Aktuelle Position: Seit 2014 Bevollmächtigter der Bundes- regierung für Patientenrechte und Pflege

Karl-Josef Laumann (CDU) Aktuelle Position: Seit 2014 Bevollmächtigter der Bundes- regierung für Patientenrechte und Pflege

© Mike Wolff / dpa

Laumann: Was den Pflege- und Betreuungsaufwand angeht, werden die Menschen künftig gerechter eingestuft. Ich denke hierbei vor allem auch an diejenigen, die an Demenz erkrankt sind. Insgesamt stehen durch die Pflegereformen jetzt etwa fünf Milliarden Euro mehr für Pflegeleistungen zur Verfügung – und zwar pro Jahr.

Ärzte Zeitung: Eine aktuelle Umfrage unter Pflegefachpersonal kommt zu dem Ergebnis, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff den Arbeitsdruck in der stationären Pflege erhöht. Sind die Menschen in den Heimen künftig schwerer pflegebedürftig als heute?

Laumann: Man muss abwarten: Wer geht künftig ins Heim? Wie fallen die neuen Begutachtungen aus? Vor Überraschungen ist man da natürlich nie ganz sicher. Grundsätzlich bin ich aber davon überzeugt, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in der Tendenz deutlich mehr Personal in den Heimen bedeutet. Für höhere Pflegegrade benötigt man mehr Personal und damit andere Personalschlüssel. Im Zuge der Umsetzung des neuen Begriffs wurden auch in vielen Landesrahmenverträgen die Personalschlüssel angepasst. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel kann im Durchschnitt ein Heim mit 80 Betten jetzt mit einer Pflegefachkraft und einer Hilfskraft mehr arbeiten.

Ärzte Zeitung: Gibt es über das neue Begutachtungssystem eine Steuerung: kleinere Pflegegrade eher in die häusliche Pflege, um die Heime den schwereren Fällen vorzubehalten?

Laumann: Davon kann keine Rede sein. Wir haben die Pflegegrade ja nicht politisch festgelegt. Die haben die Pflegewissenschaftler in der Expertenkommission entwickelt. Egal welcher Pflegegrad: Wir verbieten ja keinem einzigen Pflegebedürftigen, ins Heim zu gehen. Die Pflegeversicherung muss ihre Leistungen dahin bringen, wo die Menschen leben wollen. Und zurzeit geht der Trend dahin, dass die Menschen möglichst lange zu Hause bleiben wollen.

Ärzte Zeitung: Sie sagen, schwerere Pflegegrade lösen mehr Personal aus. Eine Umfrage von Vincentz Network deutet darauf hin, dass mehr als 80 Prozent der in Heimen beschäftigten Menschen jetzt schon am Limit und mit schlechtem Gewissen arbeiten, weil pflegefachliche Standards nicht immer eingehalten werden können?

Laumann: Die Personalschlüssel werden in den Landesrahmenverträgen ausgehandelt. Da gibt es Unterschiede. Zwischen Bayern als Land mit dem besten Schlüssel und Sachsen mit dem schlechtesten liegen in etwa 25 Prozent. Und dennoch ist die Frage, ob die Pflegekräfte die bestmögliche Pflege leisten können, in beiden Ländern gleich präsent.

Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen: Ich finde es sehr bedenklich, dass wir eine Rechtsprechung haben, die es den Heimen erlaubt, zwischen sechs und acht Prozent unter der eigentlich abgemachten Personalausstattung zu arbeiten. Wenn das Schule macht, haben wir ein großes Problem. Schwankungen darf es nur in einem ganz kleinen Korridor geben. Wenn Personal fehlt, geht das auf die Knochen der übrigen Mitarbeiter.

Ärzte Zeitung: Warum gibt es keine einheitlichen Personalschlüssel?

Ich bin schon lange dabei. Aber so richtig weiß kaum einer, wie die Personalschlüssel zustande gekommen sind. Sie sind zwar das Ergebnis von Verhandlungen gewesen. Diese waren aber nicht ausreichend wissenschaftlich hinterlegt.

Das gilt auch für die Fachkraftquote von 50 Prozent in den Heimen. Die war gefühlt schon immer irgendwie da, auch schon zu Zeiten, als die Pflege noch aus der Sozialhilfe bezahlt wurde. Deshalb ist es auch zwingend notwendig, ein geeignetes Instrument zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs zu entwickeln und zu erproben. Der Gesetzgeber hat hier als Frist das Jahr 2020 gesetzt. Die wissenschaftlichen Gutachten, die wir dafür brauchen, sind vergeben. Ich bin als jemand, der die Geschichte der Pflegeversicherung von Anfang an verfolgt, sehr gespannt darauf, was dabei herauskommt. Das wird sicherlich eine ähnlich intensive Diskussion wie die bei der Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

Ärzte Zeitung: Warum das?

Heute ist es doch so, dass vor allem auf die Fachkraftquote abgestellt wird, sprich: 50 Prozent der Mitarbeiter ein Staatsexamen in der Pflege haben sollen. Ich kann mir aber auch andere Berufe bei der Ermittlung eines guten Personalschlüssels vorstellen. Heilerziehungspflege zum Beispiel, wie wir sie aus Behinderteneinrichtungen kennen, oder Physiotherapeuten. Außerdem muss klar sein: Wie soll die Assistenzausbildung, die mit dem Pflegeberufsgesetz kommen soll, in den Schlüsseln untergebracht werden?

Ärzte Zeitung: Warum ist die Debatte um die Personalschlüssel so bedeutend?

Wir werden die Herausforderungen in der Pflege nur mit genügend Personal bewältigen können. Ich sage es immer wieder: Geld alleine pflegt nicht. Unser Problem ist nicht die Finanzierung, sondern wie wir ausreichend Menschen dafür gewinnen, andere zu pflegen. Wir müssen die Pflegeberufe so gestalten, dass die Leute bereit sind, das über viele Jahre in ihrem Leben zu machen.

Ärzte Zeitung:

Es gibt den Verdacht, dass kriminelle Organisationen Lücken im Regelwerk der Pflegeversicherung ausnutzen, um sich zu bereichern. Was wird gegen den Betrug unternommen?

Wir reden über einen Bereich, wo sich die Betroffenen nicht wehren können. Und wir reden über einen Bereich, der hoch kostenintensiv ist. Wir haben deshalb richtigerweise entschieden, den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung bei der Intensivpflege, die ja in der Regel in Wohngruppen stattfindet, ein genauso starkes Kontrollrecht in der ambulanten Pflege einzuräumen wie in der stationären Pflege. Das ist überfällig gewesen. Der Gesetzgeber hat ursprünglich gewollt, dass Intensivpflege auch in häuslicher und familiärer Umgebung stattfinden kann. Wir müssen allerdings genau hinschauen, wie die Realität aussieht. Viele Pflegewohngruppen haben etwa die Betreuungseinrichtungen für Bewohner im Wachkoma abgelöst. Deshalb müssen wir schon genau hinsehen, wie die Qualität der Pflege in professionell organisierten Pflegewohngruppen ist. Da stellt sich zum Beispiel die Frage: Findet überhaupt ein Abtrainieren von künstlicher Beatmung statt, wie dies normalerweise in Facheinrichtungen geschieht? Die Kassen wären übrigens auch gut beraten, bei den Zuzahlungen für Betreuungseinrichtungen und für die Wohngruppen keine großen Unterschiede zu machen. Sonst wird es in diesem Bereich außer den Wohngruppen bald womöglich nichts mehr geben, weil die Familien sich die anderen Einrichtungen nicht leisten können.

Es gibt einen Graubereich der Betreuung zu Hause durch Pflegekräfte aus Osteuropa. Müsste hier mehr getan werden, um legale Beschäftigung zu erleichtern?

Es gibt bislang keine wirklich belastbaren Zahlen, wie viele osteuropäische Betreuungskräfte in den Familien sind. Einige Experten gehen von einer unteren sechsstelligen Zahl aus. Wenn das stimmen sollte, handelt es sich bei fast 2,9 Millionen Pflegebedürftigen, die Geld aus der Pflegeversicherung erhalten, um eine relevante Versorgungsform. Und natürlich spielt bei dem Thema auch die Frage der Schwarzarbeit eine Rolle.

Was muss das System tun?

Es ist kein arbeitsrechtliches Problem, EU-Ausländer einzustellen. Das geht über den direkten Arbeitsvertrag oder über Entsendeverträge. Beides ist legal. Wenn die Leute dann noch fair bezahlt werden und angemessen wohnen, ist dagegen nichts einzuwenden. Alles andere ist Schwarzarbeit und die ist schlichtweg illegal.

Das Pflegeberufsgesetz hängt fest. Kommt es noch in dieser Legislaturperiode?

Meine Einschätzung ist: Wenn es in dieser Legislatur nicht kommt, kommt es auch in der nächsten nicht. Dann packt das Thema erst einmal keiner mehr an. Das wäre für die Pflege ein herber Rückschlag, weil ich glaube, dass wir die einheitliche Ausbildung brauchen. Sie ist wichtig, damit wir für breite Schichten der nachwachsenden Generationen einen attraktiven Beruf haben. Kritiker des Pflegeberufsgesetzes sagen, man dürfe die Hauptschüler nicht für die Pflege verlieren. Das ist richtig. Das passiert auch nicht mit der einheitlichen Ausbildung. Andersherum wird doch ein Schuh daraus: Knapp 53 Prozent der Schüler schließen inzwischen die Schule mit Abitur oder Fachhochschulreife ab. Wenn ich die Pflegeausbildung nicht so gestalte, dass sie auch für diese jungen Menschen interessant ist, werden wir in Zukunft nicht genügend Pflegekräfte finden.

Was halten Sie von den Kompromissvorschlägen, die auf dem Tisch liegen?

Es sind verschiedene Wege denkbar. Wichtig ist, dass wir keine Talente für die Pflege verlieren und ein möglichst einheitlicher Berufsabschluss steht.

Der Innovationsfonds fördert nur wenige Projekte, die sich mit der Aufwertung der Pflegeberufe befassen. Ist das ein Manko?

Die Aufwertung der nichtakademischen Gesundheitsberufe muss meines Erachtens in der nächsten Legislaturperiode ganz weit obenauf der Tagesordnung stehen. Wir haben die Anforderungen an und die Qualifikation der nichtakademischen Berufe immer weiter angehoben. Was wir jedoch nicht gemacht haben, ist, mit der Qualifikation auch die Entscheidungskompetenzen zu verbessern. Dabei geht esauch nicht um ein Gegeneinander der verschiedenen Berufe. Im Gegenteil: Ich habe den Eindruck, dass es an der Basis mehr Miteinander gibt als unter den Funktionären.Das ist vielleicht eine Generationenfrage. Es gibt Bereiche, wo zum Beispiel die Pflege mehr Kompetenzen haben sollte, aber wenn wir uns in den Bereich medizinischer Behandlungen begeben, muss das Delegationsrecht am Ende natürlich beim Arzt liegen.

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