HIV - eine Infektion wird beherrschbar

Die Entdeckung des Aids-Erregers HIV Anfang der 1980er Jahre hat eine beispiellose Forschungsaktivität zur Suche nach antiretroviralen Medikamenten ausgelöst. Der Erfolg dieser Forschung: mit HIV Infizierte haben dank der modernen Arznei-Therapie eine ähnliche Lebenserwartung wie die übrige Bevölkerung.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
In den Anfängen der Pandemie entwickeltes HIV-Modell: Die moderne antiretrovirale Therapie hält das Virus in Schach.

In den Anfängen der Pandemie entwickeltes HIV-Modell: Die moderne antiretrovirale Therapie hält das Virus in Schach.

© dpa

Am Anfang der HIV-Pandemie 1981 stand der Kampf ums nackte Überleben. Sehr viele Patienten starben innerhalb weniger Monate an einer interstitiellen Pneumonie - wegen der erworbenen Immunschwäche konnte der Erreger nicht abgewehrt werden.

Lange unklar blieb, wie es bei diesen Patienten zur Lahmlegung des Immunsystems kommt. War es die Lebensweise der Patienten?

Auffallend war, dass ungewöhnlich viele der Betroffenen junge homosexuelle Männer waren, weshalb schon bald stigmatisierend von einer "Schwulenseuche" die Rede war.

Die sexuell übertragene Erkrankung wurde deshalb damals zunächst auch als GRID bezeichnet: Gay Related Immune Deficiency. Mit der Entdeckung des Aids-Erregers HIV war klar, dass es sich um eine sexuell übertragbare Infektionskrankheit handelt, die auch heterosexuell übertragen werden kann.

Panik in Bayern

Erstmals in Deutschland wurde die erworbene Immunschwächekrankheit Aids 1982 bei Patienten in Frankfurt am Main, München und Berlin diagnostiziert.

In der öffentlichen Diskussion über die neuartige Erkrankung gab es in Deutschland zwei konträre Positionen, erinnert sich der HIV-Therapeut Dr. Hans Jäger aus München im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Bayern sei damals ein Zentrum der Debatte gewesen. Der bayerische Staatssekretär Dr. Peter Gauweiler habe sehr pointiert für eine "isolationistische" Herangehensweise plädiert. Er setzte auf staatliche Zwangsmaßnahmen.

Die Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Professor Rita Süssmuth plädierte dagegen mehr für Aufklärung und "näherte sich HIV eher wissenschaftlich".

Nicht zuletzt durch die Kampagne "Gib Aids keine Chance" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung setzte sich der Aufklärungsgedanke durch - mit Erfolg.

Rasche Erforschung

Parallel dazu lief die Erforschung des Erregers und die Entwicklung probater Mittel dagegen auf Hochtouren. Innerhalb von zwei Jahren intensiver Forschung US-amerikanischer und französischer Virologen wurde der Erreger 1983 identifiziert.

Die französischen Wissenschaftler Professor Luc Montagnier und Professor Françoise Barré-Sinoussi wurden für die Entdeckung 2008 mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt.

Wie rasch die Entdeckung gelang, macht ein Vergleich deutlich: Das Hepatitis-C-Virus wurde erst 1989 als Erreger der Non-A-Non-B-Hepatitis identifziert. Diese Hepatitis-Variante tauchte bereits 1975 auf, als serologische Tests auf Hepatitis A und B entwickelt wurden.

Mit der Entdeckung von HIV schritt die Entwicklung eines ersten Präparates gegen HIV voran. Bereits im Oktober 1985 konnten US-Forscher belegen, dass Azidothymidin (AZT) den Aids-Erreger HIV wirksam bekämpft.

Und nur zwei Jahre später - im März 1987 war das erste HIV-Medikament als Retrovir®, entwickelt von Forschern des britischen Unternehmens Burroughs-Wellcome - heute in GlaxoSmithKline integriert -, zunächst in den USA für die Therapie verfügbar.

Beispiellose Forschung

Die Zulassung in Deutschland erfolgte Mitte 1987. Im Allgemeinen dauert es bekanntlich bis zu zehn Jahre, bis aus einem Pool von Forschungssubstanzen ein für die Therapie taugliches Mittel in der Praxis eingesetzt werden kann.

Auch wenn durch die Behandlung mit AZT das Virus nicht eliminiert werden konnte und sich schon bald Resistenzen dagegen entwickelten, ließ sich mit der Arznei die Sterberate bei Aids-Patienten verringern.

Und: Die Entwicklung von AZT war der Einstieg in eine beispiellose Forschungsaktivität und Entwicklung pharmakologischer Innovationen in der Infektiologie.

Bis heute - nur knapp 25 Jahre nach der Entwicklung von AZT gegen den Aids-Erreger - stehen HIV-Infizierten mehr als 20 antiretrovirale Medikamente zur Verfügung, die jeweils unterschiedliche Angriffspunkte im Infektionszyklus des Aids-Erregers haben.

Meilensteine in der HIV-Forschung

1981: Am 5. Juni wird der erste Bericht über eine Häufung der bis dahin seltenen Pneumocystis-carinii-Pneumonie - eine Aids-definierende Erkrankung - bei homosexuellen Männern publiziert.

1982: Die US-Zentren zur Seuchenkontrolle CDC prägen die Bezeichnung Aids. Das Akronym steht für "Acquired Immune Deficiency Syndrome", erworbene Immunschwächekrankheit.

1983/84: Ein Retrovirus wird als Auslöser der Immunschwächekrankheit von Forschern um Luc Montagnier und Robert Gallo entdeckt und später als HIV (humanes Immundefizienz- Virus) bezeichnet.

1985: Erste Internationale Aids-Konferenz in Atlanta im US-Staat Georgia. Erster Test zum Nachweis von Antikörpern gegen HIV von der US-Behörde FDA zugelassen.

1987: Erste antiretrovirale Arznei von der US-Behörde FDA zugelassen: Zidovudin (Azidothymidin (AZT), Retrovir®), ein nukleosidischer Hemmstoff des HIV-Enzyms reverse Transkriptase.

1995: Der erste Hemmstoff des HIV-Enzyms Protease wird in den USA von der FDA zugelassen: Saquinavir (Invirase®). Die Ära der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) beginnt.

1999: US-Forscher um Dr. Beatrice Hahn weisen anhand von genetischen Analysen nach, dass HIV-1 von einem Virus abstammt, das natürlicherweise Schimpansen in Afrika infiziert.

2006: Erstmals wird eine komplette HIV-Arznei - in den USA - als nur einmal täglich einzunehmende Tablette zugelassen: Atripla® - eine Fixkombi aus Efavirenz, Emtricitabin plus Tenofovir.

2008: Verleihung des Medizin-Nobelpreises an die französischen Virologen Professor Françoise BarreSinoussi and Professor Luc Montagnier aus Paris für die Entdeckung von HIV.

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